Eventkritik Bei den Box Classics in Berlin toben die Zuschauer in der riesigen Arena, als wären sie auf Crack – aber beim Kampf von Arthur Abraham war es einen Moment lang ganz still
In der O2-Arena in Berlin sind am Samstagabend gefühlte 110 Prozent Männer. Kein Wunder, ist der Grund ihres Kommens doch das „Super Six World Boxing Classic“, eine Art Champions-League des Boxens. Sechs Boxgrößen aus vier Ländern nehmen teil – mindestens vier Siege sind nötig, um der Beste im Supermittelgewicht zu sein. Der Auftaktfight: ein ehemaliger US-Weltmeister, Jermaine Taylor, gegen den derzeit vielleicht stärksten Boxer, den für Deutschland boxenden Armenier Arthur Abraham.
Tatsächlich aber sind rund ein Viertel der Zuschauer weiblich. Vermutlich mehr Frauen als bei einem Fußballspiel. Warum? Alt-Komiker Karl Dall, ohne Frau, sitzt auf einem der teuren Ringside-Plätze und hat eine Erklärung für das
n Berlin sind am Samstagabend gefühlte 110 Prozent Männer. Kein Wunder, ist der Grund ihres Kommens doch das „Super Six World Boxing Classic“, eine Art Champions-League des Boxens. Sechs Boxgrößen aus vier Ländern nehmen teil – mindestens vier Siege sind nötig, um der Beste im Supermittelgewicht zu sein. Der Auftaktfight: ein ehemaliger US-Weltmeister, Jermaine Taylor, gegen den derzeit vielleicht stärksten Boxer, den für Deutschland boxenden Armenier Arthur Abraham.Tatsächlich aber sind rund ein Viertel der Zuschauer weiblich. Vermutlich mehr Frauen als bei einem Fußballspiel. Warum? Alt-Komiker Karl Dall, ohne Frau, sitzt auf einem der teuren Ringside-Plätze und hat eine Erklärung fXX-replace-me-XXX252;r das Phänomen.„Es herrscht die gleiche Luftfeuchtigkeit und es ist die gleiche Zielgruppe wie bei einem Howard-Carpendale-Konzert.“„Sind die Frauen freiwillig hier?“„Manche sind natürlich Lebensabschussgefährtinnen, die sind nächstes Mal nicht mehr dabei. Aber schauen Sie dahinten“, er zeigt auf ein afroamerikanisches Mädchen, das wie 15 aussieht, „das ist die Freundin von Michael Buffer“, er gestikuliert in Richtung des legendären Ringsprechers. „Die ist jünger als sein Sohn. So ist Boxen.“Unweit von Dall sitzt Ebby Thust, eine Legende des deutschen Boxsports, jahrelang eine der wichtigsten Figuren im Boxgeschäft, er ist ein echter Kenner.„Herr Thust, wer ist der bessere Boxer?“„Als Fachmann muss ich leider sagen: Der Taylor ist der stärkere Boxer. “„Und wer gewinnt?“„Abraham natürlich. K.o. in der neunten Runde. Er hat einen fürchterlichen, sehr harten Schlag. Er ist gefährlich.“Der Mann mit der blaugetönten Achtziger-Jahre-Brille schaut freundlich, bedankt sich für das Gespräch. Er ist von allen Promis, mit denen wir sprechen, der bescheidenste.Vor dem Kampf sind sich alle einig, wie es laufen wird. ARD-Moderator Waldemar Hartmann, die Sportcracks von Faz und Bild, alle sagen: Wenn es nach Punkten geht, gewinnt Taylor. Aber Abraham wird ihn in der neunten Runde ausknocken.Die Journalisten aus aller Welt hämmern auf ihre Laptops, sprechen in Kopfsets. Gewaltige Kameras sind auf den Ring gerichtet. So viel Aufmerksamkeit für zwei kämpfende Männer. Wir befinden uns in einer schweren Wirtschaftskrise, Nationen bekriegen sich, die Polarkappen schmelzen – und doch sind hier 14.200 Menschen versammelt, um zwei halbnackte kämpfende Männer in einem seilumspannten Quadrat zu sehen. Die Welt ist irre.Auftritt Jermaine Taylor, ein muskulöser Mann in rotem Bademantel, der zu “Beat it“ von Michael Jackson einläuft, die Fäuste schwingen in der Luft, der Oberkörper pendelt hin und her. Vereinzelt pfeifen Zuschauer. Dann wird es dunkel, auf einer plötzlich grell erleuchteten Bühne beginnen die Scorpions zu spielen. Während Klaus Meine ins Mikrofon röhrt, wird Abraham auf einem riesigen Podest in die Halle gehievt. Die Zuschauer schreien, brüllen, gieren – unsere Herzen schlagen schneller, so als hätte jemand einen gigantischen Crackklumpen entzündet und 14.000 Menschen atmeten gleichzeitig den Rauch ein.Die ersten Runden gehen an den beweglichen US-Amerikaner, für einen kurzen Moment nach der zweiten Runde spürt man Unruhe bei den Zuschauern, während Taylors Mutter und Freundin ihren Favoriten bejubeln – wobei die Mutter während des Kampfes ihren Kopf hin- und herpendeln lässt, als müsse sie für ihren Sohn den furchtbaren Schläge ausweichen.Plötzlich ist es stillAber dann zeigt sich: Für mehr als die ersten Runden reicht es bei Taylor nicht. Abraham übernimmt die Kontrolle, mit schweren Kombinationen aus einer sicheren Doppeldeckung. Taylor stochert hilflos mit der Führhand. In Runde sieben verlässt seine Mutter ihren Platz und geht in die Katakomben. Sie ahnt, was kommen wird. Immer wieder trifft Abraham Taylor, dessen Kopf in einer Szene in der neunten Runde brutal nach hinten fliegt, wie in einem Rocky-Film. In der zwölften Runde, sechs Sekunden vor Schluss, erwischt Abraham Taylor mit einer rechten Geraden am Kinn. Der Amerikaner fliegt auf die Bretter. Jubel. Dann plötzlich Ruhe. Abraham erkundigt sich nach dem Wohlbefinden seines Kontrahenten. Taylor liegt lang am Boden. Irgendwann bewegt er sich, hält seine Hände vors Gesicht, wie ein Kind, beschämt, verletzt, geschlagen.Beim Rausgehen stehen wir plötzlich neben Mikkel Kessler. Er ist einer der Super-Six-Boxer. Jener Boxer, dem man am ehesten zutraut, Abraham gefährlich zu werden. Er sieht etwas mitgenommen aus.„Wo sind Abrahams Schwächen?“„Er ist technisch schwach. Und man sieht sie kommen, Stunden, bevor er zuschlägt.“Was Kessler meint: Lange Zeit boxt Abraham verhalten, dann plötzlich verändert sich sein Gesichtsausdruck und er kommt mit windmühlenartig rudernden Armen und völlig offener Deckung auf den Gegner zu und verprügelt ihn. Ein bisschen wie der junge Tyson. Kessler ist einer, der es vielleicht schaffen könnte, einfach zur Seite zu steigen und Abraham auszukontern. Vielleicht ergeht es ihm aber auch wie Taylor, den Abraham krankenhausreif prügelte. Der Amerikaner muss bis zum Dienstag in Berlin bleiben. Gehirnblutung.Es war, boxerisch gesehen, ein großartiger Auftakt für ein vielversprechendes Turnier. Gleichzeitig war es ein furchtbarer Abend. Der Anblick von Taylors Körper, der minutenlang regungslos im Ring lag, während seine verzweifelte Freundin neben uns betete, gab einem das Gefühl, nicht an einem Boxring, sondern an einem Tatort zu stehen.
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