Europäische Insel

Großbritannien Auch wenn das Kabinett Cameron auf Distanz zum Kontinent bleibt, wird es die Verhältnisse auf der Insel unweigerlich auf eine Europäisierung zuschneiden müssen

Am 3. Mai 1979 besiegte Margaret Thatcher die Labour Party, 1997 gelang es Tony Blair mit „New Labour“ die verhassten Tories wieder von der Macht zu vertreiben. Dreizehn Jahre später, am 6. Mai 2010, wurde Labour vernichtend geschlagen. Die Briten haben zum ersten Mal seit 1945 wieder eine Koalitionsregierung, die Tories und die LibDems gehen zusammen.

Was nun? Der Thatcherismus ist tot, New Labour ebenso – wird nun alles anders in Großbritannien? Und: Mit dem Fall der Regierung Gordon Browns nach 13 Jahren New Labour sind in Berlin, London und Paris konservativ geführte Regierungen am Ruder. Die wichtigsten europäischen Länder werden von rechts regiert, nur in Spanien hält sich noch eine eine sozialdemokratische Regierung. Was unterscheidet schwarz-gelb in Berlin und blau-gelb in London? Was haben sie gemeinsam?

Die Antwort ist: Wenig! Zwar kämpfen die konservativ-liberalen Koalitionäre auf der Insel wie Sarkozy, wie Berlusconi mit einer beispiellosen Schuldenkrise. Doch Großbritannien hat die große Krise weit härter getroffen. Nirgends sonst in Europa sind Deindustrialisierung und „Finanzialisierung“, der neoliberale Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, so konsequent, so rücksichtlos betrieben worden wie auf der Insel. Nirgendwo hat die Rettung der Banken solche Unsummen verschlungen. Das britische Defizit von knapp 192 Milliarden Euro – fast 12 Prozent des BIP – übertrifft das deutsche bei weitem, trotz der Rekordsumme von 82 Milliarden Euro, die sich Schäuble in diesem Jahr leihen muss.

David Cameron hat es mit seinen liberalen Koalitionspartnern weit besser getroffen als Angela Merkel mit der zur Ein-Punkt-Partei der Bestensverdienenden degenerierten FDP. Die LibDems werden den Sparkurs der neuen Regierung mittragen, im Tausch für die Wahlrechtsreform und die Steuerreform, die sie im Wahlkampf propagiert haben. Anders als Merkel Co. wissen die Koalitionäre, dass die Finanzkrise noch lange nicht ausgestanden ist. Am 22. Juni will die neue Regierung einen Nothaushalt mit weiteren Ausgabenkürzungen von 6 Milliarden Pfund vorlegen. Um das Wahlvolk einzustimmen, hat sie auf ihrer ersten Sitzung die Kürzung der eigenen Gehälter um 5 Prozent und eine strikte Begrenzung der im Königreich üblichen Bonuszahlungen für Spitzenbeamte beschlossen. Das ist nur der Anfang, Im Sommer folgt der Kassensturz, danach wird das Sparprogramm für die nächsten fünf Jahre konkretisiert.

Anders als die Bundesregierung scheut die britische Koalition nicht vor Steuererhöhungen zurück. Steuergeschenke für Vermögens- und Kapitalbesitzer kann sie sich nicht leisten. Im Gegenteil setzt sie auf eine Erhöhung der Kapitalertragssteuer von 18 auf 40 Prozent, will eine neue Bankenabgabe einführen, nimmt die von Labour geplanten Erhöhungen der Sozialversicherungsbeiträge teilweise zurück und dementiert bislang jede Absicht, die Mehrwertsteuer von 17,5 auf 20 Prozent zu erhöhen. Ausgabenkürzungen sollen den Löwenanteil von 80 Prozent der Haushaltssanierung bringen, im Herbst dieses Jahres werden die Details des Sparprogramms für die nächsten Jahre festgelegt. Steuerentlastungen soll es auch geben – für Niedrigeinkommen bis zu 10.000 Pfund im Jahr.

Ein Politikwechsel ist das nicht, auch wenn die neue Regierung das Bankensystem und vor allem die Finanzaufsicht neu ordnen will – die Bank of England wird gestärkt, die City wird sich an ein paar altmodisch konservative Spielregeln gewöhnen müssen, die den Spekulanten das Geschäft erschweren werden.

Zu Zeiten von Blair und Schröder gab es ideologische und politische Schulterschlüsse zwischen New Labour auf der Insel und auf dem Kontinent. Blau-gelb dagegen wird sich um die schwarz-gelb regierte Führungsmacht der Eurozone wenig scheren, von einer konservativ-liberalen Achse kann keine Rede sein. Großbritannien wird der Eurozone nicht beitreten, das bekräftigt der 6-seitige Koalitionsvertrag. Keine Rede von europäischer Solidarität, die Briten verweigern den Euroländern in der Krise jede Hilfe (obwohl sie bei dem Europäischen Währungsfonds dabei sind und im Fall einer griechischen Pleite 8 Milliarden Euro zuschießen müssten). Damit stehen sie in der kommenden Pfund-Krise allein, wie Sarkozy betont hat.

Die britische Politik wird europäischer, künftig gibt es eine feste fünfjährige Wahlperiode und in absehbarer Zeit ein gemischtes Wahlrecht, aber Europa hat vorerst nichts davon. Europa bewegt sich mit mehreren Geschwindigkeiten und die Briten fahren ihre eigene Gangart. Wie gut sie damit fahren, wird die Pfund-Krise zeigen, die auf die Euro-Krise folgen wird, so sicher wie das Amen in der Kirche.

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