Der Schriftsteller und drei seiner fünf Kinder zu Hause in Great Missenden (1965)
Foto: Leonard McCombe/The Life Picture Collection/Getty Images
Schokoladenfabrikanten, Riesenpfirsiche und andere Süßigkeiten, das war die Welt des Roald Dahl, die er in Büchern wie Küsschen, Küsschen, Der fantastische Mr. Fox oder Charlie und die Schokoladenfabrik beschrieben hat. In Great Missenden steht das Museum, das an den Schriftsteller erinnert. Hier, 50 Kilometer nordwestlich von London in der Grafschaft Buckinghamshire, trifft man auf sanfte Hügel und Fachwerkhäuser des 16. Jahrhunderts. In das Museum hinein kommt man durch türgroße Schokoladentafeln, die zum Verdruss der zahlreichen jugendlichen Besucher nur aus Plastik sind. Dahinter wird das Leben des berühmten Autors erzählt. Hier versucht man, Roald Dahls Bücher vor der bunten Bilderfernsehwelt zu retten.
Für die Besucher w
retten.Für die Besucher wurden ungezählte Briefe, Fotos und Erinnerungsstücke zusammengetragen. Roald Dahls Sandalen, seine Royal-Air-Force-Fliegerkappe aus dem Zweiten Weltkrieg, seinen zerschlissenen Ohrensessel findet man ebenso wie Videoinstallationen und Tondokumente. Außerdem gibt es ein Archiv, das sämtliche Dahl-Manuskripte unter Verschluss hält. Jeder Raum ist erfüllt von Roald Dahl. Selbst auf der Toilette kann man dem Schriftsteller mit der markanten, dunklen Stimme zuhören.Dabei hat das Museum eine schwere Bürde. Dahl nämlich hat drei Dinge gehasst: Bärte, langweilige Reden – und Museen. Also gilt es, das Museum möglichst unmuseal zu halten. Die Literaturwissenschaftlerin Amelia Foster, die das „Roald-Dahl-Museum-und-Geschichtenzentrum“ über viele Jahre hinweg geleitet hat, sagt, man wolle Kinder zum Schreiben animieren und sie ermutigen, den eigenen Fantasien zu folgen. Dazu erhält jedes Kind am Eingang, gleich hinter den Schokoladentüren, ein Ideenbuch. Da können sie während des Besuchs alles aufschreiben, was ihnen in den Sinn kommt. Auch Ausschneiden und Kleben ist im Ideenbuch erlaubt, ganz so, wie Dahl selbst das Arbeiten liebte. Er benutzte solche Hilfsmittel, um vermeintlich sinnlose und doch schön lautmalerische Wörter zu montieren. Denn Dahl war begeisterter Sammler. Er sammelte Listen von sich reimenden Wörtern und von den Einfällen, die er in seine Geschichten einbauen wollte – Geschichten, die Kinder und Erwachsene gleichermaßen faszinieren würden. „Wir waren uns bei der Entwicklung des Museums einig“, sagt Amelia Foster, „dass wir keinen Dahl-Tempel wollten.“ Und weiter: „Natürlich war er ein großartiger Schriftsteller. Aber hier geht es um die Fantasie der Kinder. Die können bei uns eigene Geschichten erzählen, Charaktere erfinden, mit Sprache experimentieren.“In der Mitte des Museums steht ein Schuppen, der genauso wie Dahls echtes Gartenhäuschen aussieht. Jeden Vormittag verschanzte er sich dort, um in seinem Ohrensessel zu versinken. Preußische Disziplin herrschte beim Schreiben: Fast 40 Jahre dichtete Dahl in Great Missenden. In seiner Hütte wollte Dahl allein sein, nicht einmal seine Kinder durften hinein. Es gebe Wölfe, erzählte er ihnen, damit sie ihn nicht störten. Neben dem Schreibhäuschen steht Dahls abgewetztes Sitzmöbel, daneben liegen andere schrullige Erinnerungsstücke, die er bei der Arbeit um sich haben musste. Seinen Hüftknochen etwa, der operativ entfernt und ersetzt worden war.Placeholder infobox-1Bis heute, 100 Jahre nach seiner Geburt am 13. September 1916, sind Dahls Bücher in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden, Millionen seiner Kinderbücher wurden verkauft. Längst ist sein Name ein Label, eine Marke. Leider, sagt Amanda Conquy, die mit Dahl noch persönlich befreundet war und die Roald-Dahl-Stiftung in Great Missenden leitete: „Roald hatte einen bitterbösen, aber wunderbaren Humor. Erst als ich erwachsen wurde, bemerkte ich, wie schwierig er sein konnte. Dahl sagte von sich selbst, er sei niemals erwachsen geworden. Und das stimmt. Er konnte uns zum Beispiel mitten in der Nacht aufwecken und sagen: Los, raus aus den Betten, wir machen jetzt einen Mitternachtsspaziergang, und ich erzähle euch eine Geschichte!“„Ein Schlag gegen meine Birne hat mich zum Schriftsteller gemacht“, pflegte der Meister des schwarzen Humors zu sagen. Aber kein Lehrer war schuld, sondern der Absturz seines Kampfflugzeugs 1940 über der libyschen Wüste. Dahl überlebte trotz seiner schweren Kopfverletzung. Als man ihn später bat, die Geschichte aufzuschreiben, waren seine Originalität und sein Talent unübersehbar.Manche Literaturkritiker fanden seine Bücher später abscheulich, antisozial, antifeministisch. Seine jugendlichen Leser allerdings machten Roald Dahl zu einem der weltweit erfolgreichsten Autoren. Dahl wusste, wie man Kinder für sich gewinnt. Dass sie sich gern erschrecken und verblüffen lassen, dass sie sich gern wundern und auch Unappetitliches mögen. Unheimliche Schokoladenfabrikanten genauso wie Monsterpfirsiche.Roald Dahls Bücher sind eigensinnig, makaber, satirisch, zeitlos. Sie handeln von schäbigen, brutalen und bigotten Erwachsenen, und sie hätten eine eigene Moral, sagt Amanda Conquy: „Dahl wollte, dass die Kinder beim Lesen seiner Bücher spürten: Wo etwas Gutes auf der Welt ist, da gibt es auch Hoffnung.“ Alles politisch Korrekte sei ihm zuwider gewesen, erinnert sich Conquy. Dahl habe Verleger und Lektoren mit beleidigenden Kommentaren verärgert. Seine rührende Hinterhältigkeit, immer nur Autoren zu loben, die bereits gestorben und also keine Konkurrenz mehr für ihn waren, zeuge von seinem Wunsch nach Anerkennung. Dahl wetterte gegen die Juroren des Man Booker Prize wie gegen den Kollegen Salman Rushdie. Aber dieser Teil seiner Persönlichkeit wird im Museum fast völlig ausgeblendet, zum Beispiel auch antisemitische Äußerungen 1982 während des israelischen Libanonfeldzugs.Dieser besondere GeruchDahl habe sich überhaupt nicht vorstellen können, welche Auswirkungen seine Meinung haben konnte – vor allem in den Medien, erklärt Amanda Conquy dieses Verhalten. Der Schriftsteller, dem kein Fantasie-Ort zu abwegig erschien, habe in einem kleinen Städtchen gelebt und es sich in seiner sechs Quadratmeter großen Schreibstube bequem gemacht. Aber von dem, was draußen, außerhalb von Great Missenden, vor sich ging, davon habe er keinen Schimmer gehabt.Great Missenden ist trotz des berühmten Sohns ein Dorf geblieben. Zum Glück gibt es im „Roald-Dahl-Museum-und-Geschichtenzentrum“ noch keine Andenken-Industrie, keine Kaffeetassen mit Dahls Konterfei oder T-Shirts mit seinem Namenszug. Dafür kann man jede Menge Schokoladentafeln kaufen.Finanziert wird das private Museum durch Eintrittsgelder, Büchererlöse und Spenden der Dahl-Familie. 50.000 Besucher aus allen Teilen der Welt kommen jährlich. Doch was wird ihnen in Erinnerung bleiben? Das Werk oder die Biografie des Schriftstellers? Fragt Amanda Conquy und ist sich der Antwort sicher: „Dahl wird nicht als literarisches Genie in die Geschichte eingehen. Aber man wird ihn als großartigen Geschichtenerzähler für Kinder erinnern.“Vor einigen Jahren wurde das Roald Dahl Museum and Story Centre als bestes touristisches Projekt Großbritanniens ausgezeichnet. Vielleicht, weil in Great Missenden Tourismus, Kommunalpolitik und Kultur Hand in Hand gehen? Oder nur deshalb, weil es im Museum überall so unverschämt gut nach Schokolade riecht? „Das ist unser Geheimnis“, sagt Amelia Foster, „dieser besondere Geruch wurde eigens für uns hergestellt. Wir haben da so ein kleines Gerät, das den Duft überall im Haus verteilt. Aber verraten Sie das niemandem!“Placeholder infobox-2
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