In Deutschland ist die Linke über ihren sektiererischen Schatten gesprungen und dabei, sich in einer neuen Partei zu sammeln. In Frankreich ist sie so zersplittert wie selten zuvor. Nicht einmal mehr eine rechnerische linke Mehrheit ist dort in Sicht, geschweige denn eine politische. Dennoch bleibt die deutsche Bewunderung der traditionell kämpferischen und konfliktstarken Franzosen nicht unbegründet. Wahlen, wie jüngst das Votum über den künftigen Präsidenten, kann sie verlieren, aber massenhafte Protestbewegungen bringen die französische Linke immer noch und immer wieder auf die Beine. Seit Jahren allerdings stets nur für kurze Perioden heftiger Konfrontationen auf der Straße, wenn es gegen einzelne Regierungsprojekte geht.
Vor der Präsidentschaftswahl 2007 konnten Sozialisten, Kommunisten, Trotzkisten und Gewerkschaften eine Reihe eindrucksvoller Erfolge erringen. Erst bereitete eine monatelang durchgehaltene Massenbewegung den Boden für das Misstrauensvotum gegen die EU-Verfassung im Mai 2005 - das Nein der Franzosen war gewiss kein lupenrein "linkes" Nein, aber die anti-neoliberale Stimmung und der soziale Protest waren stärker als Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit. Danach gelang es einer breiten Protestbewegung von Schülern und Studenten im Mai 2006, die Regierung Villepin zur Rücknahme ihres Gesetzentwurfs für die Erstanstellung (CPE) zu zwingen. Auf der Straße ist Frankreichs Linke immer noch eine Macht.
Um so bedauerlicher, wenn es misslang, das Bündnis gegen die EU-Verfassung als Wahlbündnis für die Präsidentschaftswahl 2007 zu erhalten. Die Verhandlungen innerhalb der radikalen Linken (Kommunisten/Trotzkisten) scheiterten im Dezember 2006 - aber auch der Parti Socialiste (PS), vom Konflikt um den EU-Verfassungsvertrag fast zerrissen, ging höchst uneinig in die Kampagne um die Präsidentschaft und unterlag. Für eine gewisse Rehabilitierung sorgte das Ergebnis im zweiten Wahlgang der Parlamentswahlen am 17. Juni, als sich der PS überraschend gut behaupten konnte. Selbst die Kommunisten (PCF) - mit 1,9 Prozent hatte ihre Präsidentschaftskandidatin so schlecht abgeschnitten wie noch nie seit Bestehen der V. Republik - konnten sich mit 15 Abgeordneten in der Nationalversammlung vor dem prophezeiten Untergang retten. Sogar die Grünen sind wieder da - mit vier Abgeordneten statt drei wie bisher. Es kam der Linken insgesamt zugute, dass einer der Paladine Sarkozys ein klassisch neoliberales Steuerprojekt zur Unzeit ausplauderte: elf Milliarden Euro Steuergeschenke für Großunternehmen und Vermögensbesitzer - zu finanzieren mit einer um fünf Prozent erhöhten Mehrwertsteuer. So derangiert konnte die Linke gar nicht sein, dass sie diese Steilvorlage nicht zu nutzen wusste.
Dennoch stecken sie alle in der Krise - alle Strömungen und Parteien der französischen Linken zugleich, die mehrfach gespaltenen Grünen ebenso wie die um ihr Überleben kämpfenden Kommunisten oder die in mehrere Gruppierungen zerlegten Trotzkisten. Im Parti Socialiste wird der Richtungsstreit um die Zukunft mit Verve geführt, es hagelt Positionspapiere, Ségolène Royal will den Durchmarsch an die Parteispitze - alle Welt ruft nach der "Neu(be)gründung der Linken", schreit nach neuen, vor allem zeitgemäßen Ideen. Was ist hier und heute links? Und welche linken Konzepte, gleich ob alt oder neu, können in der Welt des gegenwärtigen Kapitalismus funktionieren? Was sind die Alternativen zu den Patentrezepten neoliberaler Prägung, die Präsident Sarkozy verordnet?
Ob und wie die Parteien der Linken sich von Grund auf erneuern, das kann Frankreichs Bewegungslinke nicht kalt lassen. Gerade in ihrem Ursprungsland sucht Attac - selbst von Affären und Führungskämpfen geschüttelt - verzweifelt nach politischen Partnern, nach parlamentarischen wie kommunalpolitischen Armen und Beinen. Derzeit ist von der Arroganz der Bewegungslinken gegenüber den Parteienlinken nicht mehr viel zu spüren. PS wie PCF werden in Kürze auf eilends anberaumten außerordentlichen Parteitagen mit sich um ihre Neufindung ringen. Die Grünen und die trotzkistischen Parteien wie Lutte Ouvrière (LO) und Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) werden ein Gleiches tun und sich fragen müssen: Wie halten wir es mit der Regierungslinken?
Da das Experimentier- und Lernfeld der Landespolitik fehlt, muss die Kommunalpolitik herhalten. Die kleinen und mittleren Städte wieder zu erobern, die sie verloren hat, das ist die nächste Aufgabe der französischen Linken, vor allem der Kommunisten - und dazu muss sie die einst lebendige Kultur der "roten" Städte und Gemeinde wieder beleben. Da der Linken in Frankreich eine institutionalisierte Vetomacht fehlt, kann sie sich im Protest gegen jedes einzelne Regierungsvorhaben auf der Straße tot siegen, ohne die Machtverhältnisse wirklich zu erschüttern. Die wird sie nur ändern, setzt sie dem welkenden Charme der neoliberalen Glaubenslehren ebenso plausible wie überzeugende Konzepte entgegen. Darum wird innerhalb des PS, der einzigen Formation, die in die Nähe der Regierungsgewalt kommen kann und der die Rolle der parlamentarischen Oppositionsführerin zufällt, heute und morgen gekämpft. Die Anhänger der grandios gescheiterten Blair und Schröder stehen schon bereit, ein Dritter Weg, sogar ein "Bad Godesberg", wird von einflussreichen Personen (flankiert von den liberalen Medien) propagiert. Diejenigen, die davon nichts halten - in Deutschland werden sie sofort "Traditionalisten" genannt - kommen ihrerseits nicht darum herum, ihren oft moralischen, meist hilflosen Antikapitalismus anders zu deklinieren. Das ist in Frankreich leichter als in Deutschland, weil dort noch als ideenreicher sozialer Utopismus geschätzt wird, was hier sofort als linke Spinnerei abgetan wird.
Da die Sozialistische Partei innerhalb der europäischen Linken zumindest ideologisch links von der deutschen Sozialdemokratie zu finden ist, steht sie im Prinzip vor der gleichen Herausforderung wie Die Linke in Deutschland: Sie muss erneut begründen, wie sie sich eine erfolgreiche (Voll)beschäftigungspolitik ohne fortwährend vergeblichen Kotau vor dem großen Kapital vorstellt. Sie muss erklären, wie sie Klimaschutz und ein begrenztes, an qualitativen Zielen ausgerichtetes Wirtschaftswachstum verbinden - wie und wo sie den Herren der Finanzmärkte Zügel anlegen will. Sie muss ihre Vision einer anderen Weltwirtschaftsordnung in Welthandels-, Migrations- und Weltfinanzpolitik übersetzen. Und schließlich darlegen, wie eine funktionsfähige Wirtschaftsdemokratie aussieht, ohne die von sozialer Demokratie keine Rede sein kann. Hic Rhodus, hic salta - mit einem Wort: Frankreichs Linke muss beweisen, ob sie hegemoniefähig ist, ob sie noch Köpfe und Ideen hat.
Frankreichs Nationalversammlung
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