Abstieg der Aufsteiger

G20-Gipfel II Schwellenländer wie Indien und China leiden unter der Geldpolitik der USA und der EU. Bahnt sich da eine neue Finanzkrise an?
Ausgabe 35/2013
Abstieg der Aufsteiger

Foto: Alexander Nemenov/AFP/Getty Images

Seit dem ersten Weltfinanzgipfel Ende 2008 erlebt St. Petersburg das inzwischen achte Krisentreffen der G20. Diesmal steht zunächst ein hehres Ziel ganz oben auf der Agenda: Der organisierten Steuerflucht von Großkonzernen und Privatanlegern soll weltweit begegnet werden. Allein in der EU gehen den Staatshaushalten dadurch im Jahr mehr als eine Billion Euro verloren, schätzt EU-Steuerkommissar Algirdas Šemeta. Im Juli hat nun die OECD dazu einen 15-Punkte-Plan vorgelegt, dem sich die G20-Finanzminister anschließen werden.

Finanzminister Wolfgang Schäuble sprach dazu ein großes Wort gelassen aus: Es gehe um die Legitimität des Steuerstaats, weshalb es nicht sein könne, dass Unternehmen wie Starbucks, Apple, Google oder Amazon in den EU-Staaten Hunderte Millionen Euro umsetzen und trotzdem keinen Cent Gewinnsteuern zahlen. Der deutsche Finanzminister müsste freilich wissen, die Firmen können es ganz legal, weil sie der internationale Steuerwettbewerb – veranstaltet von den Staaten und ihren Regierungen selbst – dazu einlädt.

Die OECD will mit ihrem Aktionsplan die Konkurrenz nationaler Steuerstaaten drosseln, indem das System der internationalen Gewinnbesteuerung reformiert wird und eine Konvention zur Doppelbesteuerung gilt, um weltweit 4.000 bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen zu vereinheitlichen. Es sollen die bekannten Praktiken der Gewinnverlagerung blockiert und Steueroasen – darunter auch europäische Steuerspar-Paradiese – geschlossen werden. Mit einem Wort, die OECD will das Prinzip durchsetzen: Es wird besteuert, wo die Wertschöpfung stattfindet. Das klingt gut, auch wenn sich die G20-Finanzminister vor dem Petersburger Gipfel nicht zu einer zumindest regional einheitlichen Mindestbesteuerung durchringen konnten. Zugleich scheiterte der deutsche Plan, den G20 eine Art Schuldenbremse – eine Obergrenze von 90 Prozent des jährlichen Wirtschaftsertrages für die Gesamtschulden – aufzudrücken. Zu offensichtlich sind die globalen Folgen dieses in Deutschland beliebten dogmatischen Unsinns. Das Gros der G20-Staaten sagt unumwunden, wer Steuerschlupflöcher schließt, der stärkt den heimischen Steuerstaat und sorgt für mehr Schuldenabbau als jede Sparpolitik.

Die steht ohnehin nicht hoch im Kurs, da die G20-Finanzminister mehrheitlich andere Prioritäten setzen: Wachstumsförderung, Beschäftigungspolitik, innovative Technologien. Auf dem Gipfel wird niemand auf den Schwindel hereinfallen, mit dem die Bundesregierung im Wahlkampf hausieren geht: In der Eurozone sei die Krise vorbei, weil man im II. Quartal 0,3 Prozent Wachstum verbucht habe. Warum dann die fast panische Weigerung, Griechenland von 327 Milliarden Euro Gesamtschulden wenigstens einen Teil zu erlassen?

Was die G20 in St. Petersburg beschäftigen muss, das sind die fatalen Synergie-Effekte einer Weltdepression, die immer mehr Schwellenländer erfasst. Gar von einer neuen Crash-Serie analog der Asienkrise von 1997/98 ist die Rede. Indien, Thailand, Indonesien, Malaysia und die Türkei kämpfen mit einem rapiden Verfall ihrer Währungen, fragilen Aktienmärkten, steigenden Privatschulden und einer bedenklich hohen Inflation. Investoren flüchten in Massen aus dem südafrikanischen Rand, dem brasilianischen Real und der indischen Rupie. Für ein Land wie Indien mit einem massiven Leistungsbilanzdefizit und beachtlichen Auslandsschulden bahnt sich eine Katastrophe an.

Ein herber Schlag

Investoren aus Nordamerika und der EU haben dank des billigen Geldes, das die US-Notenbank (Fed) wie die Europäische Zentralbank (EZB) ihnen gönnen, in etlichen Schwellenländern Aktien und Anleihen gekauft. Eine absehbare Kreditinflation sowie aufgeblähte, völlig überhöhte fiktive Vermögenswerte waren die Folge. Nun wird das eingeströmte Kapital in Massen so schnell wieder abgezogen, wie es eben noch gen Süden geflossen ist. Ein dadurch beschleunigtes Absacken der Wachstumsraten von neun auf drei bis vier Prozent im Jahr ist für Staaten wie Indien und Indonesien mit ihrer expandierenden Bevölkerung ein herber Schlag. Ausgelöst wurde die Kapitalflucht durch die Ankündigung der Fed vom Mai, sie werde die Politik des billigen Geldes bald aufgeben. Noch aber bleiben die Leitzinsen bei null, sodass in St. Petersburg nicht zuletzt Chinas Präsident Xi Jinping die USA wie die dort präsenten EU-Regierungschefs ermahnen dürfte, sich die globalen Auswirkungen ihrer Geldpolitik vor Augen zu halten.

Japan hat nach dem Zusammenbruch seiner Bubble-Ökonomie 1989/90 zwei verlorene Jahrzehnte der Austerität hinter sich. Sein Bruttoinlandsprodukt ist heute nach 20 Jahren Deflationspolitik kaum höher als 1990. Nun versucht sich der erzkonservative Premier Shinzō Abe an einer Kombination aus expansiver Geldpolitik (um die Inflation auf zwei Prozent zu drücken), höheren Staatsausgaben (bei öffentlichen Investitionen), Lohn- und Gehaltserhöhungen von drei Prozent pro Jahr und einer Förderung privater wie ausländischer Investitionen etwa in Sonderwirtschaftszonen. Alle Welt schaut auf Japan. Die G20-Chefs wissen nur zu gut, dass die Regierung Abe die viertgrößte Exportökonomie der Welt erst dann flottbekommen kann, wenn es keine neue Asien-Krise gibt und die schwelende Euro-Krise eingedämmt wird. Hat Shinzō Abe die Courage, das einer Angela Merkel im Wahlkampfmodus plausibel zu machen?

Michael Krätke kommentierte in der Vorwoche Spekulationen über einen weiteren griechischen Schuldenschnitt

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