Unnatürliches Bündnis

Unmutskerne Am Rand der Union organisieren sich Christen und Konservative gegen die angebliche „Sozialdemokratisierung“

Dass die CDU bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen Stimmenverluste erleidet, kann als sicher gelten. Die Frage ist aber, ob sich eine Krise der gesamten Union anbahnt. Die SPD hat Hartz IV mit einer verlorenen NRW-Wahl bezahlt, aber auch mit dem Überlaufen eines Teils ihrer Wähler zur Linkspartei. Ist es denkbar, dass die Union ein ähnliches Schicksal erleidet? Könnte es auch hier zu einer Abspaltung und Parteineugründung kommen? Denn auch viele Unionswähler ärgern sich darüber, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung einen Sparkurs auf Kosten der kleinen Leute vorbereitet und gleichzeitig Kurs auf Steuersenkungen nimmt.

Zu einer Abspaltung pflegt es nur dann zu kommen, wenn der personelle Kern einer möglichen Neugründung in der Partei selber entsteht oder ihr mindestens benachbart ist, so dass er in ihr auf offene Ohren zählen kann. Was die Union angeht, lassen sich gleich zwei Kerne bemerken; das entspricht den zwei Identitäten dieser Partei, der konservativen und der christlichen.

Diese Zweideutigkeit ist für alle christdemokratischen Parteien konstitutiv. Nach dem Weltkrieg hatten pur konservative Parteien vielerorts keine große Anziehungskraft mehr, einzig christliche konnten damals dem Sozialismus etwas entgegensetzen. Daher nahmen die Konservativen einfach am christlichen Parteiprojekt teil, zumal die Überschneidungspunkte zahlreich waren. Zu einer absoluten Verschmelzung kam es aber nicht, vielmehr konnte zwischen mehr christlichen und mehr konservativen Parteien unterschieden werden.

Die Krise der CK-Parteien

Die deutsche christdemokratische Union war vielleicht das Hauptbeispiel einer Partei, die christlich vor allem dem Namen nach war, im übrigen natürlich auch christliche, besonders katholische Wähler anzog und ihnen innerparteiliche Repräsentanz verschaffte, die aber der politischen Substanz nach vorwiegend konservativ tickte. Dass der Unterschied zwischen Christen und Konservativen keine Kleinigkeit war, kam seit dem Durchbruch des Neoliberalismus zur Geltung, weil der sich mit christlichen Werten nur schwer vereinbaren ließ. Manche mehr christliche Parteien zerbrachen daran – das prominenteste Beispiel ist die italienische DC –, während es den mehr onservativen gar nicht schwer fiel, sich zu häuten.

Doch da die Zumutungen des Neoliberalismus nicht aufhören und sogar immer schlimmer werden, kann auch die Krise christlich-konservativer Parteien nie ganz ausgestanden sein. So sehen wir denn, wie sich heute in der deutschen Union einerseits mehr konservative, andererseits mehr christliche Unmutskerne herausbilden; von Parteineugründungen vorläufig weit entfernt, zeigen sie immerhin deren Möglichkeit. Da gibt es die konservative „Aktion Linkstrend stoppen“, deren Manifest etwa von Werner Münch, dem früheren Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, der Soziologin Ute Scheuch oder der in Berlin bekannten Stadtpolitikerin Ursula Besser unterzeichnet wurde. Diese Kräfte kritisieren die Homoehe, den Marsch in den Schuldenstaat, der nicht nur die Mittelschicht, sondern auch die Familien mit Kindern belaste, das Antidiskriminierungsgesetz, die „Multi-Kulti-Integrationspolitik“, die „Kindestötung durch Abtreibung“ und die „Gefahr der Islamisierung“; sie treten ein für „die deutschen Opfer der Vertreibung“ und das „differenziert gegliederte Schulwesen“. Es sind genügend Forderungen der Kirche aufgenommen, so dass neben Unternehmern und Rechtsanwälten auch ein Theologe und der Vorsitzende des Forums Deutscher Katholiken unterschrieben haben.

Man sieht trotzdem, dass der AEK, „Arbeitskreis Engagierter Katholiken in der CDU“, etwas andere Akzente setzt. Er weist darauf hin, dass der Wählerschwund, den die Union seit der Jahrtausendwende erleidet, überproportional bei katholischen Wählern eingetreten ist. Doch immer noch wählten weit mehr katholische als evangelische Wähler die Union. Es sei brisant, dass inzwischen vier weitere christliche (Klein-) Parteien um christliche Wähler buhlten, denn diese seien „durch die Entscheidungen der vergangenen Legislaturperiode zum Lebensschutz in Deutschland, zur Familienpolitik und z.B. durch die Papstkritik irritiert“. Sie wählten neuerdings sogar die Grünen und die Linkspartei. Deshalb müssten Akzente für ein christliches Engagement, „das sich an den Grundsätzen der katholischen Soziallehre orientiert“, gesetzt werden.

Ungefährlich für Merkel

Der Gesichtspunkt des Sozialen, ja von „Globalisierungsfragen“ ist auch hier nur einer unter den vielen, die man kennt – Familienpolitik, Lebensschutz, Bioethik –, spielt aber immerhin überhaupt eine Rolle. Die AEK gibt es erst seit der letzten Bundestagswahl. Ihr Gründer, der Publizist Martin Lohmann, hat auch beim Manifest „Linkstrend stoppen“ unterschrieben.

Dieses innerparteiliche Bündnis ist unnatürlich, denn die neoliberal gewendeten Konservativen stehen für Kälte gegen alles, was fremd ist und gegen die, denen man die Schulden des „Schuldenstaats“ in die Schuhe schieben wird, während die Katholiken sich doch noch ihrer Soziallehre erinnern. Gefährlich für Angela Merkel sind sie zur Zeit beide noch nicht. Die Konservativen wollen nicht begreifen, dass die Bundeskanzlerin versuchen muss, „die politische Mitte zu besetzen“, statt sich nur konservativ oder nur neoliberal zu gebärden. Von der AEK glaubt Merkel gar, dass sie ganz unwichtig sei, weil katholische Kirchgänger bei Wahlen praktisch keine Rolle mehr spielten. Darin jedoch könnte sie irren, denn es geht nicht nur darum, welche Kräfte eine Gruppierung vertritt, sondern auch um ihre Botschaft. Wenn die AEK den Aspekt der Soziallehre mehr betonte, würde sie den Nerv vieler Wähler treffen, besonders in naher Zukunft, wo man uns auffordern wird, die Zeche der Wirtschaftskrise zu bezahlen. Wie die Spatzen es ja von den Dächern pfeifen, soll das gleich nach der nordrhein-westfälischen Wahl geschehen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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