Das moderne Hotel an der französischen Küste sieht aus wie ein Schiff. Die Rezeptionistin fühlt sich geehrt, dass der eben eingetroffene Gast eine ganze Woche hier seinen Wellnessurlaub verbringen will. Der prominente Filmschauspieler Mathieu (Guillaume Canet) hat sogar das Sonderpaket gebucht, mit Massagen und Algenbädern. Und sitzt nun wie ein Fremder in seinem schwarzen Wollmantel in der schicken Empfangshalle.
Nach mehreren Selfies mit Angestellten und Gästen versucht er vergeblich, mit seiner viel beschäftigten Frau, einer Fernsehmoderatorin, zu telefonieren, kurz darauf steht er mit einem Sportlehrer, der auch Psychologe sein könnte, am sturmumtosten Strand. Der Trainer ist zu spät gekommen, weil er einen seltenen Vogel entdeckt hat, erkennt sei
rkennt seinen bekannten Schüler nicht und zeigt ihm stattdessen, wie man richtig atmet. Mathieu kann das nicht. „Abgrenzung darf es im Leben nicht geben“, erklärt ihm der Lehrer. Doch genau deshalb ist Mathieu hergekommen. Um sich abzugrenzen. Es wird ihm nicht gelingen.Abgrenzen muss er sich vor allem von seiner eigenen Entscheidung, kurz vor der Premiere die Arbeit an seinem ersten Auftritt als Theaterschauspieler hingeschmissen und das Ensemble im Stich gelassen zu haben. Nun hat Mathieu eine Woche Zeit, seine Entscheidung vor sich selbst zu rechtfertigen – als ihn unvermittelt eine Nachricht von Alice (Alba Rohrwacher) erreicht, die in dem Küstenort, in dem sich seine Anwesenheit herumgesprochen hat, lebt. Mathieu und Alice waren vor 15 Jahren, bevor Mathieu berühmt wurde, ein Paar. Man trifft sich im Kaffeehaus, und damit endet die seltsam lakonische Ouvertüre über einen krisengebeutelten Schauspieler mit Luxusproblem. Was folgt, ist einer der schönsten und zugleich traurigsten Liebesfilme des Jahres.Die gebürtige Italienerin Alice wohnt mit Mann und Tochter seit vielen Jahren im Ort, hat Paris und die Vergangenheit hinter sich gelassen. Glaubt man, bis sie Sätze wie „Ich habe mich selbst in ein Loch gegraben“ sagt. Alice arbeitet als Klavierlehrerin, sie ist empathisch und lacht viel. Sie unterrichtet Kinder und gibt Stunden in einem Altersheim. Aber in ihrem Blick erkennt man – lange bevor sie es wie ein Geheimnis ausspricht – dieses selbst gegrabene Loch. Alba Rohrwacher, die erst nach einer halben Stunde in diesem Film auftaucht und ihn fortan ganz und gar bestimmt, spielt diese Frau mit einer zärtlichen Verletztheit; mit der Demut einer in der Realität des Alltags angekommenen Ehefrau und Mutter, die für sich entschieden hat, dass es Abgrenzung im Leben unbedingt braucht, zumindest für ein kleines Glück.Hors-saison heißt dieser von Stéphane Brizé inszenierte und mit seiner Co-Autorin Maria Drucker geschriebene Film im französischen Original, „Nebensaison“. Tatsächlich wirkt Mathieus Hotel wie ausgestorben, die Cafés und Restaurants im gesichtslosen Ort scheinen menschenleer. Das milchige Licht wiederum wirkt wie ein weißer Schleier, der sich über das Meer und den Strand legt. Wenn Mathieu und Alice einen Spaziergang machen, sieht man sie oft nur als kleine Figuren in der Landschaft, und natürlich ist jedes einzelne Wort von großer Bedeutung – so wie ihr Schweigen. Wenn sie einander nichts zu sagen haben, hört man stattdessen die elegische, nur aus einzelnen Klaviertönen bestehende Musik des Sängers und Pianisten Vincent Delerm. Jeder Ton hallt nach, wie für Mathieu und Alice die gemeinsame Vergangenheit.Es gibt in diesem Film keine Aufarbeitung einer unglücklichen Beziehung. Nichts erfährt man darüber, was Mathieu und Alice damals gemacht haben – außer dass er sie verlassen hat. Was Alice einzig verlangt, ist eine aufrichtige Entschuldigung, die nie kam. „Für mich ist es so gekommen, so gut es ging“, sagt sie, „für dich war es vielleicht so, wie es kommen sollte.“ Ihre Worte lassen Mathieus Klagen über seine grauen Haare noch lächerlicher wirken. Die schrittweise Annäherung ist bestimmt von unterdrückten Gefühlen, Unsicherheiten und Vorbehalten. Dass hier den feinsten Nuancen, den Gesten und Blicken größte Bedeutung zukommt, versteht sich von selbst. Doch kaum wähnt man sich in einem romantischen Film über das Erwachen alter Gefühle, findet man sich in einem nahezu klassischen Melodram wieder, in dem die Unmöglichkeit der Liebe scheinbar jede Hoffnung hinwegfegt. So bringt man Steine zum Weinen.Mit Zwischen uns das Leben beweist Brizé zugleich seine inszenatorische Wandelbarkeit: Erzählte er etwa noch das Arbeitskampfdrama Streik mit Vincent Lindon inmitten eines Laienensembles in einem dokumentarischen Stil, ist dieser wie durch eine Milchglasscheibe gefilmte Liebesfilm gefüllt mit visuellen Metaphern.Nach seiner Uraufführung bei den Filmfestspielen von Venedig wurde Zwischen uns das Leben mit ähnlichen Filmen über die viel zitierte zweite Chance verglichen, etwa mit Celine Songs Past Lives. Doch Brizé lässt neben der Schwermut immer wieder unvermittelt Platz für die Lebensfreude und herrlich komische Momente: In dem Altersheim, in dem Alice arbeitet, findet die Hochzeit ihrer besten Freundin statt – tatsächlich ist es eine 78-jährige Frau, deren Lebensgeschichte für unzählige andere steht und die nun ihre gleichaltrige Partnerin heiratet. Und wenn bei der Hochzeitsfeier dann plötzlich zwei Vogelstimmenimitatoren auftreten, versteht man, warum Mathieu am Strand auf den Atemtrainer und Vogelfreund warten musste.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1