Das Dogma Steuersenkung

Expertenempfehlung Die "Stiftung Marktwirtschaft" hat bereits Grundlagen für eine großkoalitionäre Steuerreform gelegt

Inmitten der Aufregung um Paul Kirchhofs Einfach-Steuerpläne ist die nächste Runde der Steuerreform ein wenig in Vergessenheit geraten. Schwarz-Rot wird die rot-grünen Steuerreformen der vergangenen Jahre fortführen. Die neuen Koalitionäre eint der Glaube, die Eichelschen Reformen seien in die richtige Richtung, nur nicht weit genug gegangen. Noch immer gilt das bundessdeutsche Steuersystem als Wachstums- und Investitionsbremse erster Ordnung - wegen "zu hoher" Steuersätze, zu komplizierter Steuergesetze, eines zu komplexen Steuersystems, zu vieler "Schlupflöcher" in den Steuertarifen und zu vieler Steuersubventionen. Die neue Regierung kann sich auf den Vorschlag einer 70-köpfigen Expertenkommission der Stiftung Marktwirtschaft (nicht zu verwechseln mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) stützen. Sie setzt sich aus konservativen und stramm neoklassischen Ökonomen zusammen und hat unter anderen im "Politischen Beirat" den unvermeidlichen Friedrich Merz sitzen, aber auch Inhaber anderer Parteibücher mit gleichem, neoliberalem Credo- so Gernot Mittler (SPD) und Manfred Busch, ein veritabler Grüner.

In einer schlagwortartige Kurzfassung ihres Reformprogramms hat die Kommission bereits ihre steuerpolitischen Wegweisungen kundgetan: Sie verdammt jedwedes "Steuern mittels Steuern", ihre "Unabhängigkeit" besteht in der erklärten Distanz zu jeglicher Form staatlicher Lenkung und Umverteilung mittels Steuern, denn das sei "Parteipolitik". Die Kommission fühlt sich dem (neo)liberalen Glaubenssatz der Neutralität des Steuersystems verpflichtet. Die gibt es nicht, also muss sie hergestellt, das vorhandene Steuersystem per Reform neutral gestaltet werden. Da die Kommission gleichzeitig eine "wachstumsfördernde" Steuerpolitik will, die schwerlich neutral sein kann, bewegt sie sich in einem ständigen Widerspruch. Dem versucht sie auf originelle Weise zu entkommen, indem sie erklärt, alle so genannten Steuervergünstigungen aus dem geplanten Steuergesetzbuch herausnehmen und unter Quarantäne stellen zu wollen. Die Politik möge dann weiter entscheiden, was mit diesen Fremdkörpern geschehen soll, die jedenfalls in einem "neutralen" Steuersystem, wie es der Kommission vorschwebt, nichts zu suchen haben.

Wenn das Steuerrecht nach Ansicht der Kommission im Zeichen der Vereinfachung gründlich gesäubert werden muss - von Steuervergünstigungen und Ausnahmen -, ist unschwer zu erraten, was sie der Politik empfiehlt: "Vereinfachung vor Senkung", weg mit Steuervergünstigungen und Ausnahmebestimmungen. Über die Steuersätze sollte wieder die "Politik" entscheiden. Da ist die Expertengruppe allerdings nicht konsequent. Sie kann der Magie der niedrigen Steuersätze ebenso wenig widerstehen wie Paul Kirchhof: Auch in ihren Empfehlungen für eine neue Unternehmenssteuer taucht der berühmte Einheitssatz von 25 Prozent wieder auf.

Im deutlichen Unterschied zu Kirchhof will die Kommission die Grundstruktur des bundesdeutschen Steuersystems beibehalten. Sie schlägt partielle Strukturreformen vor - eine andere Einkommensbesteuerung, eine neue Art der Unternehmensbesteuerung, eine Reform der Kommunalsteuern: Die Einkommensteuer soll gesenkt und vereinfacht werden - durch Streichung von Ausnahmetatbeständen. Bezieher von hohen Einkommen profitieren von Ausnahmetatbeständen erheblich mehr, dagegen gibt es zum Beispiel das Mittel der Höchstgrenze, das den Experten aber nicht einfällt. Sobald es an die Einkommensteuerreform geht, werden Grundsätze der Steuergerechtigkeit sofort zugunsten der neoliberalen Schlagwortlogik vergessen. Wie die Kommission die Dualität von (veranlagter) Einkommensteuer und Lohnsteuer (im Quellenabzugverfahren) aufheben und die "Diskriminierung von Arbeitseinkommen" (die es offenbar auch nach Meinung dieser Experten im gegenwärtigen Steuersystem gibt) beenden will, bleibt dunkel. Fachleute sollten eigentlich wissen, dass eine Vielzahl der "Ausnahmeregelungen", die nun erneut zur Disposition gestellt werden (wie der Arbeitnehmerfreibetrag, die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Schicht- und Nachtarbeit), gerade eingeführt worden sind, um die faktische Privilegierung von Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ein wenig zu kompensieren.

Bei der Reform der Unternehmensbesteuerung steht wieder die Steuersenkung im Namen der angeblich bedrohten Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund. Schön niedrig soll die Unternehmenssteuer sein - 25 Prozent auf nicht ausgeschüttete, im Unternehmen verbleibende Gewinne, maximal 42 Prozent (der Höchstsatz der Einkommensteuer) auf ausgeschüttete beziehungsweise entnommene Gewinne. Zweitens geht es um Neutralität der Besteuerung: Rechtsform, Finanzierung, Investition, nichts davon soll von der Art des Besteuerung beeinflusst werden. Immerhin scheint die Kommission noch allerlei "Sonderregelungen" für Kleinunternehmen ins Auge zu fassen. Aber mit einer konsequenten Mindestbesteuerung, um das Jonglieren mit Verlusten zwecks Steuerersparnis zu beschränken, kann sie sich nicht anfreunden.

Am weitesten geht der Kommissionsvorschlag zur Reform der Kommunalsteuern. Geht es nach ihr, wird die Gewerbesteuer verschwinden und durch Anteile der Gemeinden an der Einkommen- und Unternehmenssteuer ersetzt werden. Den Kommunen gefällt das gar nicht, der deutsche Städtetag hat prompt wütenden Protest angemeldet. Das eigentliche Problem, die höchst unterschiedliche Steuerkraft der Kommunen (nochmals verschärft durch ihren "Steuerwettbewerb" um Investitionen), wird dadurch natürlich nicht behoben. Da verlässt die Kommission der Mut. Eine weitere "Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs" werde angestrebt, so heißt es. Im Zeichen des freien Wettbewerbs müsste dieses Element von Sozialstaatlichkeit, das eine annähernde Gleichheit der Lebensverhältnisse überall in der Republik herstellen soll, eigentlich fallen.

Entlastung heißt nach wie vor die Parole, mit Blick auf die "Globalisierung" und den "Wettbewerb der Steuersysteme". Obwohl die Steuerbelastung in Deutschland die niedrigste in der EU ist und deutlich unter dem Durchschnitt der Steuerbelastung in den OECD-Ländern liegt. So sehr die Kommission auf Prinzipien und die heilige Einfachheit des Steuerrechts pocht, die ganze Operation folgt dem altbekannten Dogma: Steuersenkungen schaffen Investitionen und Arbeitsplätze, bereichert um die Weisheit, dass Steuervereinfachungen die Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Diese Gebetsmühle wird seit vielen Jahren ohne Unterlass und mit wachsendem Fanatismus gedreht. Nichts davon stimmt.

Die Steuern werden in allen OECD-Ländern seit 20 Jahren immer wieder gesenkt und vereinfacht - ohne nennenswerte Beschäftigungseffekte. Die Länder, die relativ erfolgreicher waren in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben durchweg höhere nominale Steuersätze und keineswegs einfachere Steuersysteme als die Bundesrepublik Deutschland. Aus dieser Sackgasse führt keine Reform des Steuerrechts heraus. Nur eine andere Wirtschafts- und Finanzpolitik.


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