Die erste Farbfotografie der kompletten Erdkugel entstand am 10. November 1967
Foto: Nasa/nmsI/ Science Museum/ UllsteIn
The Whole Earth“: Im Berliner Haus der Kulturen der Welt wurde eine Ausstellung eröffnet, die unser gegenwärtiges, aus Neoliberalismus, Netzkultur und ökologischem Bewusstsein bestehendes Weltbild ideologiekritisch aufzubrechen versucht. Wir erfahren, dass die drei Momente in der kalifornischen Oppositionskultur der späten sechziger Jahre eine gemeinsame Quelle haben. Die Kuratoren Diedrich Diederichsen und Anselm Franke wollen das Weltbild erschüttern, weil es Kritik und entschiedene Gegnerschaft unmöglich mache. Ob ihnen der Ausbruch gelingen kann, wenn doch die (typisch ideologische) Leistung der Kalifornier gerade darin bestanden haben soll, „das Außen“ zum „Verschwinden“ zu bringen, ist allerdings zweifelhaft.
Der Neolibe
er Neoliberalismus stellt sich kulturell gesehen als eine Art Rückholung der Gegenkultur der 68er-Bewegung in den Kapitalismus dar. So haben es schon andere gesehen, und darauf läuft auch die Ausstellung hinaus. Die Bewegung hatte aufgehört, Opposition nur als Sache sozialer Klassen anzusehen. Vielmehr wurde die Befreiung des Individuums, des Selbst als revolutionäres Hauptziel entdeckt. Das wurde kapitalistisch umcodiert zur Selbstausbeutung in neoliberalen Klitschen. Hinzu kommt, dass die Bewegung – die europäische damals noch nicht, wohl aber die kalifornische – schon ökologisch und gerade darin systemkritisch dachte. Daraus ist geworden, dass der heutige Kapitalismus nur noch Ökologen kennt, ganz wie es einmal einen Kaiser gab, der keine Parteien mehr kannte, sondern nur noch Deutsche. Das System tut nichts, kritisiert sich aber. So ist das Außen abhanden gekommen.Die Leistung der Ausstellung liegt darin, dass sie unser Weltbild auf ein Bild zurückführt: die „blue marble“ genannte, vom Weltraum aus fotografierte Erde. Weil in ihm alle Gegensätze implodierten, schien es zur transkulturellen Harmonie aufzurufen. Es wurde als kulturelles Signal sofort verstanden. Für seine Verbreitung wirkte zuerst der Whole Earth Catalog, eine seit 1968 erscheinende Zeitschrift der kalifornischen Gegenkultur. Da sie „zwischen Kybernetikern und Hippies, Natur-Romantikern und Technologie-Verehrern, Psychedelia und Computerkultur vermittelte“, wird sie „häufig als ein analoger Vorläufer von Google bezeichnet“, erfahren wir. Schon auf dem Titel der ersten Ausgabe prangt das Bild des Blauen Planeten.Der Catalog ist der Kern, um den herum die Veranstalter Dokumente der kalifornischen Gegenkultur gruppieren und erläutern. Eine wichtige Rolle spielt die Beatmusik, die sich der zentralen gegenkulturellen Entdeckung schnell öffnet, dem Weg nach innen nämlich, wo man das grenzenlose eigene Selbst als „inner space“ erfährt – oft unter Zuhilfenahme von Drogen. Der Drogenprophet Timothy Leary, von dem das Wort stammt, schwärmt auch von Weltraumkolonien, in denen man nach seiner Vorstellung freier leben könnte.Die Veranstalter präsentieren nicht nur, sondern steuern auch einen Gedanken bei: Das Bild vom Blauen Planeten symbolisiert ein Paradox, dem man schwer entkommt. Wäre nämlich die Erde nicht überschritten worden, hätte nicht vom Weltraum aus fotografiert werden können. Was aber fotografiert ist, ist doch nur die Erde in ihrer Geschlossenheit. So stand die Gegenkultur erst recht vor einer Grenze und musste den Überschreitungsweg von Neuem suchen. Kein Zufall, dass es in Kalifornien geschah, dem äußersten Rand der Grenzverschiebungen, über den der Treck der Einwanderer vom Osten her nicht hinaus konnte. Kein Zufall auch, dass sich als einzige weitere Verschiebung die in den „inner space“ empfahl. In ihm sind wir noch heute gefangen.Um das Szenario der Ausstellung zu öffnen, wollen wir etwas anders fragen als die Veranstalter. Sie sind von der heute herrschenden Ideologie ausgegangen, haben nach deren Keim gesucht und die kalifornische Gegenkultur gefunden. Ein fruchtbares Unternehmen, wie sie unter Beweis stellen. Doch auf alles, was sie präsentieren, stößt man auch, wenn man von einem in der Ausstellung eher versteckten Dokument ausgeht: John F. Kennedys Rede, mit der er 1960 dem amerikanischen Volk das Apollo-Projekt ankündigt, den Wettlauf mit der Sowjetunion um die erste Mondlandung. Der Weltraum sei Amerikas „new frontier“, sagt der Präsident in dieser Rede. Die Mondlandung gelingt 1969.Man wird eher hier als in der Grenzlage Kaliforniens den Grund für die neue Grenzüberschreitungseuphorie suchen, denn dass die USA sich bis zum Pazifik ausgebreitet hatten, lag zum Zeitpunkt der Rede schon recht lange zurück. Dann schreibt sich die Geschichte der US-amerikanischen Ökologiebewegung etwas anders – mehr so, wie der US-Amerikaner Donald Fleming sie schon 1972 beschrieb: „In jedem Ökologen steckt ein Raumfahrtkritiker“, ist sein zentraler Satz, wo er dann freilich hinzufügen muss, dass es eigentlich zwei Ökologiebewegungen gab, die nicht sofort miteinander verschmolzen.Das Raumfahrt-ProblemDass Silent Spring (1962), Rachel Carsons’ Buch über die Bodenverseuchung durch DDT, der erste Keim der neuen Ökologiebewegung war, wird allgemein und auch in dieser Ausstellung anerkannt. Weitere Bücher erregen Aufsehen, zum Beispiel Ralph Naders Polemik gegen Autokonzerne und Luftverschmutzung, es entstehen vielerorts Naturschutzbewegungen, und die Zahl der Zeitungsartikel zum Thema wächst sprunghaft, sodass sich Präsident Lyndon Johnson schon 1964 damit gesetzgeberisch auseinandersetzen muss. Die Bewegungen finden allerdings, er tue es nicht ernsthaft. Die Frage ist, was sie schließlich zur einen Bewegung zusammenfasst. Auf der literarischen Ebene das Buch Myth of the Machine von Lewis Mumford, antwortet Fleming. Dieses Buch, 1970 erschienen, fordert dazu auf, für die Bewahrung von Natur und Kultur auf der Erde etwas zu tun, und greift an, dass vielmehr die Raumfahrt gefördert werde.Von hier aus gesehen wäre nicht so sehr das Erdfoto aus dem All als vielmehr die Mondlandung das Ereignis, das die Bewegungen zur Bewegung zusammenschloss. Ihr Anwachsen während der sechziger Jahre erscheint im Nachhinein als sich verallgemeinernder Widerstand gegen einen problematischen Weg der Technikentwicklung, für den die Raumfahrt das Symbol ist. Das wird immer deutlicher empfunden, und so wundert man sich nicht, dass die Bewegung in Präsident Nixon, in dessen Amtszeit die Mondlandung fällt, keinen Verbündeten sieht, obwohl er auch den „Earth Day“ einführt. Für die Wortführer der Bewegung ist das, anders als für die Ausstellungsmacher, ein Ablenkungsmanöver. Ein Senator sagte damals, „der Kampf für eine gesunde Umwelt sei wichtiger als die Raumfahrt, die Entwicklung neuer Waffen oder der Vietnam-Krieg“.Indem die Veranstalter vom Catalog ausgehen, haben sie eine beginnende Vermischung nicht kenntlich gemacht: der Kultur- und Umweltschutzbewegungen mit der Linie derer, die bis hin zur Raumfahrt einen eingefahrenen technologischen Weg einfach fortsetzen. Die Vermischung gerät ihnen zum in sich homogenen, voraussetzungs- und alternativlosen Neuanfang.Wahr ist aber, dass erst im Zug der Vermischung das Bild des Blauen Planeten, fotografiert auf dem Weg zum Mond, an die Stelle der Mondlandungsbilder tritt. Während die Erinnerung an die Mondlandung bald verblasste, prangt die „blue marble“ auf den Ökologiebüchern von James Lovelock (1979) und Al Gore (1992). Die standen auf der Raumfahrtseite, besonders Lovelock, der im Auftrag der NASA untersucht hatte, ob der Mars zum menschlichen Wohnort werden kann, wenn man das CO2 der Erde dorthin verfrachtet und so dem Nachbarplaneten eine Atmosphäre verschafft (auf der Erde könnte dann der Autoverkehr unbesorgt wachsen). Als Ökologe, Schöpfer der „Gaia-Theorie“, machte er sich erst später einen Namen. Al Gore hatte während der Präsidentschaft Ronald Reagans den Senatsunterausschuss für Raumfahrt geleitet.Kein menschlicher Blick mehrMöglich, dass jemand wie Lovelock die von den Veranstaltern hervorgehobene Paradoxie empfand: die Erde fürs Foto überschritten und doch nur durchs Foto in ihrer Geschlossenheit bestätigt. Andere aber sagten, da werde ein Blick auf die Erde geworfen, der kein menschlicher mehr sei. Hannah Arendt schrieb in dieser Zeit, die Naturwissenschaft blicke auf die Erde, als wäre sie selbst „im Universum lokalisiert“. Christina von Braun schrieb später, „mit der Entwicklung der technischen Sehgeräte“ stelle „das sehende Subjekt das Ebenbild eines allmächtigen Gottes dar, der alles sehen kann, aber selbst nicht zu sehen ist“. Und bei Vilém Flusser lesen wir: „Der Marsbewohner würde wahrscheinlich beim Beobachten unserer Hände einen größeren Ekel empfinden als wir, wenn wir die Bewegung von Spinnen beobachten.“ Diese Zeitgenossen sind beunruhigt über eine Gleichgültigkeit gegen Erde und Mensch, die sich zur Feindschaft steigern kann.Sie sind im Außen, denn sie sind nicht gleichgültig. Der Ideologie aber ist es gelungen, die Ökologie zu integrieren – das Außen zum Verschwinden zu bringen. Die Ausstellung hat diese Konfusion ins Licht gerückt, auf deren Auflösung es ankommt.
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