Der Niedergang der Piraten hat nicht lange auf sich warten lassen. Nur noch drei Prozent Wählerzustimmung geben kaum Hoffnung, dass sie im Herbst in den Bundestag einziehen können. Es ist nicht nur deshalb erstaunlich, weil sie erst voriges Jahr mit acht Prozent den nordrhein-westfälischen Landtag enterten, sondern viel mehr noch wegen ihres Themas, des Internets. Müsste sich dessen außergewöhnliche Bedeutung nicht auf sie selbst übertragen? Als Hauptgründe der ungünstigen Entwicklung erscheinen ihre mangelnde Kompetenz, ein Gesamtprogramm über das Einzelthema hinaus zu entwickeln – besonders die Wirtschaftspolitik ist bei ihnen eine Leerstelle –, und ihre innere Zerstrittenheit. Wahrscheinlich sind das zwei Seiten desselben Befunds, denn für ein Gesamtprogramm bräuchte es politische Übereinstimmung. Zu der kann es nicht kommen, wenn sich Freunde des freien Internets versammeln, die ansonsten wie Sozialdemokraten, Freidemokraten oder Grüne denken.
Parteienforscher werden sagen, bloß um ein Thema herum könne eben keine Partei Bestand haben. Als richtige Partei gilt ihnen eine, die sich auf allgemeine „Werte“ wie Freiheit, Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit beruft und in der sich große soziale Gruppierungen bündeln und widerspiegeln. So schien es in der Frühzeit des Parteienstaats klar und verständlich, dass es „bürgerliche“ Parteien, Arbeiter- und sogar auch (in Skandinavien) Bauernparteien gab. In seiner Blütezeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden noch andere soziale Wurzeln der Parteigegnerschaft bemerkt, so die konfessionelle Zugehörigkeit oder der Protest der Peripherie eines Landes gegen das Zentrum. Aus der Überlagerung solcher Linien lassen sich die deutschen etablierten Parteien erklären: Bei der SPD war die Klassenzugehörigkeit das wichtigste Bindemittel, bei der CDU die Konfession, bei der CSU kam die Betonung der bayerisch-„peripheren“ Lage hinzu.
Diese Art und Weise, eine Demokratie als Parteienstaat zu betreiben, hat natürlich nur Sinn, wenn die Parteien politische Alternativen ausarbeiten, über die dann abgestimmt werden kann. Hier aber liegt die Crux der „richtigen Parteien“. Denn ihre politischen Gegensätze verschwinden immer mehr, während die sozialen Zugehörigkeiten bestehen bleiben.
Wichtiges Konfliktfeld
Ist eine der großen Parteien an der Regierung, macht sie ungefähr dieselbe Politik wie die andere. Nur im permanenten Wahlkampf betont sie ihre angebliche Besonderheit. Und weil selbst das schwer fällt, werden „Werte“ in den Vordergrund gestellt. Warum verschwinden die Gegensätze? Da hören wir die Antwort, dass alle sozialen Gruppen zur selben Politik objektiv gezwungen seien. So sollen wir der SPD glauben, dass gerade Hartz IV der wichtigste, sogar von der CDU anerkannte Erfolg der Regierungszeit Gerhard Schröders gewesen sei. Es ist kein Wunder, dass heute in der Weltfinanzkrise auch Stimmen laut werden, die nicht mehr den Niedergang der Demokratie beklagen, sondern offen ihre Aufhebung fordern. Darauf läuft es mit den „richtigen Parteien“ hinaus, die so ungeheuer vernünftig sind, sich nicht um „ein Thema“ herum zu gruppieren.
Es ist aber gar nicht abseitig, das zu tun, wenn das Thema ein allgemeines der ganzen Gesellschaft ist. Die etablierten Parteien machen es selbst vor, wenn sie „Werte“ hochhalten. Die CDU zum Beispiel stellt sich als Partei der Freiheit dar und behauptet, daraus lasse sich ihre ganze politische Agenda ableiten. Das stimmt zwar nicht, hat aber den Vorteil, dass einige, die an der Agenda zweifeln, die Partei schon wegen der Freiheit wählen.
Das Internet als Thema der Piraten ist nicht nur wie die Freiheit eine allgemeine Angelegenheit, sondern auch eine handfeste. Es gibt heute kein wichtigeres Konfliktfeld. Gekämpft wird darum, ob es zum Instrument der ökonomischen und politischen Privatmächte wird oder zum Instrument des Zusammenschlusses freier Individuen. Was kann eigentlich allgemeiner und zustimmungswürdiger sein als dieses „eine Thema“? Ist es nicht besser, sich für den freien Zusammenschluss einzusetzen, wie die Piraten es tun, als für eine Freiheit, die zum abstrakten „Wert“ herunterkommt? Doch die Sache hat eine Implikation, die den Piraten weniger bewusst ist. Das Internet ist, marxistisch gesprochen, eine neue Produktivkraft. Dass es den freien Zusammenschluss befördern würde, wenn nicht Privatmächte ihn erfolgreich behinderten, ist nur eine neue Variante desselben Konflikts, der schon bei der Entstehung großer kapitalistischer Fabriken im 19. Jahrhundert aufkam. Schon damals wurde proklamiert: Hier sind Massen von Menschen versammelt, und wie frei könnten sie für Ziele zusammenarbeiten, die im allgemeinen Interesse liegen, wenn da nicht die Privatmächte wären.
Fehler im Gedankengebäude
Doch wenn das, was die Arbeiter wollten, wirklich das Allgemeine war, hätte auch der Kampf dafür ein allgemeiner sein müssen. Das war der Fehler im marxistischen Gedankengebäude. Eine soziale Gruppe kann nur in Übereinstimmung mit den herrschenden Verhältnissen kämpfen, denn was sie zur Gruppe macht, ist ihre Stellung und damit ihr Funktionieren in der Produktion. Man kommt eben zur sozialen Gruppe nicht frei zusammen. Das gilt auch für die Arbeiterklasse, auf die der Marxismus so große Hoffnungen setzte. Gerade die Entwicklung der Produktivkräfte kann von ihr nicht repräsentiert werden. Es müsste ja bedeuten, sie nimmt in der Entwicklung ein Problem wahr und sucht eine Lösung im Interesse aller. Tatsächlich wird sie immer nach einer suchen, die ihrem sozialen Sonderinteresse entspricht.
Von ihr also kann der Gemeinsinn der neuen Produktivkraft, der entbunden werden müsste, nicht durchgesetzt werden. Also, denkt man, müssen Menschen beliebiger sozialer Gruppenzugehörigkeit die Sache selber zum Sammelpunkt der erhofften Partei machen. Doch auch dieser Weg scheint nicht zu funktionieren. Die Piraten haben ja die Bedeutung der Produktivkraft Internet erkannt. Für die Probleme, die es aufwirft, schlagen sie als freie Individuen Lösungen vor. Und doch gelingt es nicht. Außen schwindet die Zustimmung, innen zerstreitet man sich.
Man kann es kaum begreifen, weil das Internet nicht nur eine neue Produktivkraft ist, sondern auch die Demokratie befördert, was einer „Internetpartei“ doch Auftrieb geben sollte. Welchen Nutzen die Demokratie davon hat, ist durch die Rolle, die es bei der Organisation kollektiver Proteste spielen kann, und durch Wikileaks schon sichtbar geworden. Aber auch die ökonomische Demokratie könnte gewinnen. Das Internet lässt eigentlich erst begreifen, was ökonomische Demokratie sein könnte. Denn erstens: In einer Ökonomie freier Individuen müssten diese, und nicht ein Staat, über die grundlegenden Produktionspfade einer Gesellschaft entscheiden. Zweitens, die Methode, mit welcher Individuen statt Gruppen entscheiden, ist die Wahl qua Stimmabgabe. Drittens wird es durchs Internet möglich, sich der allgemeinen Wahl auch zur Entscheidung über den ökonomischen Weg einer Gesellschaft zu bedienen. Rudolf Bahro wies darauf schon 1977 hin: „Heute, wo das Problem der allgemeinen Volksversammlung von der quantitativ-technischen Seite durch die modernen Computer und Massenkommunikationsmittel gelöst ist, könnten prinzipiell alle Individuen regelmäßig an der Entscheidung über die Neuwertverteilung, an der Festlegung der Perspektiven der Gesellschaft, an den Willensakten der Prognose teilnehmen“.
Dieser Neuanfang könnte das Programm einer Partei sein, der es um das „eine Thema“ Internet geht. Eine solche Partei könnte sich Erfolgsaussichten ausrechnen. Denn die Entwicklung bewegt sich von selbst in die skizzierte Richtung. In den letzten Jahrzehnten ist immer wieder bewusst geworden, dass an der „Festlegung der Perspektiven der Gesellschaft“ alle Individuen durch Volksentscheid hätten beteiligt sein sollen – ob es sich um die Nutzung der Atomkraft, den Stuttgarter Tunnelbahnhof oder die Bedeutung handelt, die man der Autoindustrie zugestehen will.
Warum sind die Piraten nicht die Partei des Übergangs zu neuen Formen der politischen und ökonomischen Demokratie? Wahrscheinlich weil sie aus sozialen Gruppen zusammengesetzt ist, die so agieren wie in allen Parteien. Sie müssten schon wirklich ein Zusammenschluss freier Individuen sein, um Erfolg zu haben. Menschen indes, die absolut frei sind, kann es in einer nur teilweise freien Gesellschaft nicht geben. Wenn dies mitbedacht würde, wäre eine Wendung zum Besseren möglich. Man kann sich eine Partei vorstellen, in der Individuen von vornherein im Bewusstsein kooperieren, dass sie nicht übereinstimmen außer in der zentralen Frage, deren Wichtigkeit sie besser erkennen als andere. Wo sie im Parlament vertreten sind, geben sie in Fragen, die das soziale Gruppeninteresse wecken, die Abstimmung immer frei. Wo eine solche Frage von der zentralen Internet-Frage nicht zu trennen ist, suchen sie nach der integralen Lösung. Kann sie sich nur auf zwei oder mehrere Lösungsansätze einigen, ist das auch nicht schlimm, sondern fördert selbst wieder die Demokratie: Man führt der Gesellschaft vor, worüber sie eigentlich streiten müsste.
Bis zu diesem Freiheitsgrad könnte eine Partei aus freien Individuen bestehen. Doch sie müssten sich anders verhalten als heute. Wer heute leugnen wollte, dass er anfällig ist, sich an Shitstorms zu beteiligen, wäre weniger frei, als man schon sein kann. Um sich vor dieser Anfälligkeit zu schützen, müssen sich die Individuen einen strengen Verhaltenskodex auferlegen. Das könnte damit anfangen, dass man sich nur mit „Sie“ anredet. Jede innerparteiliche Situation müsste streng formalisiert sein. Das wäre mit Freiheit nicht unverträglich. Wenn das freie Individuum sich in den Autobahnverkehr einfädelt, muss es auch bereit sein, sich formalen Regeln unterzuordnen. Bei Strafe des Untergangs. Vor dem Untergang sind eben auch Parteien, die es sich zu leicht machen, nicht gefeit. Die Piraten machen es sich zu leicht. Sie meinen, man komme besser voran, wenn man möglichst viele innerparteiliche Strukturen dereguliert. Das konnte nicht gut gehen.
Kommentare 8
Lieber Michael, ich glaube, der zu erwartende Misserfolg der Piraten liegt einmal darin, dass sie keine "Massenbewegung" erzeugen konnten, die der Partei als Basis hätte dienen können. Wenn die Piraten jedoch geschafft hätten, eine Bewegung ingangzusetzen, wäre es besser, ihren Einfluss im BT über Unabhängige zu suchen. Denn als Partei würden sie ganz schnell durchs Gerangel am Steuerkuchen wie die Altparteien korrumpiert werden und ihre ursprünglichen politischen Ziele nur noch halbherzig verfolgen. (Schicksal aller politischen Parteien in der Welt) Zweitens: Das entscheidende Handicap bei der Bildung einer breiten Bewegung war und ist das Beiseitestehen der unabhängigen Linken und 68er im Land. Hätten diese nicht selbst ihre ursprünglichen Ideale längst ad acta gelegt und stattdessen eine Allianz mit den Piraten aufgebaut, hätte eine bedeutende nationale Bewegung für politische Freiheit entstehen können. Ich sehe hierin ein absolutes Versagen der 68er, denen man ähnliche Vorwürfe machen kann, wie diese ihrer Vätergeneration gegenüber gemacht haben. Angesichts des Fehlens einer überzeugenden Alternative zur Europapolitik der BT-Parteien und angesichts des Fehlens einer tatkräftigen Unterstützung für die Piraten kann man nur feststellen: Die 68er, unsere Generation, hat wenig bis gar nichts aus der Geschichte gelernt. Die Suche nach politischer Freiheit der 68er-Generation verschwand mit der zunehmend prioritären Suche nach Knete und dauerhafter Wohlfahrt, und das bekommen die Piraten geballt zu spüren.
LG, CE
Interessantes Nachdenken über die Piraten! Du schreibst:
„Als Hauptgründe der ungünstigen Entwicklung erscheinen ihre mangelnde Kompetenz, ein Gesamtprogramm über das Einzelthema hinaus zu entwickeln – besonders die Wirtschaftspolitik ist bei ihnen eine Leerstelle –, und ihre innere Zerstrittenheit.“
Nun, Frau Domscheit-Berg machte im dF-Salonnicht nur einen selbstbewussten Eindruck, sondern konnte die Piraten und die Entscheidungen vom letzten Parteitag –"SMV"- gut überbringen. Die Ex-McKinsey Frau ist eine hervorragende Rhetorikerin. Der Casus knaxus ist aber, dass man heute wie gestern nicht weiß, ob das, was die Einzelnen öffentlich äußern, tatsächlich „Allgemeingut“ der Piraten ist. Frau Domscheit-Berg betonte: „Der Vorstand hat nichts zu sagen“. Ein Club von Individualisten? Das wäre doch sehr marktkonform, oder? Denn das mit der „Ständigen Mitgliederversammlung“ habe ich immer noch nicht kapiert.
Zerstritten? Wenig überzeugend waren dann die Vorurteile, die Frau Domscheit-Berg gegenüber den „Westen“ und „Westfrauen“ im speziellen pflegt. Also, im konkreten Fall „Zonenpflege“! Das klingt nicht nur unglaublich verstaubt, sondern ist nach über zwanzig Jahren der Deutscher Einheit unerhört gestrig.
Die neue Geschäftsführerin Katharina Nocun lässt aufhorchen, konkretisiert sie doch ihre Auffassungen auf dem Hintergrund von Zukunftsthemen wieNetzfreiheit, Rente etc. Sie wirkt nicht nur kommt sympathisch frisch, sondern kompetent herüber, sie lässt aufhorchen. Als Geschäftsführerin zählt die Stimme von Nocun auch öffentlich - laut Domscheit-Berg.
Aus meiner Sicht hängt vieles davon ab, ob und wie die Piraten in der Lage sein werden, Themen wie Gerechtigkeit, Freiheit begrifflich so zu durchdringen und herüberzubringen, dass das nach "ALternative" klingt und nicht mehr wie das alberne Nachleiern von Headlines.
Bis zu diesem Freiheitsgrad könnte eine Partei aus freien Individuen bestehen. Doch sie müssten sich anders verhalten als heute. Lieber Michael! Ich frage mich, wie frei die GRÜNEN waren, als sie sich gründeten. Da kamen ja auch ganz unterschiedliche Menschen zusammen (zumindest dort, wo ich den Gründungsprozess erlebte, nämlich in Stuttgart): Neben den früheren Linksradikalen, die in den Siebzigerjahren in die politische Sackgasse geraten waren, tauchten da beispielsweise Anthroposophen auf, die viele Erfahrungen in alternativen Projekten hatten, Friedensfreunde, die der DKP nicht trauten, und Naturfreunde, denen die SPD zu technokratisch geworden war. Alles in allem ein ziemlich bunter Haufen von Frauen und Männern ganz unterschiedlicher Freiheitsgrade. Rudolf Bahro, den Du freundlicherweise erwähnst, setzte sich in dieser grünen Frühphase für eine Reinigung von den Schlacken blosser Ego-Interessen, für so etwas wie die Auseinandersetzung mit der "inneren Ökologie", ein. Damit erlitt er dann leider bald Schiffbruch. Trotzdem waren die GRÜNEN so etwas wie ein neues kulturelles Projekt, mit dem bislang "Unpolitisches" wie das Mensch-Natur-Verhältnis im politischen Feld thematisiert werden konnte.
Ich bin vermutlich alters- und mentalitätsmässig zu weit weg, um bei den PIRATEN ein solches "kulturrevolutionäres" Projekt zu erkennen. Dort sind Menschen aus ganz unterschiedlichen Motiven zusammengekommen, doch das verbindende "Dritte" hat sich bis jetzt nicht gezeigt. Wird dieses "Ereignis" noch kommen? Ich zweifle. Ist das Internet tatsächlich die neue Produktivkraft, von der Du schwärmst? Eine Produktivkraft, um die herum sich eine soziale Bewegung entfaltet? Ich habe mich zu wenig damit beschäftigt, um hier etwas Brauchbares von mir geben zu können. Ich habe nur die Analogie zu den GRÜNEN zur Hand, mit der ich hier argumentiere. Und die legt nahe, dass es sich bei den PIRATEN nicht um eine gesellschaftliche Kraft handelt, der es gelingen könnte, das politische Feld neu zu "formatieren".
Lieber Michael,
schön Dich mit Deinem Artikel erst in der Printausgabe des Freitag und nun zum zweiten Mal Online zu lesen.
Du setzt mich einmal mehr mit Deinem unkonventionellen Sinn für Innovationen der Konventionen in Erstaunen.
Ausgerechnet Du, der mit dem Du als Genosse politisch sozialisiert wurde, empfiehlst als Königsweg gegen jede Art von Shitstorm das Sie als Anrede?
Was empfiehlst Du u ns da,die wir uns hier bereits gegenseitig in der Freitag Community duzen, obwohl wir uns persönlich noch gar nicht kennen?
Das Internet hat einen Vorteil Online, einen Nachteil nicht Offline zu sein.
Das Internet ist wahrlich kein Inhalt, als der es medial kommuniziert wird, sondern eine Form, ein Format, ein Forum für oder gegen Produktivkraft, auf dem sich Menschen, namentlich, wie namenlos, kamnpagnenstark konstruktiv, stormshit destruktiv, zu Themen einfinden können.
Parteien sind dagegen soziale Orte im Offline, in denen sich Menschen, stadtteilnah, arbeitsplatznah, vereinsnah, nachbarschaftlich auf der Suche nach gemeinsamen Themen begegnen, um ihrer schlummernden Produktiv- und Innovationskraft politisch Gehör und Ansehen zu verschaffen
Piraten sind bisher als Partei der Metaebene eines Themas, des Themas Networkfreiheit im Internet unterwegs, das sich alle Parteien, mehr oder weniger, faktisch inzwischen auf die Fahne geschrieben haben?
Während Die Grünen nach ihrer Grüdung 1980 bis zur Jahrtausendwende darunter litten, dass diese mehr oder weniger von den Medien ignoriert wurden, außer es waren unter Den Grünen Sektierer aller Art als bunte Vögel, darunter häkelnde Männer, Lesben- WGs, Homo- Kommunarden, leidenschaftlich gewaltfreie Nacktbader, eotisch anmutende Pädophile als Gutmenschen, wie seinerzeit Daniel Cohn- Bendit als presserechtlich verantwortlicher Wortführer im "Pflasterstrand" , den St- Pauli- Nachrichten eines Stephan Aust, Henryk M. Broder mit skandalisierbarem Spektakel Auflagen- , Quoten- Faktor unterwegs.
Heute ist das ganz anders, wenn sich Parteien wie die Piraten gründen, die werden vom Mainstream der Medien unbesehen, mit Blitzgewitter, Donner und Trompeten auf allen TV- Kanälen hochgejubelt, gemäß Deinem Credo an anderer Stelle
"Das System kritisiert sich, tut aber nichts"
bis es gewaltig und medial hörbar an der Auflagen- und Quoten- Decke kracht und alles in der gerade gegründeten Partei, demoskopisch ausgepowert, zustimmungsmäßig ausgebrannt, in sich gegen Null auf Reset zusammen zu fallen droht.
Neugegründete Parteien bewähren sich folglich heute, anders als noch zu Zeiten der Gründung der Partei Die Grünen, nicht im Gegensatz zum Mainstream als diffarmiert denunziertes
"No Go Area",
das irrelevant marginalisiert, stigmaisiert, für angeblich politische Nonsens Themen, Gedöns, u. a. politikunfähigen Randerscheinungen in der Gesellschaft steht, sondern durch Online wie Offline Modus Besinnung auf sich selbst, als interessanter Partner für potentielle Verbündete, samt wohldosiert selbstbestimmter Nutzung ihrer Präsenz in den Medien, an Standing Format zu allen möglichen gesellschaftspolitischen Themen und an Fahrt im Ansehen in der Wählergunst gewinnt.
tschüss
Jochen
Ist das Internet tatsächlich die neue Produktivkraft, von der Du schwärmst? Eine Produktivkraft, um die herum sich eine soziale Bewegung entfaltet? Lieber Kurt, daß das Internet eine neue Produktivkraft ist, kann man, glaube ich, kaum bestreiten. Ich schwärme nicht von ihr, stelle mich nur auf sie ein, vor allem aber glaube ich eben nicht, daß sich um eine Produktivkraft herum eine soziale Bewegung entfalten kann, die nicht gleich wieder in die alten Parteiungen zerfällt. Es sei denn, dieses Problem der alten Parteiungen wird erkannt und bearbeitet und es gelingt, einen ganz neuartigen Bund von Individuen zu begründen, die in ihrer sozialen Gruppenzugehörigkeit nicht vollkommen aufgehen. Das ist der Inhalt des Artikels.
Den Vergleich mit den Grünen hätte ich selber gemacht, wenn der Platz es zugelassen hätte. Er hätte, so glaube ich, meinen Gedanken unterstrichen. Denn dieses Projekt war ebenfalls der Versuch, sich um eine neue Produktivkraft herum zu sammeln. Technologien und Verhaltensweisen, die es erlauben, dem Zwang zum Wirtschaftswachstum zu entkommen, sind eine Produktivkraft: die bei der Gründung der Gründen vielleicht nur gefordert wurde, aber jedenfalls möglich war und inzwischen hinreichend zur Verfügung steht – man muß sie nur wollen. Aber den Grünen ist es so wenig gelungen wie den Piraten, sie sind nur auf andere Weise gescheitert, so nämlich, daß sie sich auf eine Parteiung zusammengezogen haben, die auf einer bestimmten sozialen Gruppe basiert, und diese Parteiung fügt sich nun, wen wundert’s, hervorragend in das Parteiensystem der Wachstumsparteien ein. Sie werden zwar immer einflußreicher, aber gleichzeitig gibt es sie gar nicht mehr – sie sind ein Simulacrum. (Das ist überspitzt: So wie das Parteiensystem ist, sind sie immer noch besser als andere, aber darum geht es hier nicht.)
Wieso die Piraten ihre Wählerschaft nicht halten können, hat so glaube ich u.a. einen umgebungsbedingten Faktor: In dem aktuellen Lagerwahlkampf, möchten die Wähler/innen ihr bevorzugtes Lager stärken, bzw. Übel abwehren, die Piraten gehören nun mal zu keinem Lager. Aber das ist nur eine Randnotiz. Für mich nicht, ich würde sagen, das ist gerade der Inhalt meines Artikels: Eine Partei, die sich konsequent zentral um eine Produktivkraft „kümmert“, kann gar nicht zu einem der vorhandenen Lager gehören. Besser gesagt, (auch) darauf läuft der Artikel jedenfalls hinaus. Ich habe nur davon gesprochen, daß die Partei in sich nicht zusammenhält; die Kehrseite ist tatsächlich, daß sie auch keine zusammenhaltende Wählerschaft haben kann. Es sei denn... Aber zum „Verhaltenskodex“ schreibe ich unter Joachim, der sich ja auch dazu äußert.
Lieber Joachim, ich duze mich hier ja nicht mit jedem, tue es (fast) niemals von mir aus und gehe auch nicht auf jedes Du ein. Oder wenn mich jemand duzt, nur um frech und unverschämt sein zu dürfen, dann kriegt er eins in die Fresse und läßt mich für alle Zeit in Ruhe. Das ist mein ganz persönlicher Verhaltenskodex. Mit Einigen hier, die mir die liebsten sind, sieze ich mich. Ich denke, unter Leuten, die höflich miteinander umgehen, spielt es, zumal wenn sie sich nie persönlich begegnen, überhaupt keine Rolle, ob sie sich siezen oder duzen. Dich duze ich, Columbus grüße ich mit Sie, was ist der Unterschied?
Aber wir gehören noch einer „alten Schule“ an, in der man gar nicht auf die Idee kam, sich wechselseitig mit shit zu bewerfen. Mir steht noch der Abend vor Augen, als eine durch Manipulation zustandegekommene knappe Mehrheit meiner Parteigruppe den Antrag stellte, mich aus der SEW auszuschließen – wie höflich, sogar kameradschaftlich gingen da Freunde und Gegner miteinander um! Es wurde gelogen, ja, aber alle waren ernst, allen ging es nur um die Sache. Daß so ein Verhalten heute nicht mehr zustandekommt, sollte man den Beteiligten sicher nicht vorwerfen, denn es geht gar nicht mehr. Wo soll es denn herkommen?
Aber wenn ich dann sage, solche Beteiligten müßten sich gegen ihre Anfälligkeit für shitstorms durch strenge Verhaltensnormen wappnen, dann ist das weiter nichts als eine logische Schlußfolgerung. Ich sehe selbst, daß so ein Weg kaum eine Chance hat, besonders nicht bei den Piraten. Obwohl es immerhin beim Autofahren halbwegs funktioniert. Lies es so, als wenn ich geschrieben hätte, die Piraten müßten Nadelöhre bauen und Kamele durchbugsieren.
Lieber Michael,
das klingt verbal komödiantisch, trefflich aufreizend gelungen, wie das Bibelwort
„Es gehe eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, denn dass ein Reicher in den Himmel käme!“
Worauf Papst Johannes Paul II. beschwichtigend, sein unanfechtbares Wort „ex cathedra“ erheben möchte. So er noch unter uns weilte:
„Ich hoffe seehhhrrrrr, die Hölle bleibt leeeerrrrr!“
Sag an, hältst Du die Piraten auch für eine Partei, die nicht im Gegensatz zum Mainstream sich innerparteilich reibend, sondern mit diesem im Bunde mit der Demoskopie an Statur in der Wählergunst gewinnt?, wenn ja, heißt das nicht, dass der frühe Tod einer solchen Partei ihr Beschweigen im Mainstream ist?
tschüss
Joachim
Zur allgemeinen Wochenende Erbauung:
https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/150-jahre-spd-kladderadatsch-ohne-ende
Joachim Petrick
22.05.2013 | 18:04
150 Jahre SPD- Kladderadatsch ohne Ende?
Ferdinand Lassalle Der Kladderadatsch war in den Berliner Jahren Lassalles eine, politisch kritische Zeitung, deren Chefredakteur, Ernst Dohm, einen gesellschaftlich offenen Salon anbot
150 Jahre Sozialdemokratischer Kladderadatsch wollen gelebt, wollen achtsam, voller Respekt vor dieser großen gesellschaftspolitischen Bewegung in Deutschland und der Welt, in kritischer Solidarität, mit einigem ernsten wie heiteren Augenzwinkern, erzählt sein.