Die Kopflosigkeit, mit der sich die deutsche Regierung in Solidarität übt, ist erschreckend. Das fängt schon mit der Fragestellung an: „Denn wie hätten wir den Franzosen verweigern sollen, was wir den Amerikanern 2001 umstandslos gewährt haben?“ So Jochen Graebert vom ARD-Hauptstadtstudio, der mit diesen Worten den Nerv der Regierungspolitik treffen dürfte. Haben „wir“ Paris gegenüber nicht die Wahl, für eine vernünftige Reaktion auf die Anschläge einzutreten? Washington gegenüber war das unmöglich. Die Supermacht USA nahm und nimmt keine Ratschläge entgegen, ihr kann man nur folgen oder die Gefolgschaft verweigern. Mit Frankreich hätte aber verhandelt werden müssen.
Die erste Reaktion der deutschen Regierung auf den französischen Hilfsappell war die Ankündigung, sich in Mali stärker zu engagieren, um Frankreich dort zu entlasten, damit es sich stärker auf den Kampf gegen den IS konzentrieren könne. Hierin lag schon, dass man diesen französischen Kampf so nahm, wie er sich darbot, obwohl es doch offensichtlich war, worauf Präsident Hollande hinauswollte: kräftig scheinende „Zeichen“ zu setzen, mit Blick auf seine Innenpolitik. So verständlich man das finden muss, besteht etwa nicht die Gefahr, dass durch seine Aktionen die ohnehin konfuse Situation in Nahost noch weiter eskaliert? Könnte es sich nicht um blinden Aktionismus handeln? Allein schon vom französischen und deutschen Engagement in Mali muss aber dasselbe gesagt werden. Auch hier ist nie versucht worden, die konfuse politische Gemengelage zu klären. So gibt es keinen konsensfähigen Fahrplan der Malier über die künftige politische Verfasstheit ihres Landes. Und mehr noch, der Einsatz der Soldaten mit UN-Mandat wird von der malischen Bevölkerung gar nicht akzeptiert. Und sogar die malische Regierung nimmt ihn nur hin, weil Frankreich Druck auf sie ausgeübt hat.
Sterben als politische Geste
Die deutsche Regierung wird auch von der SPD getragen – man scheint es vergessen zu können. Die Bundestagsfraktion dieser Partei hat eine Sprecherin für Krisenprävention eingesetzt, Ute Finckh-Krämer. Die sagt, es sei für den Friedensprozess in Mali entscheidend, „dass wirtschaftliche und soziale Ursachen der Konflikte bearbeitet werden“. Mehr deutsche Beteiligung sei dann „eher im Bereich Polizei und Verwaltungsaufbau als durch zusätzliche Soldaten“ sinnvoll. Genau das geschieht aber jetzt: 650 Soldaten will Bundesverteidigungsministerin von der Leyen in den Norden des Landes schicken, um eine Bevölkerung zu schützen, die sich gar nicht schützen lassen will. Bislang sind dort nur zehn deutsche Soldaten stationiert, 210 weitere befinden sich im ruhigeren Süden, wo sie sich an Kampfhandlungen nicht beteiligen. Das wird im Norden nun anders werden. „MINUSMA“, die dortige Blauhelm-Mission, ist eine bewaffnete. Folgen hat sie bisher nicht gehabt, außer dass 55 UN-Soldaten starben. Das Gebiet wird weiterhin von Überfällen und Sprengstoff-Attentaten erschüttert.
Übrigens war der deutsche Einsatz im Norden ohnehin geplant, die dort vor allem tätigen Niederländer hatten darum gebeten. Nur dass es nun gleich 650 Soldaten sind, kann als Reaktion auf die Pariser Anschläge gelten, mit denen sie aber gar nichts verbindet. Wenn nun auch deutsche Soldaten sterben werden, dann um einer rein symbolischen Geste willen, von der die malischen Probleme einer Lösung nicht nähergebracht werden. Was eigentlich geschehen müsste, ist die Versöhnung der malischen Parteien. Zu denen gehören im Norden nicht nur unversöhnliche Islamisten, sondern auch Tuareg-Rebellen, die einen Anspruch auf Gehör haben. Als in der Folge des Bürgerkriegs in Libyen 2011 libysche Tuareg, die dort Gaddafi unterstützt hatten, das Land verlassen und zu ihren malischen Stammesgenossen ausweichen mussten, wurde der malische Norden unruhig und der Regierung in Bamako fiel nichts Besseres ein, als ihre Truppen dorthin zu entsenden. Da sie der Lage nicht Herr wurden, kam es in der Hauptstadt zum Militärputsch. Doch auch die neue Regierung richtete nichts aus. In dieser Situation konnten sich die Islamisten überhaupt erst ausbreiten.
Dann übernahm Frankreich, die Ex-Kolonialmacht, das militärische Geschäft und ließ sich nachträglich mit dem UN-Mandat ausstatten. Der Verlauf zeigt mustergültig, wie sich eine unkontrollierte Eskalation entfaltet: Niemand versucht, das Feuer zu löschen, sondern eine Partei nach der andern gießt Öl hinein – nun auch die Deutschen. Und wer hat die Eskalation eröffnet? Die USA, England und Frankreich mit ihrer militärischen Intervention in Libyen. Was kürzlich der Völkerrechtler Reinhard Merkel für Syrien feststellte, galt schon dort: Parteien von außen zu bewaffnen, damit sie einen Bürgerkrieg führen können, ist angesichts der Folgen für die Bevölkerung selbst dann ein Verbrechen, wenn man meint, diese Parteien seien im Recht.
Auch nach Syrien und in den Irak wird die Bundeswehr dem französischen Präsidenten folgen. Da sind deutlich mehr deutsche Soldaten beteiligt wie in Mali. Das Fatale, ja die Absurdität der geplanten Aktionen springt noch mehr ins Auge. Frankreich unternimmt Luftschläge gegen den IS: Die werden unterstützt. Sind nun schon die Luftschläge, die bisher von den USA unternommen wurden, nutzlos und kontraproduktiv gewesen, so machen die französischen Flüge gegen Raqqa alles noch viel schlimmer, als es schon ist. Raqqa ist eine IS-Hochburg, ja, aber es ist vor allem auch eine Stadt: Wie soll es da aus der Bomberhöhe gelingen, die IS-Kämpfer von der Stadtbevölkerung zu trennen, damit nur jene bombardiert werden? Schon wurde ein Krankenhaus getroffen, die Bilder davon gehen durch die arabische Welt und werden Frankreich nicht gerade Sympathie einbringen.
Was soll gut daran sein, dass Deutschland sich hier mitschuldig macht? Um aber das Absurde noch zu steigern, unterstützt die deutsche Regierung den französischen Aktionismus auf eine Art, die sogar rein technisch gesehen vollkommen unsinnig ist. Es werden Tornados entsandt, deren Aufgabe es ist, Treffziele für die französischen Bomber zu klären. Doch zunächst einmal sind das Maschinen mit veralteter Technik, deren Wirksamkeit heute von der von Drohnen weit übertroffen wird. Sodann haben sie in der Gemengelage einer Stadt gar keine Chance, die IS-Kämpfer als Flugziel zu isolieren. Nur zusammen mit Soldaten, die am Boden mitwirken, wären sie selbst wirksam. Aber so nutzlos ihr Einsatz auch ist, sie müssen ihn tieffliegend unternehmen und bieten sich daher dem Abschuss durch IS-Kämpfer dar.
Mit der Fregatte, die einen französischen Flugzeugträger vor der syrischen Küste eskortieren soll, steht es nicht besser. Denn da kaum zu erwarten ist, dass der IS nun eine Luftwaffe aufstellt, um das französische Schiff zu beschießen, braucht es davor von deutscher Seite auch nicht beschützt zu werden.
Es handelt sich also auch hier um pure Symbolpolitik, die zwar den Tod von Menschen zur Folge haben wird, die Situation im Konfliktgebiet aber nur noch weiter eskaliert. War es nicht vor den Pariser Anschlägen klar, wie verworren die Lage ist? Als ob das nicht bekannt wäre, setzt der französische Präsident noch einen drauf, und die deutsche Regierung unterstützt seine Fehler, denn das wenigstens springt bei aller Absurdität auf der technischen Ebene politisch heraus.
Krieg der Stellvertreter
Dabei wird doch gerade in diesen Wochen immer deutlicher, durch den türkischen Abschuss einer russischen Maschine über Syrien nicht zuletzt, was im syrisch-irakischen Konfliktgebiet eigentlich gespielt wird. Die Türkei unterstützt letztendlich den IS, Saudi-Arabien hat ihn auf verschlungenen Wegen finanziell und ganz offen ideologisch ausgerüstet; was da stattfindet, ist ein Stellvertreterkrieg, über dessen wahren Charakter sich täuscht, wer nur auf die Grausamkeiten des IS schaut. Wie könnten denn 30.000 IS-Kämpfer die Welt in Atem halten, wenn nicht noch ganz andere und viel stärkere Kräfte, gewisse Staaten in der Region eben, hinter ihnen stünden? Und warum entsetzt man sich über die Enthauptungen des „Islamischen Staats“, wo man doch weiß, dass auch in Saudi-Arabien Menschen enthauptet werden? Der Unterschied ist doch nur, dass der IS Enthauptungsvideos ins Netz stellt, was die saudische Regierung wohlweislich unterlässt.
Indem die deutsche Regierung Hollandes Aktionismus unterstützt, höhlt sie das Völkerrecht weiter aus. Der Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags begründet die Pflicht und das Recht eines deutschen Beistands nur dann, wenn zuvor auch ein UN-Mandat gesucht und erteilt worden ist. Das hätte abgewartet werden müssen, bevor die Bundesregierung konkrete „Hilfen“ beschließt, die sich nur schädlich auswirken können. Russland darf eingreifen, denn es wurde von der syrischen Regierung gerufen. Wenn es das aber tut, wird es vom NATO-Mitglied Türkei militärisch bekämpft, und die FAZ, ein deutsches Leitmedium, kommentiert: „Man kann bezweifeln, dass der Abschuss klug war. Aber Ankara war nicht der Provokateur.“
Nein, man hat seit zwei Jahren den Eindruck, dass sich die Politik zunehmend in ein Irrenhaus verwandelt. Die Pariser Anschläge haben keine Besserung bewirkt – im Gegenteil.
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