Uns kann nichts passieren, so schlimm die Dreifach-Katastrophe aus Erdbeben, Tsunami und nuklearem GAU Japan auch erfasst hat, heißt es in Deutschland hoffnungsfroh. Was nichts daran ändert, dass die ökonomischen Folgen der Katastrophe inzwischen klar absehbar, wenn auch bisher nicht exakt berechenbar sind. Trotz unverzüglicher Billionen-Geldspritzen der Zentralbank in Tokio steht außer Zweifel – die japanische Wirtschaft rutscht in die Rezession, nachdem sie sich 2010 gerade vom Einbruch der Weltfinanzkrise zu erholen begann. Durch eine Geldschwemme und Zinsen bei Null lässt sich das kaum aufhalten. Auch die Weltökonomie gerät in einen bedenklichen Sog – Japan ist kein exotisches Inselreich, das uns mit Sushi, kuriosen Edelpilzen und Mangas erfreut, sondern bis zum Vorjahr als zweitgrößte Ökonomie für etwa neun Prozent der globalen Wertschöpfung gesorgt hat. Bis heute ist das Land nicht weniger exportstark als Deutschland und mindestens ebenso von Exporten abhängig.
Mehr als ein Fünftel aller High-Tech-Produkte der Welt, über 40 Prozent aller Technologiekomponenten, die in modernen High-Tech-Geräten – vom Smartphone über den PC bis zum LCD-Bildschirm – stecken, kommen aus Japan. Dessen Unternehmen liefern derzeit mehr als 30 Prozent aller Flash-Memory- und etwa 15 Prozent aller D-RAM-Speicher-Chips. Insgesamt ein Fünftel der auf allen Kontinenten benötigten Halbleiter wird in japanischen Fabriken gefertigt.
Extrem verwundbar
In Japan selbst zeigt sich, dass flexible Just-in-Time-Verfahren, die weitgehend ohne betriebliche Lagerhaltung auskommen, die industrielle Produktion extrem verwundbar machen. Reißen die Transportketten, bricht die Produktion an vielen Standorten gleichzeitig ein. Auch wenn viele Betriebe vom Beben weder zerstört noch beschädigt wurden – ein Großteil der japanischen High-Tech-Industrie liegt trotzdem still, weil neben der Infrastruktur die Energieversorger ihren Dienst schuldig bleiben. Sollte sich daran für Wochen oder gar Monate nichts ändern, behindert das hochkomplexe Wertschöpfungs- und Zulieferketten, weil Nachschub aus Japan ausbleibt und die High-Tech-Produktion anderswo – in Asien, Europa oder Amerika – ins Stottern und Stocken gerät. Um Beispiele zu nennen: Die Produktion des Handy-Herstellers Nokia hängt zu mehr als zwölf Prozent vom Transfer japanischer Komponenten ab, ohne Stahl aus Japan liegen die südkoreanischen wie südchinesischen Werften still.
Es ist daher vulgärökonomischer Unsinn, sich mit dem einen Prozent der deutschen Ausfuhren nach Japan und weniger als drei Prozent der deutschen Einfuhren aus Japan beruhigen zu wollen. Gerade weil 54 Prozent der japanischen Exporte in den asiatischen Raum gehen – 19 Prozent allein nach China –, hat das Desaster nach der Katastrophe Folgen für den Welthandel. Japan ist der größte Lieferant chinesischer Unternehmen und deren zweitgrößter Abnehmer. Mehr als zehn Prozent der Wertschöpfung in anderen asiatischen Ländern wie Taiwan, Thailand und Singapur hängen von Importen aus Japan ab. Wenn dessen Exportindustrie auf Monate auf die gewohnten Leistungen verzichten muss, wird die gesamte asiatische Konjunkturlokomotive unsanft gebremst. Dann werden auch die deutschen Ex-Exportweltmeister nicht ungeschoren davonkommen.
Unfassbare Staatsschulden
Die Region Tohoku im Norden und die Region Kanto weiter im Süden Japans (mit der 35 Millionen-Metropole Tokio) erwirtschaften zusammen nicht weniger als 28 Prozent des japanischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) auf. Was es unter diesen Umständen bedeutet, wenn Toyota in diesen Breiten den Betrieb für zwölf Fabriken einstellt, Nissan und Honda jeweils vier Werke vorübergehend schließen, Sony an sechs Standorten pausiert, ganz zu schweigen von einem Dutzend Produktionsstätten für High-Tech-Komponenten, liegt auf der Hand. Die Preise für diverse Computer-Chips sind daraufhin an den internationalen Spot-Märkten innerhalb von nur wenigen Tagen um bis zu 35 Prozent in die Höhe geschossen.
Als in Tokio nach dem Beben der Nikkei-Index um mehr als zehn Prozent abstürzte, mussten die großen japanischen Konzerne einen Verlust ihres Börsenwertes von 900 Milliarden Yen verkraften. Banken und Investoren reagierten, indem sie Kapital aus dem Ausland nach Hause holten und durch diesen Nachfrageschub der eigenen Währung steigende Kurse bescherten, was japanische Exporte verteuert und zusätzlich schwächt.
So viel steht fest: Als Käufer von Staatsanleihen in Europa und Nordamerika, als Kapitalexporteur in die USA fällt Japan bis auf Weiteres aus. Die Kosten des Wiederaufbaus in den verwüsteten Regionen werden gigantisch und ohne staatliche Beihilfen undenkbar sein. In der Konsequenz wird die Staatsschuld von heute bereits unfassbaren 225 Prozent des BIP auf neue Rekordhöhen klettern. Die Rückversicherer schätzen die Gesamtschäden des Desasters vorläufig auf 180 bis 200 Milliarden Dollar, ohne die Folgen der havarierten Reaktorblöcke von Fukushima einzukalkulieren. Folglich sind die Aktien der weltgrößten Rückversicherer abgesackt – um bis zu 5,5 Prozent fast überall.
Ein schwacher Trost
Auch wenn sich die ganz große nukleare Havarie verhindern lässt – für die Atomindustrie scheint ein Abschied in Sicht. Auf das Kernkraftwerks-Moratorium in China oder die Stilllegungsbeschlüsse in Deutschland haben die Finanzmärkte prompt reagiert. Weltweit stoßen Fondsmanager in großer Hektik sämtliche Uranaktien ab, bei Papieren für Uranminen werden Wertverluste um 50 Prozent verbucht, im Gegenzug steigen die Preise anderer Rohstoffe und Energieträger kräftig. Das Unglück will es, dass auch die weltweite Produktion von Solarzellen von den Lieferungen japanischer Komponenten abhängig ist.
Es bleibt ein schwacher Trost: Forschung, Entwicklung und Innovation waren seit Langem Stärken der japanischen High-Tech-Industrie. Die Japaner werden sie brauchen, um einen Ausstieg aus der Kernenergie so rasch wie möglich bewältigen zu können.
Michael R. Krätke ist Professor für Ökonomie an der Universität Lancaster
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