Au Backe

Ausstellung In den USA fand erstmals eine große Schau mit Kunst aus Kuba statt. Sie gab Einblick in ein künstlerisches Ökosystem, das sechs Jahrzehnte Isolation prägten
Ausgabe 20/2017

Hätte der Fotograf Alberto Korda, als er am 5. März 1960 in Havanna auf den Auslöser drückte, gewusst, dass sein Porträt des Comandante in der Baskenmütze das meistreproduzierte Foto der Geschichte werden sollte – er hätte wohl erst das vom Pilz befallene Objektiv ausgetauscht. So schlich sich auf Ches linker Gesichtshälfte eine leichte Unschärfe ein, die gut den mystischen Nebel einfängt, der die kubanische Revolution von Anfang an umgab.

Verklärung und Entzauberung – zwischen diesen Polen bewegt sich eine umfassende Ausstellung kubanischer Kunst, die derzeit in den USA zu sehen ist. Unter dem Titel Adiós Utopia: Dreams and Deceptions in Cuban Art Since 1950 gibt die Schau in Houston erstmals außerhalb Kubas einen gründlichen Einblick in ein künstlerisches Ökosystem, das Ideologie und Isolation über sechs Jahrzehnte geprägt haben. Kuratiert wurde die Ausstellung von Elsa Vega, René Francisco Rodríguez und Gerardo Mosquera. Letzterer zählte 1984 zu den Gründern der Havanna-Biennale.

Eine ganze Wand ist der politischen Posterkunst aus den 1960er Jahren gewidmet. Durch ihre frische Ästhetik erlangte die regionale Spielart von Pop-Art und Art Nouveau auch jenseits der Insel Bekanntheit. Als visuelle Chronik dokumentieren die von offizieller Seite verbreiteten Plakate den anfangs euphorisch begrüßten Umbruch.

Wie gute Freunde

Alberto Kordas Che ist gleich mehrfach zu sehen. Auf einem Plakat gehen seine Züge in den roten Umrissen des südamerikanischen Kontinents auf und erscheinen so wie ein ins Unendliche verschachteltes, wellenschlagendes Mantra der Revolution. Gleich daneben wird er zum Messias stilisiert, der in der Kluft des nimmermüden Guerilleros die revolutionäre Verantwortung schultert.

Mit dieser opulenten Symbolik markieren die Poster so etwas wie die Exposition für die folgenden Jahrzehnte. Die gut hundert Exponate setzen sich mehr oder weniger explizit mit diesem Fundus auseinander. Das ist vor allem da spannend, wo sich Überschneidungen ergeben. In drei Ölgemälden von Raúl Martínez entladen sich die Ikonografie und Popästhetik der Poster in der romantisch-verklärten Feier des revolutionären Triumphs.

Martínez, der in den 1950ern Teil einer Gruppe war, deren geometrisch-abstraktes Verfahren nach der Revolution rasch auf politische Zweckmäßigkeit hin befragt wurde, kombiniert hier Pop-Art mit den figurativen Elementen der kubanischen Avantgarde. In Rosas y Estrellas (1972) schauen einem, die Augen zu wohlwollenden Schlitzen verengt, die Helden der südamerikanischen Unabhängigkeit wie gute Freunde in die Augen. Als idealisierte Versionen ihrer selbst stehen sie inmitten der züngelnden Flammen des Revolutionsideals, das in warme Rot- und Blautöne getaucht zum Blütenkelch überformt wird. Seine Serie von Gesichtsstudien Fidel Castros dagegen verweist schon 1968 auf die Bedeutung der Massenmedien für staatliche Propaganda – und nimmt die in den 1970ern einsetzende, kritischere Haltung vieler Künstler vorweg.

Der Idee von Kunst als „Arm der Revolution“ – so die Richtlinie des Kulturkongresses von 1971 – setzten Künstler wie Flavio Garciandía mit ihrem Fotorealismus eine weiche Form des Widerstands entgegen. Garciandías Serie einer im Gras liegenden jungen Frau (Ella está en otro día, 1975) bildet einen erfrischenden Kontrapunkt zu der Ahnengalerie meist männlicher Revolutionshelden und Arbeiter. Der 1964 geborene Lázaro Saavedra steht im Fokus einer Mitte der 1980er Jahre hervortretenden Generation, die sich der restriktiven Kulturpolitik gegenüber kritisch zeigte. Seiner eigenen, nach Maßstäben der Zensur mindestens „verdächtigen“ Kunst stellt er eine Serie von Ideologiedetektoren (1989) an die Seite, die von „nichts zu beanstanden“ bis „staatszersetzend“ die verbliebenen Stufen künstlerischer Freiheit ausloten. Seinem Marx löst sich da, wo bei Kordas Che die Unschärfe die Wange trübt, die Gesichtshaut vom linken Auge, und seinem revolutionsmüde dreinblickenden Christus schimmert nur noch matt die Glut des sozialistischen Utopias um die fettigen Haare. Im Mittelpunkt dieses Acryls mit dem Titel El Sagrado Corazón (1995) leuchtet, in der Tradition der katholischen Herz-Jesu-Darstellung, das in den Nationalfarben pochende Herz, während USA und UdSSR als die zu Sprech- und Denkblase stilisierten Eckpfeiler der jüngeren Geschichte Kubas auf die Sonderstellung der Insel nach dem Ende der Sowjetunion anspielen.

Die Ausstellung endet mit einer Installation des Kollektivs Los Carpinteros: Eine Nachbildung des Leuchtturms von Havanna durchmisst als gefallener Riese quer den Raum. Einzig das Leuchtfeuer in der Spitze dreht sich noch und sendet sein ambivalentes Signal aus. Mal hell, mal dunkel erscheinen die restlichen Exponate im Licht des einstigen sozialistischen Leuchtfeuers – die Überreste eines über sechs Dekaden währenden Experiments, dessen letztes Kapitel nach dem Ende des US-Embargos noch im Nebel liegt.

Info

Adiós Utopia: Dreams and Deceptions in Cuban Art Since 1950 The Museum of Fine Arts Houston, Texas, bis 21. Mai

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