Wo denkst hin, Hengstin?

Feminismus — Der Song „Hengstin“ der Band Jennifer Rostock oder vielmehr das dazu gehörige Video scheint Fans und Nicht-Fans zu irritieren. Mich auch. Warum? Wieso? Weshalb?

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Ende Oktober veröffentlichte die Berliner Band „Jennifer Rostock“ um ihre Frontfrau Jennifer Weist mit „Hengstin“ ihren – nach eigener Facebook-Ankündigung – „außergewöhnlichsten“ Song ihres neuen Albums „Genau in diesem Ton.“

Oral, vaginal, viral ...

Ich hatte zwar den Link über Facebook bemerkt, doch da mich Jennifer Rostock bisher eher wenig bis gar nicht interessierten, folgte ich dem gut gemeinten Facebook-Marketing nicht weiter. Ein paar Tage später postete ein Freund einen WELT-Artikel, der in der Überschrift das Wort „Feminismus“ enthielt und als sichtbares Bild Frau Weist nur mit Tattoos bedeckten Körper und relativ weit geöffneten Beinen zeigte. Ihre Oberweite push-up-mäßig mit ihren beiden Armen verstärkend, bedeckten ihre Hände Jennifers …. hmm, ich nenn's mal Scham. Eben erwähnter Freund fragte noch, was Jennifer Rostock mit Miley Cyrus gemeinsam hätte und kam etwas ironisch zu dem Schluss „absolut nichts.“ Das Bild wurde inzwischen von der WELT-Seite genommen.

Jedenfalls hatte mich das dann doch inspiriert, wohl weil mir der Widerspruch zwischen Feminismus und Nacktheit zumindest möglich schien. Also, reingeklickt, Artikel gelesen, Video angeschaut …

Eingebetteter Medieninhalt

Der Song ist perfekt produziert, die Mucke haut gut rein. Interessanterweise hatte er bei YouTube nach wenigen Tagen bereits mehr als 2 Millionen Klicks, jedoch auch mehr negative als positive Bewertungen.

Mich irritierte zunächst nur das Wort „Hengstin“ im Zusammenhang mit Feminismus, was ich auf Facebook postete. Denn für mich war neu, dass „Hengst“ auf Männer bezogen, ausschließlich positiv konnotiert wäre. Zudem ist es rein sexuell gemeint – ein „Hengst“ rühmt sich der Größe seines Gemächts bzw. dessen „Standkraft“ und begattet so ziemlich jede „Stute“, die bei 3 nicht im Stall ist.

Wenn es Männer benutzen, dann ist's entweder ironisch gemeint oder man braucht sich keine Minute mit solchen Typen abzugeben; es sei denn man sucht als Frau einen solchen Hengst. Das ist dann allerdings fast schon wieder eine andere Geschichte. Mir war jedenfalls auch nach zweimaligem Anschauen immer noch nicht klar, was der Song mit Feminismus zu tun hatte.

Körper als Waffe?

Die Diskussion auf Facebook ging etwas hin und her und irgendwann hörte ich mir den Song dann auch mal textlich genauer an. Frau Jennifer singt u.a. „Ich glaube nicht, dass mein Körper meine Waffe ist. Ich glaube nicht, dass mein Körper deine Sache ist.“

Nun gut, meinetwegen. Wäre mir zwar neu, dass Frauen nicht auch körperlich attraktiv wirken wollen, doch es ist richtig, dass man seinen Körper nicht als Waffe sehen muss. In einer anderen Facebook-Diskussion erfuhr ich, dass sich Frau Jennifer vor einigen Jahren ihre Brüste silikonisieren lassen hatte, von Größe A auf C. Hmm, sicher hat sie es ausschließlich für sich getan … und für sonst gar nichts und niemanden. Ebenso sind ihre Tattoos vermutlich nur für sie selbst. Die schaut sie sich dann jeden Tag alleine an und wenn andere lange drauf schauen, ist das … ach, was weiß ich.

Ich untertreibe, wenn ich schreibe, dass mir insbesondere die oben erwähnte Textzeile mehr als widersprüchlich vorkam. Doch sei's drum, Kunst ist Kunst … vielleicht ist's ja doch Feminismus oder irgendetwas in der Art.

Low-Cult, Mid-Cult oder High-Cult?

Ich zeigte ein paar Tage später einem Freund den Clip und fragte ihn nach seiner Meinung. Er erwähnte einen Text von Umberto Eco, der u.a. mal Ernest Hemingways Werk analysiert hätte und dabei den Begriff „mid-cult“ verwendete, welcher sich quasi höher darstellen will, als er eigentlich ist. Das brachte mich auf die Idee, dass jede Bevölkerungsschicht vielleicht ihren eigenen Feminismus hat und auch braucht. Etwas salopp ausgedrückt: einem Bauarbeiter brauche ich nicht mit Simone de Beauvoir kommen. Was zwar tendenziell abwertend gegenüber dem Bildungsstand eines Bauarbeiters verstanden werden kann, doch vom Prinzip her, dürfte es klar sein.

Ist Jennifer Rostocks Feminismus also auch so eine Art „mid-cult“-Feminismus, der mich deshalb irritierte, weil ich entweder dümmer oder gebildeter für diese Art des Feminismus bin?

Nach einigen weiteren Tagen hatte ich dann plötzlich den Eindruck, dass Frau Jennifer hier eher „low-cult“-Feminismus betreibt und sich im Songtext auch explizit auf diese Männer bezieht „Ich sehe so viele Männer, doch so wenig Eier.“ … bei dieser Aussage stimme ich ihr sogar tendenziell zu.

Was sagen die anderen Hengstinnen?

Was mich an dem Video-Clip zunehmend ebenso irritierte, war der „Einsatz“ von „role models“. Mit dabei sind mehr oder weniger bekannte Frauen aus Sport (wie bspw. die mehrfache Olympiasiegerin im Schwimmen, Britta Steffen), Medien, Kunst und Kultur.

Jede dieser Hengstinnen wird auf der Jennifer-Rostock-Facebook-Seite ein eigener Post unter dem hashtag #hengstin gewidmet, inklusive 30-sekündiger Videobotschaft, darunter der Song als Begleitmusik. Jeder Post enthält den Hinweis „Eine Kooperation mit Refinery29 Germany.“ Wer sich die Seite dieses „Nachrichten- und Medienunternehmens“, so die gewählte Bezeichnung auf Facebook, mal näher anschaut, könnte glatt auf die Vermutung kommen, dass es sich hier um ein Lifestyle-Magazin handelt. Also, Wikipedia „bemüht“ — ursprünglich 2005 in den USA gestartet, kam 2012 London als erste europäische Stadt dazu. Die Webseite finanziert sich größtenteils über Werbung, wie die englische Wikipedia-Seite schreibt. Und momentan scheint Frau Weist samst Band dieser Amortisierung in Deutschland behilflich zu sein.

Nun schaute ich einfach mal nach, ob die anderen Hengstinnen den Song auch auf ihren Seiten gepostet hatten. Ich begann mit der letzten – DJane YO-C. Beim Runterscrollen auf ihrer Seite findet man einen Post, in dem sie ihre nächsten Live-Auftritte mit Frauenarzt ankündigt. Selbiger Frauenarzt, der – laut Wikipedia„2009 […] wegen Gewaltdarstellung und Verbreitung gewaltpornographischer Schriften auf Grund früherer Werke (betroffene Tonträger sind ‚Porno Mafia’ und ‚Geschäft ist Geschäft’) zu einer Geldstrafe von 8400 Euro verurteilt [wurde].“ Naja, ist paar Jahre her – Frauenarzt ist seither sicher geläutert, macht jetzt auf Feminismus und somit passt das vermutlich alles zusammen. Irgendwie ... schon aus dem Grund, weil das 2016 erschienene Album von Frauenarzt „Mutterficker“ heißt. Vermutlich ist Frauenarzt so was für den Feminismus wie Donald Trump, nur eben auf musikalischer Ebene.

Eine andere Hengstin, Cäthe Pfläging, hat einen Motorrad-Club für Frauen ins Leben gerufen. Der Name des Vereins lautet „The Curves“, zu deutsch „Die Kurven“, und bezieht sich vermutlich 100%ig ausschließlich auf Straßenkurven. Nix weiblicher Körper und so, logo.

Last but not least

Nach rund fünf Tagen mit „Hengstin“ bin ich wieder um eine Feminismus-Erfahrung reicher, weiß allerdings immer noch nicht, wo Jennifer Rostock ihren Feminismus verortet haben. Allerdings könnte die vierte Zeile der ersten Strophe schon die Lösung des Problems sein: „Die Waffen einer Frau richten sich gegen sie selbst.“ Diese Songzeile war sicher anders gemeint, doch Kunst ist eben Kunst und entsteht im Auge des Betrachters ...

Zugegeben, ich versuche seit Jahren dahinter zu kommen, was Feminismus eigentlich ist. Und immer wenn ich das Wort höre oder lese, habe ich das Gefühl, dass dieses Label verbraucht ist – zumindest bei mir. Meinetwegen bringt der „Hengstin“-Song den Feminismus ein ganzes Stück voran; ich vermute allerdings eher das Gegenteil. Meinetwegen schließen sich auch das Implantieren von Silikon in die Oberweite und Feminismus nicht aus. Wenn das alles so ist, dann suche ich wohl einfach weiter, nach einem anderen Feminismus ;)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Winkler, Dresden

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