Die Fiesta ist vorbei

Spanien Jahrelang wurde Immobilienspekulation zum Volkssport für Millionen - nun stehen eine Million Wohnungen und Häuser leer

Vier Länder der Eurozone befinden sich ökonomisch klar auf Talfahrt - Italien, Frankreich, Irland und Spanien. In Großbritannien und Dänemark ist die Krise gleichfalls mit Händen zu greifen, Belgien und die Niederlande stagnieren. Die deutsche Export­maschine ist in ihrem Absatz zu fast 70 Prozent von diesen und anderen europäischen Nachbarn abhängig.

Nicht nur Symptome sind es, sondern die klassischen Merkmale einer Rezession, die für Spanien seit Jahresbeginn zu Buche schlagen. Die Wachstumsrate fiel von 3,9 Prozent im Vorjahresdurchschnitt auf 0,3 Prozent im ersten Quartal 2008 und 0,1 Prozent im zweiten (s. Übersicht). Auslöser ist mehr als alles andere das Ende eines scheinbar endlosen Immobilienbooms.

Seit Dezember sacken die Aktien von Immobilien- und Baufirmen reihenweise ab, an manchen Tagen verliert die Madrider Börse mehr als vier Prozent. Im Juli muss der Primus der Immobilienbranche Martinsa-Fadesa Insolvenz anmelden. Seine Aktien bleiben nach Verlusten von mehr als 25 Prozent vom Handel ausgeschlossen. Über 170.000 Wohnungen und fast 29 Millionen Quadratmeter Bauland gehören dem Konzern - einst mehr als zehn Milliarden Euro wert.

Als die Blase platzt und die Milliarden dahin schwinden, lässt Spaniens Bankenwelt den mit 5,2 Milliarden Euro hoch verschuldeten Konzern sang- und klanglos fallen. Ein Fanal, wie sich zeigen soll - kurz darauf trifft es die Aktien der großen Baukonzerne Ferrovial und Sacyr Vallehermosa, dicht gefolgt von den Verlusten all jener Banken, die zu den Hauptgläubigern von Martinsa-Fadesa gehören.

Spanien hat zehn Jahre Boom erlebt, Motor durchschnittlicher jährlicher Wachstumsraten von über drei Prozent war die Immobilien- und Baubranche. Wie verrückt wurden Häuser gebaut - über fünf Millionen allein seit 2003, mehr als im gleichen Zeitraum in Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen. Insgesamt stieg der Ertrag dieses Zweiges von 1996 bis 2006 um 190 Prozent. Was auf den Immobilienmarkt kam, fand reißenden Absatz. Die Mehrheit der Spanier liebt keine Mietwohnungen, sondern schätzt den Besitz von Häusern, Apartments und Ferienwohnungen. Betuchte Ausländer aus den EU-Ländern taten ein Übriges, investierten für den Zweit- oder Alterswohnsitz und verliehen ihrerseits der Hausse einen kräftigen Schub.

Wie in den USA und Großbritannien schien es für das Immobilienmanagement kein Halten zu geben, zumal die nominalen Zinsen auf ein unerhört niedriges Niveau fielen. Also kauften die Spanier Immobilien wie wild - und wie wild auf Pump. Banken und Sparkassen warfen den Leuten die Hypothekenkredite regelrecht hinterher, wurden doch die meisten nicht nach aktuellen Marktpreisen, sondern auf der Basis überhöhter Schätzungen durch Gutachter - sprich: Makler - vergeben. Viele Spanier erwarben Häuser und Wohnungen auf Kredit, um sie kurz darauf mit Gewinn weiter zu verkaufen! Immobilienspekulation war Volkssport und sorgte nebenbei für einen Konsumrausch. In der Immobilienbranche ließ sich ein Vermögen scheffeln - alle setzten auf unablässig steigende Preise.

Die Kehrseite der Euphorie: Die Immobilienfirmen türmten bei ihren Spekulationsgeschäften mit Alt- und Neubauten etwa 300 Milliarden Euro an Schulden auf. Auch branchenfremde Betriebe wollten teilhaben und setzten auf den Besitz von Immobilien. In der Konsequenz belaufen sich die Schulden spanischer Unternehmen derzeit auf 106 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (in Deutschland liegt der vergleichbare Wert bei 58 Prozent). Insgesamt ist in den Jahren des Booms gut eine Billion Euro an Krediten an private Investoren, Käufer und Bauunternehmer geflossen.

Seit Anfang 2008 ist die Fiesta unwiderruflich vorbei. Die internationale Finanzkrise, die Hochzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und die krisengetränkte Sparwut spanischer Banken setzen die Hypothekenschuldner unter Druck. 96 Prozent (!) ihrer Darlehen wurden mit variablen Zinsen vergeben (in den USA lediglich zwölf Prozent), so dass es jährlich Zinsanpassungen gibt. Folglich haben sich seit Januar die realen Belastungen für Millionen spanischer Hausbesitzer mehr als verdoppelt. Die Ausfallquoten und das Volumen fauler Kredite steigen sprunghaft, was neben mittelgroßen Bankhäusern auch Sparkassen in Schwierigkeiten bringt, die im Vertrauen auf günstige Immobilienpreise Hypothekenkredite gewährt haben, ohne lange nach der Liquidität ihrer Schuldner zu fragen.

Kaum überraschend sank die Zahl der Baugenehmigungen seit Januar um 40 Prozent. Über eine Million Wohnungen und Häuser stehen leer und gelten als unverkäuflich oder unvermietbar, immerhin vier Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. In einer Hochburg des Booms wie Katalonien stehen in manchen Regionen über die Hälfte der Immobilien zum Verkauf, so dass die Preise für Häuser nicht fallen, sondern stürzen. Im Schnitt ist ein spanischer Hausbesitzer im Augenblick mit 140.000 Euro Schulden belastet.

Eine harte, um nicht zu sagen Bruchlandung der Baubranche, die zuletzt 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet und 13 Prozent der Erwerbstätigen beschäftigt hat, steht bevor. Wenn Ende 2008 die Jahresbilanzen fällig sind, muss mit einem Verlust von 85.000 Stellen gerechnet werden, sagen Prognosen. Auch Profiteure des Auftriebs eines Jahrzehnts wie selbstständige Makler fühlen sich von Existenzsorgen bedrängt - 2007 mussten bereits 700 Maklerbüros schließen, in diesem Jahr wird die Zahl höher sein.

Kein Wunder, dass die offizielle Arbeitslosigkeit mit gut 10,5 Prozent die höchste in der EU ist, für 2009 werden sogar 13 Prozent prophezeit, damit wären über drei Millionen Spanier ohne Job (am härtesten trifft es die etwa 600.000 nordafrikanischen Migranten, denn sie werden als erste entlassen).

Im März konnte die von den spanischen Sozialisten der PSOE geführte Regierung Zapatero die Parlamentswahl zwar knapp, aber letzten Endes so gewinnen, dass sie an der Macht blieb. Da war die Krise schon spürbar, auch wenn sie noch nicht in den offiziellen Statistiken auftauchte. Inzwischen kommt der Premier um ein Konjunkturprogrammen nicht mehr herum. Der Staat zahlt dafür über 60 Milliarden Euro und nach einmal 20 Milliarden für ein 24-Punkte-Notprogramm, das vorzugsweise den sozialen Wohnungsbau bedienen soll - momentan die größte staatliche Konjunkturspritze innerhalb der EU. Anders als die blauäugigen Dogmatiker auf der Berliner Regierungsbank haben die Spanier begriffen, was die Stunde geschlagen hat.

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