Die ganz großen Spieler der Finanzbranche – die weltweit operierenden Investmentbanken JP Morgan Chase, Goldman Sachs, Morgan Stanley und einige ihrer Töchter – stehen vor Gericht. In Detroit und in Florida wurden die Großbanken verklagt. In beiden Prozessen geht es um den gleichen Vorwurf: Die Institute hätten den Aluminiumpreis massiv manipuliert, weil sie zusammen mit der London Metal Exchange, der weltweit bedeutendsten Warenbörse für Metalle, nicht nur Aluminium-Futures gehandelt, sondern zugleich riesige Mengen des Rohstoffs gehortet hätten. Dies sei in eigens dafür angemieteten Lagerhäusern geschehen. Dadurch provozierte Engpässe beim Aluminium-Handel hätten Lieferzeiten von normalerweise drei bis vier Wochen auf bis zu 18 Monate verlängert.
Es geht dabei nicht allein um Hunderte Millionen Dollar an Geldstrafen, die den Delinquenten drohen. Oder um einige der bisherigen Spekulationsgeschäfte, die sie vielleicht einschränken oder aufgeben müssen. Die Gerichtsverfahren sind vor allem dazu angetan, europäische Beobachter daran zu erinnern, was von den einst guten Vorsätzen übrig blieb, die Finanzmärkte zu regulieren. Nicht sehr viel.
Als im Herbst 2008 ein globaler Finanzcrash die Welt erschütterte, der Wert obskurer Finanzprodukte ins Bodenlose stürzte und manches Geldhaus – den Bankrott vor Augen – um Staatshilfe flehte, gerieten nur die Preise an den Warenbörsen nicht auf die schiefe Bahn. Im Gegenteil, der Preisschub für die dort gehandelten Rohstoffe wie Metalle, Erze, Öl, Getreide, Soja und Lebensmittel war so heftig, dass es in einigen Ländern zu Hungerrevolten kam.
Seither tobt der Streit um die Ursachen. Die spekulierenden Banken und Investoren mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, ihre unmoralische Zockerei auf Kosten der Verbraucher betrieben zu haben. Damals waren aber vor allem einfache Leute Opfer dieser Machenschaften. Mit den Rohstoff-Spekulationen treffen die Banken die Industrie selbst. Und plötzlich scheint das Undenkbare denkbar, nämlich die heilige Freiheit der Investoren und Märkte einzuschränken, bestimmte Börsengeschäfte sogar ganz zu verbieten.
Die Angeklagten plädierten auf „nicht schuldig“. Nicht die Spekulation, sondern veränderte Fundamentaldaten in der realen Ökonomie seien verantwortlich für Hochpreise bei Rohstoffen. Die Finanzinvestoren hätten ja nur Papiere – Futures – gekauft und könnten die Mengen der produzierten, gehandelten und verkauften Waren nicht manipulieren, also auch die Preise nicht. Jetzt wird diese Behauptung vor US-Gerichten überprüft. Millionen-Strafen und Schadensersatz hängen in der Luft.
Kalte Füße
Allerdings soll allein Goldman Sachs in seinen Detroiter Depots 1,5 Millionen Tonnen Aluminium gelagert haben. JP Morgan hielt Anfang Juli Aluminium im Wert von 14,3 Milliarden Dollar vom Markt fern. Das klingt nachvollziehbar, denn die beiden genannten Geldhäuser und Morgan Stanley verkörpern die großen Drei im Weltgeschäft der Rohstoffspekulation. Zusammen haben sie damit seit 2008 annähernd 50 Milliarden Dollar verdient.
Dass die Wall Street Metall hortet – davon wussten Eingeweihte schon seit Jahren. 2010 kaufte Goldman eine Firma namens Metro International, der zahlreiche Speziallager in Detroit und Umgebung gehörten. Und JP Morgan übernahm die Firma Henry Bath, die größte britische Lagerfirma, der zahlreiche Riesendepots in Großbritannien gehören. Leicht erschüttert waren die guten Bürger der Pleitemetropole Detroit, als sie erfuhren, dass Goldman, um das Horten von Millionen Tonnen Aluminium zu vertuschen und Knappheit vorzutäuschen, täglich Dutzende von Spezialtrucks im Stadtgebiet umherfahren und Tausende Tonnen Aluminium von einem Lagerhaus zum anderen transportieren ließ. Der Zorn in der Öffentlichkeit war groß: Wer die Aluminiumpreise in die Höhe treibt, der verteuert jede Dose Cola und jede Büchse Bier. Nur sind die Wall-Street-Banker diesmal an die Falschen geraten, denn die Bierbrauer und Flugzeugbauer lassen sich nicht gern übertölpeln. Gleiches gilt für die Großabnehmer von Kupfer, Erdöl und Strom, wo die Wall-Street-Größen ebenfalls mitmischen.
Wegen der weltweiten Rezession fallen die Spot-Preise – also die Aufwendungen für sofortige Lieferung: on the spot – vieler Rohstoffe. Zugleich haben Pensionsfonds und Vermögensverwalter wegen der weltweit sinkenden Zinsen versucht, mehr von ihrem Geld an den Waren-Börsen anzulegen. Folglich wuchs bei vielen Rohstoffen der Abstand zwischen den Spot-Preisen und den Futures-Preisen. Dass die Wall-Street-Banker genau da einsteigen konnten, verdankten sie der US-Notenbank, die 2003, noch zu Boomzeiten, beschloss, den Banken zu erlauben, was ihnen bis dahin verboten war: die Waren auch in physischer Gestalt zu besitzen, mit denen sie an den Warenterminbörsen Handel trieben. Gut ein Dutzend Wall-Street-Banken nutzte die Chance. So hat die US-Börsenaufsicht SEC noch Ende 2012 einen Fonds von JP Morgan Chase zugelassen, der es privaten Investoren erlaubte, Anteile an Kupfervorräten zu erwerben, die von der Bank in eigenen Lagerhäusern gehortet waren. Was war das sonst als die offene Einladung an Wall-Street-Banken, sich an bisher verbotenen und zuweilen mit Millionen-Bußen geahndeten Marktmanipulationen zu beteiligen?
Nun aber hat die Fed offenbar kalte Füße bekommen und am 19. Juli verkündet, sie werde ihren damaligen Entscheid überdenken. Es wird ihr nichts anderes übrig bleiben, da sich inzwischen ein Untersuchungsausschuss des US-Kongresses mit diesen Praktiken befasst. Das Gremium kann die anlaufenden Prozesse und die Empörung im Lande nicht ignorieren. Gerichtsverfahren wegen manipulierter Kupfer- und Strompreise erhöhen den Druck.
Die Deutsche Bank macht mit
Nach der Weltfinanzkrise 2008/09 schienen sich alle einig zu sein: Um derartige Zusammenbrüche künftig zu vermeiden, müsse der globale Finanzmarkt strenger reguliert werden. Mit dem Wall-Street-Modell des hemmungslosen Investmentbankings sollte es vorbei sein. Nun zeigt sich an den Rohstoffbörsen: Mit einer Re-Regulierung ist es nicht weit her.
JP Morgan und Goldman Sachs werden sich geschmeidig aus der Affäre ziehen. Gerade hat JP Morgan erklärt, eine Strafe von 410 Millionen Dollar wegen einer Manipulation der Strompreise in Kalifornien zahlen zu wollen. Auch werde man die Rohstoffhalden verkaufen – ein Gebot der ökonomischen Vernunft, da die großen Finanzinvestoren, voran die Pensionsfonds, inzwischen die Flucht aus dem Warentermingeschäft mit Rohstoffen und Lebensmitteln ergriffen haben. Und ohne die milliardenschweren Käufer der Rohstoff-Futures lohnt sich das Horten dieser Ressourcen immer weniger.
In Deutschland haben einige Geldhäuser schon vor Monaten Konsequenzen gezogen. Im Mai kommunizierte die genossenschaftliche DZ Bank, sie werde sich aus Spekulationsgeschäften mit Getreide und anderen agrarischen Rohstoffen heraushalten. Mehrere Landesbanken, die Commerzbank und die Dekabank waren mit gutem Beispiel vorangegangen. Allein die Deutsche Bank und Europas größter Versicherer, die Allianz, bleiben diesem Geschäftsfeld treu. Man macht es ihnen leicht: Eine europäische Finanzaufsicht lässt auf sich warten. Die öffentliche Rüge jedenfalls, die Olivier de Schutter, UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Ernährung, der Deutschen Bank jüngst erteilte, blieb ohne Wirkung. Offiziell hält deren Vorstand an der These fest, es gäbe keinen Zusammenhang zwischen Spekulationen und steigenden Preisen für Lebensmittel und Rohstoffe.
Was sollte geschehen? Auf die Einsicht der Großbanken zu hoffen, erscheint müßig. Wer dieses Treibhaus der Spekulation einebnen will, muss sich auf das Zusammenspiel von vier Maßnahmen einlassen: den Ausschluss institutioneller Investoren von Rohstoffgeschäften, das Verbot für Rentenkassen, Stiftungen oder Versicherungen, das Geld von Sparern und Stiftern an den Rohstoff-Börsen anzulegen, das Verbot sogenannter Publikumsfonds für solche Geschäfte und die Einführung von „Positionslimits“, die den Umfang der Spekulation für jede Börse, jeden Rohstoff und jeden Händler oder Investor (also nicht Produzenten oder Konsumenten) begrenzen. Die US-Aufsichtsbehörde für die Warenterminbörsen hat damit begonnen. Die Europäer sollten ihrem Beispiel folgen.
Michael Krätke schrieb zuletzt im Freitag über die Jugendarbeitslosigkeit in Europa
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