Weil sie uns befehlen zu helfen

Linke Nun hat Gregor Gysi seine Forderung nach Waffenlieferungen wieder zurückgenommen. Er verhindert damit eine überfällige Debatte
Ausgabe 35/2014
Weil sie uns befehlen zu helfen

Die Linke macht keine gute Figur, was ihre Haltung zur IS-Offensive angeht. Denn was ist das für eine Partei, deren Galionsfigur Gregor Gysi eine Waffenlieferung an Kurden erst fordert und gleich danach die Forderung zurückzieht mit der Begründung, man habe ihn informiert, dass die Waffen nicht gebraucht würden? Ein Fraktionsvorsitzender, der sich solche Desinformiertheit leistet, müsste man ihn nicht zum Rücktritt auffordern? Man weiß aber: Gysi zählt zum sogenannten Reformerflügel, der mit der Mehrheit der Partei auch in der Frage der Friedenspolitik über Kreuz liegt. Da wird man urteilen, dass er einen Vorstoß versucht hat und schnell den Rückzug antreten musste, weil er sah, dass der Widerstand zu groß war.

Widerstand war zu erwarten gewesen. Denn im 2011 beschlossenen Parteiprogramm steht klar, dass die Linke eine „Friedenspartei“ ist, die sich dem Gebot der Gewaltfreiheit unterstellt und daraus ihr „Engagement gegen militärische Logiken im Umgang mit Konflikten“ ableitet. Dieser negativen Bestimmung steht als positive nur gegenüber, dass „Konfliktursachen“ im Vorhinein aus der Welt geschafft werden müssen. Wenn dann gleich anschließend der Hinweis kommt, dass „soziale wie ökonomisch und ökologisch nachhaltige Bedingungen als Voraussetzung für dauerhafte friedliche Entwicklungen erachtet“ würden, ahnen wir schon, die Entfernung der Konfliktursachen verspricht langwierig zu werden.

Was zum Beispiel verstehen die allermeisten Parteimitglieder unter „ökonomisch nachhaltigen Bedingungen“ des nachhaltigen Friedens, wenn nicht das Ende des Kapitalismus? Auch wenn Linke sich noch so sehr engagieren, sie werden es nicht von heute auf morgen herbeiführen. Deshalb würde man gern auch lesen, wie in einer vorläufig bestehenden Welt der Kriege selbst dann für Frieden gesorgt wird, wenn klar ist, dass ein Krieg vielleicht nur vertrieben werden kann, seine Rückkehr aber nicht auszuschließen ist. Wenn die Konfliktursachen bestehen bleiben, wenn vielleicht nichts möglich ist, als den schon eingetretenen Übergang von der Ursache zur Kriegswirkung rückgängig zu machen. Was heißt „Engagement gegen militärische Logiken im Umgang mit Konflikten“, wenn sich der Konflikt der Hutus und Tutsis in einem Völkermord entlädt, der nicht nur Ursachen hat, sondern schon stattfindet?

In den Programmen der Linkspartei und vor ihr der PDS haben immer solche Sätze gestanden. Sie könnte sich deshalb fragen, welche Erfahrungen sie hat sammeln können. Beim Völkermord in Ruanda war die PDS nicht gefordert aus dem schlimmen Grund, dass auch alle anderen Parteien über ihn hinwegsahen. Den Kosovo-Krieg, an dem sich die rot-grüne Regierung beteiligte, prangerte sie richtig als Völkerrechtsverletzung an. Bald danach aber, als Bundeskanzler Gerhard Schröder den Krieg der USA gegen Saddam Hussein kritisierte, erlitt sie Schiffbruch und flog aus dem Bundestag. Warum? Während Schröder im Wahlkampf mit seiner Kritik punktete, stellte die PDS ihn als unglaubwürdig hin, weil er vorher dem US-Präsidenten George W. Bush seine Solidarität im „Krieg gegen den Terror“ ausgesprochen hatte. Wie das mit dem Friedensprogramm der Partei zusammenhing, war von außen gar nicht ersichtlich. Man glaubte, bloß weil Wahlkampf sei, bringe sie es nicht fertig, dem Rivalen auch einmal recht zu geben. Das schadete ihr. Der Zusammenhang mit dem Programm lag darin, dass wenn militärische Mittel immer falsch sind, man einem Staatsmann niemals mehr traut, der sie schon mehrmals befürwortet hat.

Ist sie pazifistisch ...

Undurchsichtig war auch der Meinungsstreit in der Partei. Nie äußerte ein „Reformer“, dass Gabi Zimmer, die damalige Parteivorsitzende, einen anderen Wahlkampf hätte führen sollen. Als er aber verloren war, legten sie es ihr zur Last und versuchten vergeblich, sie noch im selben Jahr 2002 zu stürzen. Wenn es eine Differenz in der Haltung zu Schröder gab, ausgesprochen wurde sie nicht. Sie wurde aber darin sichtbar, dass Roland Claus, der auf dem Parteitag gegen Zimmer kandidierte, sich ein paar Monate vorher bei Präsident Bush entschuldigt hatte für den Protest von Bundestagsabgeordneten der PDS gegen dessen Rede im Bundestag.

Erst Jahre später brachen die „Reformer“ ihr Schweigen. Mit einer Spitze gegen Oskar Lafontaine, den Parteivorsitzenden der neu gegründeten Linkspartei, sagte Bodo Ramelow 2010, er wolle eine Antikriegspartei, aber keine pazifistische Partei. Pazifismus sei ihm zu eng. Es müsse zur Kenntnis genommen werden, dass das Völkerrecht Kriege bei Völkermord nicht ausschließe. Ende 2013 erschien dann der Sammelband Linke Außenpolitik. Reformperspektiven, zu dem Gysi das Vorwort schrieb und in dem gefragt wird, ob „nicht eine Verabsolutierung des Einmischungsverbots moralisch und juristisch an eine Grenze stößt, wenn es um Genozid beziehungsweise Massenmord geht“. Mehr noch: Sich darauf zu verlassen, lesen wir da, dass es „die anderen richten sollen“, sei „moralisch fragwürdig“.

Hieran muss man sich erinnern, um Gysis jüngste Volte einordnen zu können. Er hat offenbar gedacht, die Frage der Waffenlieferung an die Kurden sei nun an der Zeit. Als er aber den Rückzieher machte, konnte er sich nicht anders rechtfertigen als mit dem Hinweis, dass ja noch andere Staaten Waffen lieferten, Deutschlands Rolle sei das nicht. Die anderen sollten es richten!

Dem war im Frühsommer die Debatte vorausgegangen, ob man dafür sein könne, dass die Bundeswehr an der Zerstörung der syrischen Chemiewaffen teilnahm. Alle in der Linkspartei waren einig, dass es richtig war, sie zu zerstören. Trotzdem konnte Gysi nicht einmal durchsetzen, dass die Bundestagsfraktion sich, als es um die deutsche Beteiligung ging, geschlossen der Stimme enthielt – es gab Jastimmen, Neinstimmen und Enthaltungen. Das da schon veröffentlichte Buch der „Reformer“ hatte offenbar nicht überzeugt. Es war freilich davon belastet, dass es offenkundig vor allem geschrieben war, um die künftige Koalition mit der SPD zu erleichtern. Da stand auch drin, die Linke könne sich zur NATO bekennen unter der Bedingung, dass sie „reformiert“ werde. Es ist schade, dass die „Reformer“ die Frage der Intervention bei Völkermord mit der Koalitionsfrage vermischt haben. Man kann sie doch auch dann bejahen, wenn man sich von einer Koalition mit der SPD nichts verspricht.

Und nun hat Gysi auch die Chance verstreichen lassen, anhand der aktuellen Waffenlieferungsfrage für die Haltung der „Reformer“ zu kämpfen. Das ist schade, weil die Frage zum Symbol geworden ist. Dies betonen heute zwar diejenigen, die den unbedingten Pazifismus verteidigen. „Symbolpolitik“ sei es, wenn die Regierung die Waffenlieferungsfrage so hochspiele, sagen sie. Das stimmt. Aber Gysi hat dieselbe Frage zum Symbol für eine andere Linie machen wollen: dass in Ausnahmefällen, nur dann, militärisch gehandelt werden muss. Deshalb ist seine jüngste Äußerung, die Kurden hätten schon genug Waffen, so enttäuschend – weil sie die symbolische Ebene, kaum betreten, schon wieder verlässt.

Auch wenn die Einschätzung der Waffenlage richtig sein sollte: Sind denn die Kurden die einzigen Opfer des IS? Nein, es leben noch andere Menschen in den Gebieten, die IS-Terroristen beherrschen und, wenn man sie nicht stoppt, noch beherrschen werden. Vielleicht ist eine andere militärische Reaktion geeigneter, sie zu stoppen, jedenfalls geht es darum, deren Notwendigkeit zu begründen.

Gerade der Linkspartei fällt da eine wichtige Rolle zu. Wem, wenn nicht ihr, traut man es zu, dass wirklich nur die Ausnahme als Ausnahme festgehalten wird, statt dass eine neue und dann notwendig falsche Regel daraus entsteht? Diesen Weg zu beschreiten wäre Pionierarbeit, denn wir erleben es ja dieser Tage, dass uns die Begriffe fehlen. So müsste zum einem eine institutionelle Regelung entworfen werden, die garantiert, dass der Ausnahmefall Ausnahmefall bleibt. Zum andern sind begriffliche, ja philosophische Klärungen erforderlich. Denn die Ausnahme, die nicht zur Regel wird, ist schwer zu denken. Man kann sich das an Immanuel Kants kategorischem Imperativ klar machen, der das Individuum auffordert, stets so zu handeln, dass seine Handlungsmaxime zum allgemeinen Gesetz verallgemeinert werden könnte.

… oder gegen den Krieg?

Damit sind nicht nur Handlungen gemeint, die sich in den Bahnen schon vorhandener Gesetze bewegen, sondern auch solche, für die ein neues sie einschließendes Gesetz erst geschaffen werden müsste, aber eben auch könnte. Im zweiten Fall hätten wir es mit einer einmaligen Handlung zu tun, die sich aber nur dadurch legitimieren kann, dass sie ihre Einmaligkeit sofort aufgibt und zur Richtschnur wird. Eine Ausnahme ist sie dann gerade nicht. Kants Philosophie hat noch keine Linguistik einbezogen. Man kann heute fragen, ob nicht der Begriff der „Symbolpolitik“ aus dem Dilemma herausführen könnte. Kann nicht ein Symbol in zweierlei Richtung verallgemeinert werden? Dadurch, dass eine Situation wie die der IS-Offensive zum Symbol einer neuen Richtlinie wird, zum Beispiel Deutschland müsse sich in der Welt (militärisch) mehr engagieren. Aber auch dadurch, dass die Elemente der Situation selbst durchdacht, unterschieden, im Zusammenhang gesehen und auf den Begriff gebracht werden.

Wenn man das tut und also von Bushs Irakkrieg über das Bündnis der USA mit Katar und Saudi-Arabien, den von dort aus bewaffneten IS bis hin zu seinem grausamen Weltbild den roten Faden sucht und findet – um nicht noch mehr aufzuzählen –, dann wird die IS-Offensive zum Symbol einer verfehlten Politik des Westens und speziell der USA. Daraus entspringen zwei Handlungsmaximen: Erstens eine andere westliche Politik, damit sich solche Katastrophen nicht wiederholen. Insofern wird aus der Situation eine Regel gewonnen. Zweitens aber die Maxime, der Katastrophe nicht tatenlos zuzuschauen, sondern sie so schnell wie möglich zu beenden. Aus dieser Seite der Sache entsteht keine weitere Verallgemeinerung, jedenfalls nicht aufseiten derer, die auf die Situation handelnd reagieren.

Der Philosoph Emmanuel Levinas hat darüber einmal geschrieben: dass meiner Handlung, worin immer sie bestehen wird, das leidende „Antlitz des Anderen“ zuvorkommt und ich es sehe. Es befiehlt mir stumm, ich müsse helfen.

Zuletzt schrieb Michael Jäger über die Frage, ob man sich kategorisch aus Kriegen heraushalten könne. Nach dieser Titelgeschichte der vergangenen Woche führen wir hier das Thema weiter

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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