Gesine Lötzsch ist nicht mehr Vorsitzende der Linkspartei. Sie trat am Mittwoch zurück, um Zeit für ihren Mann zu haben, der am 31. März wegen einer „altersbedingten Krankheit“ ins Krankenhaus kam. Das erklärte sie, und es gibt keinen Grund, an dieser Begründung zu zweifeln. Sie hatte eigentlich im Juni erneut für ihr Amt kandidieren wollen. Lötzsch ist eine kämpferische Frau, die sich davon nicht ins Bockshorn jagen lassen wollte, dass man ihr nachsagte, ihre Amtsführung – und auch die ihres Ko-Vorsitzenden Klaus Ernst – sei „glücklos“.
Darüber, warum sie „glücklos“ war, und wie ihre Partei es in Zukunft besser machen kann, darf nun nachgedacht werden. Aber war sie selbst „glücklos“ oder ist es nicht eher ihre Partei im Umgang mit ihren Vorsitzenden, genauer gesagt: mit dem Versuch, für Lothar Bisky, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine Nachfolger aus einer jüngeren Generation zu finden?
Wie schwer es der Partei fällt, die Führungsrolle einer Vorsitzenden zu respektieren, die nicht gleichsam sowieso immer schon geführt hat, hatte sich bereits in der Amtszeit Gabi Zimmers gezeigt. Das war 2000-2003, als die Partei noch PDS hieß, und es hat sich seither in dieser Hinsicht nichts geändert. Nachdem Zimmer resigniert hatte, musste Bisky, ihr Vorgänger, es noch einmal machen. Ebenso wird jetzt seit Monaten darüber geredet, ob der Partei noch anders zu helfen sei, als dass Lafontaine ins Vorsitzendenamt zurückkehre. Lötzsch wäre deshalb zwar nicht zurückgetreten, hätte Ko-Vorsitzende neben ihm bleiben können, aber es war klar, warum die Rede so gegangen war: weil die Partei mit ihr und Ernst angeblich nicht vorankomme.
Flügelkämpfe und Misstrauen
In Wahrheit kommt sie deshalb nicht voran, weil sie in Flügel zerrissen ist und diese nicht willens sind oder nicht den Mut haben, sich zusammenzuraufen. Dazu müssten sie sich ja an einen Tisch setzen und ziemlich viel miteinander reden. Stattdessen achten sie misstrauisch darauf, dass ihre formelle Führung nicht dem einen Flügel mehr zuneigt als dem andern. So konnte sich Lötzsch der außer- wie auch innerparteilichen Aufmerksamkeit sicher sein, wenn sie den Satz niederschrieb, die Wege zum Kommunismus müßten in Regierung oder Opposition ausprobiert werden. Sonst hörte man weniger auf sie. Dabei hatte sie nur zu einem vorgegebenen innerparteilichen Thema Stellung genommen. Wenn im Parteiumfeld über Wege zum Kommunismus diskutiert wurde, sollte sie dann die Einladung ausschlagen, sich daran zu beteiligen? Sie beteiligte sich, und ihre Stellungnahme war: Regierung oder Opposition – nicht erstaunlich und kaum verkehrt, aber hinreichend, um in der mit sich uneinigen Partei die Nerven blank zu legen. Sie hatte übrigens noch hinzugefügt, dass es Rosa Luxemburg zu folgen gelte – in deren Ziel eines demokratischen Sozialismus, der auf Freiheit setze.
Wie soll es nun weitergehen? Falls Lafontaine tatsächlich noch einmal Vorsitzender werden will und es dann sicher auch wird, rechnet man mit Dagmar Enkelmann oder Katja Kipping als Ko-Vorsitzender. Ob das aber eine gute Lösung wäre, ist fraglich. Das Problem, für Lafontaine einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden, würde dadurch nur einmal mehr vertagt. Er kann ja nicht noch mehrere Male sein eigener Nachfolger sein. Irgendwann muss die alte Garde doch abtreten. Die andere Variante, die gehandelt wird: Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, könnte der Partei vielleicht mehr nützen. Ihre Vorsitzenden wären die wirklichen Galionsfiguren ihrer Flügel.
Zwei wie Gabriel und Nahles?
Bartsch und Wagenknecht wäre die linke Entsprechung für Gabriel und Nahles. Es wäre also auch eine Art Normalisierung – schmerzlich für den Moment, aber vielleicht eine notwendige Durchgangsstufe. Wie Gabriel sich gegen Nahles durchsetzt, würde sich der im Parteiapparat erfahrene Bartsch wohl anfänglich gegen Wagenknecht durchsetzen, die bisher eher als Buchautorin hervorgetreten ist. Aber das müsste nicht so bleiben. Immerhin hätte Wagenknecht mit Lafontaine einen Berater an ihrer Seite, vor dessen Erfahrung und politischem Schwergewicht auch ein Dietmar Bartsch verblasst. Wer weiß, ob Lafontaine nicht sogar selbst eine solche Lösung heimlich favorisiert. Denn er ist klug genug zu wissen, dass ihm im Grunde nur noch der Versuch bleibt, seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin selbst zu bestimmen.
In der gegenwärtigen Phase würde ein Ko-Vorsitz Bartsch – Wagenknecht die Partei ehrlich repräsentieren. Weil die beiden in ihrem jeweiligen Parteiflügel anerkannt sind, hätte er auch Autorität. Und Wagenknecht könnte zeigen, ob sie die eigentliche Nachfolgerin der Altvorderen Bisky, Gysi und Lafontaine werden kann. Sie scheint dazu qualifiziert, seit sie sich auf ihre Weise zur Marktwirtschaft bekannt hat. Dass sie hauptsächlich Wege zu einer anderen Gesellschaft ausprobieren würde, in Regierung und Opposition, ist sicher.
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