Euro-Ausstieg Sollte Griechenland die Eurozone und den Schuldendienst aufgeben, käme das dem Sprung in einen ökonomischen Hades gleich. Chaos und ein Bankrun wären programmiert
Was haben die Mehrheit der CDU- und FDP-Wähler in Deutschland mit den griechische Traditionskommunisten gemeinsam? Erraten: Alle wollen den Austritt Griechenlands aus der Eurozone – am besten sofort. Die einen, weil sie sich das Desaster, das dann folgt, nicht vorstellen wollen oder es als gerechte Strafe für die „über ihre Verhältnisse“ lebenden Griechen sehen. Die anderen, die Leninisten der KP Griechenlands (KKE), weil sie darauf hoffen, im unausweichlichen Chaos eines Euro-Ausstiegs an Macht zu gewinnen.
Als Chaos zu bezeichnen, was nach einer Abkehr Griechenlands vom Euro binnen Tagen zu erwarten wäre, ist eine heroische Untertreibung. Schon heute liegt die Ökonomie des Landes am Boden. Wenn man den Schuldendienst außer Acht läs
t lässt, sind zwischen 2009 und 2011 die Staatsausgaben um beträchtliche 17 Prozent gesunken. Auf Deutschland übertragen käme das einer Kürzung der Primärausgaben von 180 Milliarden Euro gleich. Im gleichen Zeitraum schrumpfte die Wirtschaftsleistung um sagenhafte 20 Prozent. Dank der von EU und IWF oktroyierten Spardiktate verarmen Arbeitnehmer und Mittelständler, Rentner und Studenten. Offiziell sind 22 Prozent der Griechen arbeitslos – bei den unter 25-Jährigen liegt die Quote bei 55 Prozent und damit höher als in Spanien.Viele Griechen haben am 6. Mai für die Linksallianz SYRIZA gestimmt, weil sie glauben, es gäbe nicht mehr viel zu verlieren. Was nichts daran ändert, dass eine Mehrheit der Griechen trotz allem in der Eurozone bleiben will. Sie ahnen, was ihnen bei einem Abgang blüht. Jüngst erst ließen die EU-Finanzminister keinen Zweifel, sollte sich Griechenland vom geltenden „Anpassungsprogramm“ lossagen, wäre der gesamten Hilfsstrategie die Geschäftsgrundlage entzogen. Es sollte nicht allzu hoch gepokert werden zwischen der Troika und ihren Gegnern in Athen – zu guter Letzt habe die Eurozone garantiert die besseren Karten.Kampf ums Dasein Käme es zum Abschied vom Euro, würde sich die bereits begonnene Kapitalflucht noch verstärken, die Finanzinstituten in Deutschland, Frankreich und der Schweiz einen Geldregen bescheren dürfte. Zugleich ist mit einem heftigen Run der Sparer auf ihre Banken zu rechnen, um verbliebene Euro-Guthaben in Sicherheit zu bringen, ins Ausland zu transferieren und vor einem Zwangsumtausch in Drachme zu retten. Jede griechische Regierung müsste daher – schon vor einer offiziellen Absage an den Euro – Banken schließen, Grenzen abriegeln und EU-Recht brechen, indem sie Kapitalverkehrskontrollen einführen und sich vom freien Kapitalmarkt verabschieden würde.Vom ersten Tag ihrer Wiedergeburt an wird die Drachme fallen, ins Bodenlose vermutlich. Optimisten glauben, Abwertungsverluste von 70 Prozent seien normal. Sie dürften Unrecht behalten. Denn Griechenland braucht Importe und das nicht zu knapp. Diese Einfuhren dürften sich wegen des Währungstauschs rasant verteuern, so dass nach wenigen Tagen an Tankstellen und in Supermärkten ein Kampf ums Dasein ausbrechen würde. Es irrt, wer glaubt, dass sich mit einer abgewerteten Währung die berühmte Wettbewerbsfähigkeit schlagartig verbessert. Würden die Preise für Käse, Oliven, Wein oder den Urlaub am Ägäischen Meer wirklich drastisch sinken, wenn die Drachme nichts mehr oder nur noch wenig wert ist? Ganz sicher nicht! Solange Athen nur der Eurozone den Rücken kehrt, aber in der EU bleibt, muss die Europäische Kommission nach geltendem EU-Recht sofort Einfuhrzölle auf griechische Waren in Höhe des Abwertungsvorteils (also von 70 Prozent und mehr) einführen.Bleiben zudem die Auslandsschulden des griechischen Staates und griechischer Unternehmen in Euro bestehen, werden sie mit einem Schlag unbezahlbar. So viele Drachmen, um diesen Schuldenberg abzutragen, kann Griechenlands schwache Exportwirtschaft niemals verdienen. Verfügt eine Regierung in Athen den Zwangsumtausch der Auslandsschulden in Drachmen, ist der Staat bankrott – und Firmen, die Euro-Schulden haben, sind es gleich mit.Für die Kernländer der EU wäre ein Totalausfall Griechenlands hingegen zu verkraften. Die Gesamtverluste für die Eurozone dürften sich auf etwa 280 bis 300 Milliarden Euro belaufen. Die EZB ebenso wie deutsche, französische und griechische Banken (die größten davon sind in ausländischer Hand) werden Griechen-Bonds abschreiben müssen. Deutschland dürfte das etwa 100 Milliarden Euro kosten. Dank des bereits erfolgten Schuldenschnitts und früherer Teilabschreibungen würde der oft beschworene Domino-Effekt wohl ausbleiben – die griechischen Schulden sind schlicht zu klein, um ein europaweites Bankenbeben auszulösen.Doch der politische Schaden wäre immens. Die EU müsste als stärkste Wirtschaftsmacht der Welt eingestehen, mit allen Gipfelkonferenzen, Rettungspaketen und Krisenfonds unfähig gewesen zu sein, den Crash zu verhindern. Für Portugal, Irland, Spanien und Italien wäre der Präzedenzfall geschaffen, den Finanzinvestoren und Gläubiger unverzüglich einpreisen dürften. Mit anderen Worten, die Rechnung für die Euro-Demission Griechenlands müssten diese Länder mit bezahlen. Die Londoner Financial Times vermutet gar, das griechische Muster könnte Spanien, Italien und Portugal nahelegen, wie man Schulden abwirft. Eine solch explosive Lage hätte die Eurozone noch nicht erlebt.20 bis 30 Prozent niedrigerLässt sich das Ausstiegsszenario noch vermeiden? Lässt man Borniertheit und ökonomischen Unverstand einmal beiseite, erscheint das nicht ausgeschlossen. Selbstredend können internationale Verträge nach- und neuverhandelt werden, wenn das in beiderseitigem Interesse liegt. Da die mit Griechenland geschlossenen Abkommen ökonomisch irrational sind und beiden Seiten schaden, ist das sogar zwingend.Strukturreformen braucht Griechenland auf jeden Fall. Nur sind es eben die falschen, die bisher von der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF verordnet wurden. Griechenland hat – was seit langem bekannt ist – vier Strukturprobleme: eine riesige Schattenwirtschaft, die 30 bis 40 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistungen ausmacht; eine ausufernde Korruption; einen nicht funktionierenden Steuerstaat; eine absolut unzureichend differenzierte Wirtschaftsstruktur. Die wiederum ist größtenteils die Folge einer neoliberalen Wirtschaftspolitik vergangener Jahrzehnte, die Regierungen in Athen musterschülerhaft betrieben haben. Hätte Griechenland nicht seit 2004 seine Unternehmens-, Vermögens- und Einkommenssteuern nach neoliberaler Doktrin unter den EU-Mittelwert gedrückt, sein Schuldenstand läge heute um 20 bis 30 Prozent niedriger.Keines dieser Defizite kann mit der bisher verordneten Rosskur behoben werden. Durch die so genannte innere Abwertung – gekürzte Löhne, Renten und Sozialleistungen – wird die griechische Wirtschaft stattdessen immer tiefer in die Depression getrieben. Auch kann man einem Fiskus nicht dadurch Handlungsfähigkeit einhauchen, indem Beamte entlassen werden. Um der massiven Steuerhinterziehung griechischer Unternehmen – die Reedereien, eine der wenigen bedeutenden Branchen des Landes, zahlen so gut wie keine Steuern – und Vermögensbesitzer Herr zu werden, bräuchte es eine europaweite Kooperation der Steuerbehörden. Korruption kann man nicht bekämpfen, Schattenwirtschaft nicht eindämmen, indem man den Staatsapparat vollends ausbluten lässt.Wo in der Tat massiv gespart werden könnte, etwa bei den extremen Militärausgaben, geschieht das nicht – im wohlverstandenen Interesse besonders der deutschen Rüstungsindustrie. Stattdessen raubt man dem Land seine Zukunft, indem Schulen und Universitäten kaputtgespart werden. Auf eine falsche Diagnose folgt eine falsche Therapie. Wer die „Euro-Krise“ mit all ihren Absurditäten beenden will, kann das: durch Neuaushandeln der Hilfskonditionen mit der nächsten griechischen Regierung.(Foto: Angelos Tzortzinis/ AFP/ Getty Images)
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