Die Angst vor Europa

Großbritannien Premier Cameron hat seine Europarede endlich gehalten. Er will nur in der EU bleiben, wenn die sein Land weiter mit Privilegien verwöhnt und zur Not Verträge umschreibt
Die Angst vor Europa

Foto: Andrew Cowie / AFP / Getty

Am 18. Januar sollte David Cameron in Amsterdam eine lang erwartete Rede zu seiner Europapolitik halten. Er sagte ab, das Geiseldrama in der algerischen Wüste lasse schlimme Nachrichten auch für die Briten befürchten, so die Begründung. Freilich zirkulierte – Panne oder nicht – das Redemanuskript bereits in Journalistenkreisen. Mitte der Woche nun hat der Premierminister nachgeholt, was anstand, und bei einer Rede in London ausgesprochen, was bekannt war.

Wie ein Seiltanz wirkte dieser Auftritt und der Versuch, wieder Herr der Stimmung zu werden, die Cameron offenkundig entglitten ist. Auf den EU-Krisengipfeln vergangener Jahre übernahm er entweder die Rolle des Vasallen der deutschen Kanzlerin oder war isoliert. Zu Hause wurde dazu stets die gefährlich falsche Botschaft verbreitet, die Euro-Krise sei es, die Britanniens Weg aus dem Konjunkturtief blockiere. In Brüssel legte sich Cameron jedesmal quer, wenn die EU mit einer Re-Regulierung der Finanzmärkte ernst machen wollte. Wenn das auf keinerlei Gegenliebe stieß, reagierte er mit der Drohung, Britannien könne auch aussteigen und nach einem entsprechenden Referendum die Union verlassen.

Dass unter solchen Umständen die Zahl der EU-Skeptiker und -Feinde bei den Konservativen enorm gewachsen ist, verwundert wenig. Man spürt den heißen Atem der rechten Konkurrenz im Nacken. Die United Kingdom Independence Party (UKIP) kennt nur einen einzigen Programmpunkt: Austritt des Königreichs aus der EU. Die Partei – nicht unbedingt eine Sekte von Spinnern – hat durchaus Zulauf. Nach jüngsten Umfragen wollen 53 bis 56 Prozent der Briten die EU lieber heute als morgen verlassen.

David Camerons liberaldemokratische Koalitionäre allerdings gelten als überzeugte Pro-Europäer, die jede Anti-EU-Propaganda für einen ökonomischen Sündenfall halten. Mit Rücksicht auf diesen Partner wie auch die Labour-Opposition, die gleichfalls Europa treu bleiben will, konnte Cameron gar nicht anders, als zu beteuern, er wolle natürlich in der EU ausharren. Letzten Endes hält auch die Mehrheit der britischen Unternehmer nichts von einer Absage an den Staatenbund auf dem Festland – schon die Drohung sei das Spiel mit einem Feuer, an dem man sich nur verbrennen könne. Wer will den immensen Vorteil des freien Zugangs zum gemeinsamen Markt der EU aufgeben? Staaten wie die Schweiz oder Norwegen müssen selbst für eine eingeschränkte Präsenz auf diesem nach wie vor attraktiven Handelsplatz viel zahlen und haben keinen Einfluss auf dessen Regulierung. Schließlich musste Cameron auch an die in Schottland regierenden Separatisten denken, die 2014 ein Referendum über den Verbleib im Vereinigten Königreich abhalten werden. Ein absolut anti-europäischer Kurs der Tories dürfte die Neigung der Schotten, die Unabhängigkeit zu wählen, um mit dem eigenen Staat in der EU zu bleiben, noch antreiben.

Man war so frei

Also beließ es Cameron bei der üblichen Klage über das wachsende Demokratie-Defizit in der EU, unter dem angeblich die Briten besonders zu leiden hätten. In der EU bleibe man nur, werde das Übermaß an Brüsseler Kompetenzen heruntergeschraubt. Das heißt, in Margret Thatchers Spuren werden weiter britische Sonderrechte in der EU reklamiert. Jene Gelder, die von der Premierministerin einst in empörtem Ton zurückverlangt wurden, gibt es auch künftig in Gestalt des milliardenschweren Britenrabatts. Da Neuverhandlungen sämtlicher Verträge so gut wie ausgeschlossen sind, wie Cameron weiß, ist das, was er rebellischen Parteifreunden und einem europamüden Wahlvolk verspricht, nur zu haben, wenn Brüssel den Briten die bekannten Privilegien einräumt. Folglich wird es wie gehabt keine gemeinsame Arbeitsmarkt-, Immigrations- oder Finanzmarktpolitik geben.

Bisher konnte der britische Regierungschef durchaus auf den Beistand einiger EU-Partner rechnen, als es um das Einfrieren des EU-Haushalts ging, doch diese Konzilianz hat Grenzen, wenn ein Sonderstatus sichtlich missbraucht wird.

Ohne Europa kann Großbritannien ökonomisch schwerlich überleben. Gut die Hälfte aller exportierten Güter und Dienstleistungen von der Insel geht in die EU. Vier Millionen Arbeitsplätze auf der Insel hängen direkt davon ab. Das Commonwealth bietet längst keine Alternative mehr. Großbritannien – auf sich allein gestellt – wäre in allen internationalen Organisationen ein Leichtgewicht. Und die immer als exklusiv beschriebene Beziehung zu den USA? Die Obama-Administration hat auf die in London gehegte Absicht, der EU den Rücken zu kehren, wenig charmant reagiert. Man war so frei, die ganz speziellen Freunde daran zu erinnern, dass die USA nur an einem Großbritannien interessiert sind, das in Europa eine hörbare Geige spielt, nicht aber an einem virtuellen 51. Bundesstaat. Cameron war klug genug, sich diese Botschaft ins Ohr zu knöpfen.

Michael Krätke schrieb jüngst zur Euro-Debatte und zum Weltwirtschaftsforum in Davos

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