Gregor Gysi geht, die Linke muss sich neu erfinden
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Ob Gregor Gysis Abschied diesmal der endgültige ist? Schon einmal wollte er gehen und kehrte schnell zurück. Damals hatte sich gezeigt, dass die Partei ohne ihn als Integrationsfigur noch nicht auskam. In dieser Funktion mag er inzwischen weniger gebraucht werden. Katja Kipping und Bernd Riexinger, die die Linke seit 2012 führen, wirken sehr integrierend. Heute wirkt Gysis Schritt aus einem anderen Grund fragwürdig. Weil er zugleich betont, man müsse nun anfangen, eine rot-rot-grüne Regierung auf Bundesebene nach 2017 vorzubereiten. „Wir können und sollten auch auf Bundesebene regieren wollen, und zwar selbstbewusst, mit Kompromissen, aber ohne falsche Zugeständnisse“, gab er seiner Partei vergangenen Sonntag in Bielefeld mit auf den Weg.
eg.Glaubt er denn, das werde auch ohne ihn über die Bühne gehen? Und in zwei Jahren kann er dann Bundesminister werden, selbst wenn er jetzt alle Ambitionen bestreitet? Dass sich die Dinge so entwickeln, ist ziemlich ungewiss. Sicher ist aber, dass die gewünschte Koalition nie erreichbarer schien als jetzt: Die SPD schließt sie seit 2013 nicht mehr aus, der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel tauschte sich vor ein paar Wochen mit Gysi über sie aus.Der faktische ParteiführerAuf dem Parteitag in Bielefeld machte Sahra Wagenknecht aber deutlich, wie groß die Hindernisse für ein solches Bündnis aus ihrer Sicht sind. Und was die gewünschte Koalition angeht, scheint Gysi auch vergessen zu haben, dass den Grünen seit Beginn der Ukrainekrise die Lust an ihr vergangen sein könnte. Das wirft die Frage auf, wie es um seine strategische Fähigkeiten bestellt ist. Er spricht davon, dass das Bündnis mit der SPD an der Ukraine nicht scheitern brauche. Hartz IV sei ein härterer Stolperstein. Bei den Grünen wäre es umgekehrt.Fragen wir allgemeiner: Kann Gysi auf strategische Erfolge zurückblicken, oder gibt er die Aussicht auf solche als sein Vermächtnis weiter? Der faktische Parteiführer, der er, egal in welchen Ämtern, immer gewesen ist, muss an dieser Frage gemessen werden. Seine Strategie war immer dieselbe: Wenn es 2017 tatsächlich zu einer rot-rot-grünen Regierung käme, würde man daher rückblickend eine starke Führungsfigur in Gysi sehen. Eine, die dicke Bretter geduldig durchbohrt hat, ein Vierteljahrhundert hindurch, allen innerparteilichem Widerstand zum Trotz.Placeholder image-1Auf dieser Linie verließ ihn nie die Konsequenz. Schon gleich nach 1990 stellte er sich entschieden gegen Wagenknecht und weigerte sich standhaft bis heute, die Bundestagsfraktion mit ihr zusammen zu führen. Schon 1995 warb er in einem Papier, das er mit Lothar Bisky zusammen verfasste, für eine „pragmatische Politik“. Dass in Berlin 2001 unter Gysis maßgeblicher Beteiligung ein rot-roter Senat zustande kam, war zweifellos ein Markstein auf diesem Weg. Allerdings verspielte er den Erfolg fast, als er, kaum als Wirtschaftssenator im Amt, kurz darauf wieder zurücktrat. Die Begründung, er habe sich in einen Bonusflugmeilen-Skandal verwickelt, diente da wohl nur als Vorwand.Gysi scheute sich auch all die Jahre nicht, für eine andere Militärpolitik seiner Partei zu werben, ohne die ein Mitregieren im Bund undenkbar scheint. Er tat das auch in Form von Veröffentlichungen. Bei seiner Abtrittsrede in Bielefeld riet er der Partei nun, sich von der Forderung nach dem Totalstopp aller Waffenexporte zu verabschieden, und stattdessen ein Lieferverbot in Krisenregionen wirklich umzusetzen. Genauso mahnte er im Hinblick auf die Bundeswehr Pragmatismus an. Man würde als Regierungspartei nicht alle Auslandseinsätze verhindern können, aber doch solche wie in Ex-Jugoslawien und Afghanistan. „Welcher gewaltige Fortschritt wäre das?“, fragte er. Aber stellt er sich das nicht zu einfach vor? Glaubt er, man könne gegen große Teile der eigenen Partei regieren?Placeholder image-2Und wenn er selbst sieht, dass Hartz IV noch skandalöser ist als die Militärpolitik, kann er denn auch da sagen, das stünde nicht an? Hartz IV ist doch immer präsent, jeden Monat für die Betroffenen, die sich von der Politik seiner Partei grundlegende Änderungen versprechen. Erinnert Gysi sich nicht, wie es einst den französischen Kommunisten ergangen ist, als sie sich zur Koalition mit dem Sozialisten Francois Mitterand bereitfanden?Er bräuchte nur an die Erfahrungen seiner eigenen Partei mit der Berliner Koalition zwischen 2001 und 2011 zu denken. Die PDS, später die Linkspartei, die vorher in Berlin 22,6 Prozent der Wählerstimmen erhalten hatte, war danach auf 11,7 Prozent gesunken. Und was hat sie dafür durchgesetzt? Das Sozialticket für den Öffentlichen Verkehr wurde wieder eingeführt, die Privatisierung des Sparkassenbereichs verhindert. Es soll hier gar nicht behauptet werden, Gysis Strategie habe sich als untauglich erwiesen. Sie bleibt in der Debatte. Nie aber hat er versucht, für die seit langem bekannten Probleme, auf die man stößt, wenn man ihr folgt, Lösungen anzubieten. Geschweige denn eine wirklich offene innerparteiliche Debatte zu führen.Placeholder infobox-1Eines muss man einräumen. Wenn Rot-Rot-Grün jemals zustande kommt, wird es Gysis persönliches Verdienst gewesen sein, eine mächtige Barriere unwirksam gemacht zu haben: die von der Union betriebene Politik der Ausgrenzung der PDS und später der Linkspartei. Einen Mann wie Gysi auszugrenzen, der offen und eloquent ist, der scharf argumentiert und dabei noch unterhält, das ist sehr schwierig. Das geht eigentlich nicht. Nicht in unserer Mediendemokratie! Und weil er für die Partei stand, konnte auch sie langfristig nicht ausgegrenzt werden. Die Union mochte noch so giftig über „die roten Socken“ der PDS herziehen, es vertrug sich nicht mit Gysis Image. Wenn man zurückblickt, ist schon lange klar, dass die SPD nur aus Vorsicht, nicht aus Überzeugung die Koalition im Bund vermied. Außerdem liegt ihr daran, die linkere Partei zurechtzubiegen, bevor sie ihr das Mitregieren erlaubt. Einen Protest der Öffentlichkeit braucht sie aber nicht mehr zu befürchten.Personen statt KonzepteSeine eigene Partei auf Linie zu bringen, ist Gysi nie gelungen. Warum gelangte weder die PDS, noch später die Linkspartei zur Einheit mit sich selbst? Immerhin zerfiel die Partei nicht. Schon das war alles andere als selbstverständlich, und daran hatte Gysi gewaltigen Anteil. Feuerwehraktionen gegen Zerfallstendenzen, das beherrscht er. Als glänzender Jurist hatte er immer die treffende Unterscheidung parat, die einem einfallen musste, wenn sich einander völlig misstrauende Parteitagsdelegierte in Nahkämpfen verwickelten.Besonders auf den ersten Tagungen nach 1990 war das extrem wichtig. Um die Partei aber wirklich zu einen, hätte er ein programmatisches Konzept gebraucht. Daran mangelte es, ja das interessierte Gysi nicht genügend. Ihm war wichtig, sich vom Unrecht in der DDR zu distanzieren, auch Israels Existenzrecht zu verteidigen – und für beides muss man ihm dankbar sein. Den Kapitalismus griff er aber weniger grundsätzlich an als Papst Wojtyla, der doch den Kommunismus so aktiv bekämpft hatte.Gysi machte zwar manchmal als Erster brisante Sachverhalte publik, wie etwa, dass Konzerne kaum Steuern zahlten. Mehr aber auch nicht. Wenn seine Haltung eine andere gewesen wäre, hätte sich sein Verhältnis zu Wagenknecht bessern können. Und davon hätte die ganze Partei profitiert. Gysi bewegte sich aber nie, Wagenknecht tat es. Sie wandelte sich zur Anhängerin der sozialen Marktwirtschaft. Warum führte das nicht zu einer Annäherung der beiden?Placeholder image-3Spätestens als Gysi sich auch mit Lafontaine zerstritt, musste man argwöhnen, dass seine Fähigkeit, auf andere zuzugehen und sie erst einmal zu ertragen, begrenzt war. Die veröffentlichte Meinung gab natürlich Lafontaine die Alleinschuld. Wenn man sich aber die Reden anschaut, die von beiden auf dem Göttinger Parteitag 2012 gehalten wurden, wirkt diese Behauptung absurd. Gysi redete mehr noch an Lafontaine vorbei als dieser an ihm. Lafontaine fragte, wo denn eigentlich Differenzen bestünden. Er könne keine entdecken, denn während der Programmdebatte seien keine geäußert worden. Während jedoch Lafontaines Gegner in verstockter Stummheit verharrten, beklagte sich Gysi über den Hass, auf den er in der Bundestagsfraktion stoße. Das waren für Lafontaine „Befindlichkeiten“. Oder anders gesagt: Lafontaine war härter.Statt auf Programmfragen einzugehen, kritisierte Gysi einen Ost-West-Konflikt in der Partei. Die Westverbände verträten nur einige Interessen, die Ostverbände aber alle, sie hätten mithin das überlegene Konzept als Volkspartei. Lafontaine jedoch zählte nicht Interessen zusammen, sondern wollte einer Partei der Arbeiterbewegung angehören, die der ganzen Gesellschaft den Fortschritt ermögliche. So wie sich früher die SPD verstanden hatte. Warum konnte Gysi sich damit nicht auseinandersetzen? Wo es doch Konsens in der Partei war, dass man von der SPD aufgegebene Positionen einnehmen sollte? Wenn man verallgemeinert, scheint man sagen zu können, Gysi habe sich eher mit Personen als mit Konzepten auseinandergesetzt. Für die Partei wäre die umgekehrte Reihenfolge oftmals besser gewesen.Dass Kipping und Riexinger 2012 Parteivorsitzende wurden, ist nicht Gysis Verdienst. Die Beiden sind für strategische Varianten wohl auch offener als er. Gysi kann man – bei allen individuellen Unterschiedenen – in der Funktion für seine Partei gut mit Joschka Fischer vergleichen, der für die Grünen eine ähnliche Rolle spielte wie Gysi für die PDS und später für die Linkspartei: redegewandt, gern gesehener Talkshowgast und sturer Anhänger des SPD-Bündnisses.Die Linkspartei freut sich neuerdings, wenn die ihr nahestehende griechische Partei Syriza keine Verpflichtung mehr sieht, sich unter allen Umständen der Sozialdemokratie anzuschließen. Da scheint es, als trete Gysi doch zur rechten Zeit zurück. Indem er an Hartz IV erinnerte, hat er den springenden Punkt selbst benannt: Mit einer Partei, die diesen Skandal nicht endlich beendet, sollte man so wenig koalieren wie mit einer, die sich, wie in Griechenland geschehen, die Zerstörung des Gesundheitssystems gefallen lässt.Placeholder link-1Placeholder link-2
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