Trennende Landschaften

Wettbewerbsföderalismus Populismus und Kritik bei der Anhörung der Sachverständigen

Die Planung der Gesetze zur Föderalismusreform war mehr Sache der Bundesländer als des Bundestags. Dem wird jetzt bedeutet, er möge doch möglichst keine Änderungswünsche mehr vorbringen, denn die Vorlage sei ein Kompromisspaket; eine Aufschnürung könne alles wieder in Frage stellen. Um die Anhörung von Sachverständigen kam man freilich nicht herum. Fand sie aber statt, so natürlich unter der Frage, ob nicht Änderung nötig sei. War das ohne Komplikationen über die Bühne zu bringen? Die Anhörung begann am Montag mit der Diskussion der allgemeinen Aspekte; sie wird zwei Wochen brauchen, aber man sah schon vor Beginn, wie die Polittechniker vorgesorgt hatten. Die Einarbeitung von Änderungswünschen würde Zeit kosten. Lange galt, dass die Reform erst im Herbst verabschiedet werden sollte. Kurz vor der Anhörung hieß es auf einmal, man werde sie schon vor der Sommerpause des Bundestags beschließen.

Damit Änderungswünsche gar nicht erst aufkommen möchten, wurden ausschließlich Wissenschaftler geladen, in der Hoffnung, sie würden die Sache so abstrakt erörtern, dass praktische Gesetzesanregungen daraus nicht folgten. Populistische Fragetechnik während der Anhörung tat ein Übriges. Man konnte es schon am ersten Tag beobachten: Nachdem die Wissenschaftler gravierende Probleme der Reform erörtert hatten, deren komplexe Regelungen sie als bekannt voraussetzen mussten, wollte ein CDU-Politiker von ihnen wissen, was denn "die Folgen für den Bürger" seien. Die Fernsehkamera lief. Natürlich gab es auch unter den Wissenschaftlern Reformbefürworter, die sponnen den Faden weiter. Auf dem Herweg habe ihn dasselbe sein Taxifahrer gefragt, sagte einer. Föderalismusreform, sei seine Antwort gewesen, heiße, dem Taxifahrer klare übersichtliche Wahlen ermöglichen. Wenn er nämlich in Zukunft an einer Landtagswahl teilnehme, wisse er, da stünden nur Landesangelegenheiten zur Abstimmung, während es um Bundesangelegenheiten nur bei Bundestagswahlen gehe. Ein anderer Sachverständiger fragte bissig, ob der Taxifahrer denn überhaupt mitwählen dürfe; das setze immerhin seine Einbürgerung voraus.

Nein, es geht nicht um die "Folgen für den Bürger", viel eher erhoffen sich die großen Parteien eine Erleichterung ihres Geschäfts. Einer erklärte es: Die Bundesregierung werde noch oft bei den Bürgern abkassieren müssen, davon sollten aber nicht die Oppositionsparteien in den Landtagen profitieren. Deshalb also die hauptsächliche Neuregelung dieser Reform: das "Änderungsrecht". Für die meisten Gesetze, die das Leben der Bürger prägen, sind nun die Länderparlamente verantwortlich, da selbst Bundesgesetze von ihnen abgeändert werden können. Dieses neue Recht stand natürlich im Zentrum der Anhörung. Professor Pestalozzas Kritik war am schärfsten: Das sei eine "Monstrosität" und nichts anderes als die Aushebelung des elementarsten bundesstaatlichen Rechtsgrundsatzes, wonach Bundesrecht Landesrecht breche und nicht umgekehrt. Sein Kollege Peter Huber sah es anders: Schließlich seien auch Landesparlamente an den Grundrechtskatalog gebunden, außerdem würden die Parteien für eine länderübergreifende "Unitarisierung" des Rechts schon sorgen. Wieder die Parteien! Soll denn der Dualismus von Bundestag und Bundesrat durch einen neuen Dualismus von CDU-Ländern und SPD-Ländern ersetzt werden? Positiv sei, so Huber, dass ein "Ideenwettbewerb" um die besten Gesetze eröffnet werde.

In der anschließenden Debatte machten die Verteidiger der Neuregelung keine gute Figur. Ein Politiker sagte, mit dem Änderungsrecht unterscheide man sich gar nicht sehr von der Rahmengesetzgebung, die nun abgeschafft wird und an deren Stelle die Neuregelung tritt. Das sei doch eine Vereinfachung: Früher habe man es pro Land mit zwei Gesetzen zu tun gehabt, Rahmengesetz plus Ausführungsgesetz, jetzt nur noch mit einem, dem Änderungsgesetz. Der Unterschied ist aber doch sehr groß, er wurde in Erinnerung gebracht: Das Rahmengesetz wurde ausgeführt, das heißt konkretisiert, blieb also in Geltung; Bundesgesetze, die geändert werden, bleiben nicht in Geltung. Und damit stellt sich die Frage, ob die vom Grundgesetz vorgeschriebenen "gleichwertigen Lebensverhältnisse" im ganzen Bundesgebiet noch gewährleistet sein werden. Man hätte, so der bekannte Sozialwissenschaftler Fritz Scharpf, die Blockadeprobleme zwischen Bundestag und Bundesrat auch anders lösen können als durch ein "Trennprinzip"; eine "Flexibilisierung des Verflechtungsprinzips" wäre besser gewesen.

Das "Trennprinzip" führt etwa dazu, dass die Länder bei Notständen im Bereich ihrer eigenen Gesetzgebung, zum Beispiel in Bildungsfragen, künftig keine Bundesfinanzhilfe mehr bekommen. Dadurch wird natürlich die Ungleichheit der Lebensverhältnisse verschärft. Ein Politiker sagte, bei Notständen helfe doch aber der Finanzausgleich. Wieder eine gezielte Undeutlichkeit, die von den Sachverständigen korrigiert wurde: Es gibt den vertikalen Ausgleich zwischen dem Bund und allen Ländern, der lässt die Ungleichheit zwischen den Ländern gerade bestehen; und es gibt den horizontalen Ausgleich der Länder untereinander, der wirkt nur verzögert und ist vom guten Willen der reichen Länder abhängig. Als ob die Politiker das nicht selbst wüssten. Professor Huber allerdings verteidigte die Neuregelung: Wenn der Bund nicht mehr helfen dürfe, seien die Länder doch einen "goldenen Zügel" los. Einwand Professor Hans Meyer: Wäre die Bundesfinanzhilfe zeitlich begrenzt und an die Zustimmung des Bundesrats gebunden, könne von einem "Zügel" keine Rede mehr sein. Er und andere hätten entsprechende Vorschläge längst unterbreitet. Wissenschaftler sind gar nicht so unpraktisch, wie manche meinen.

Es geht nicht zuletzt um Ostdeutschland, obwohl das niemand sagte - abgesehen von Huber, der sich an den ostdeutschen Wiedervereinigungswunsch erinnerte, in dem er den Wunsch sah, an jenen "gleichwertigen Lebensverhältnissen" teilzunehmen. Von westlicher Seite wurde das damals tatsächlich versprochen. Kanzler Kohl sprach von "blühenden Landschaften". Jetzt sagt derselbe Kollege Huber, der "kooperative Föderalismus" werde systemfremd und überholt sein, und man werde durch den Wegfall von Ministerkonferenzen "Reisekosten sparen". Dass von den anwesenden Politikern zwei Mitglieder der Regierung Mecklenburg-Vorpommerns, darunter Ministerpräsident Ringstorff, sich am kritischsten zur Reform äußerten, war kein Zufall. Aber aufhalten werden sie die Reform nicht.


Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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