Erziehung

Generation 1975 Sie sind in den Siebzigern in der DDR geboren, im wiedervereinigten Deutschland erwachsen geworden. Einer von ihnen: Torsten Hohlstedt, geboren 1975 in Königs Wusterhausen

Der richtige Schock kam bei der Volkskammerwahl im März 1990, als aus der Wende die Wiedervereinigung wurde. Ich war ja noch sehr jung und habe, anders als jene, die mit dem System haderten, die Notwendigkeit einer Revolution gar nicht begriffen. Ich dachte mir damals schon: Wir sind doch nicht ein Volk. Wir sind zwei verschiedene Völker!

./resolveuid/7c34a52136fb6720f33a689270353632Die Überführung der DDR in die BRD war für mich damals genau so absurd wie die Vorstellung, von Frankreich oder Polen annektiert zu werden. Und gewissermaßen ist das für mich heute noch so. Ich fühle mich bis heute nicht als „richtiger“ Bürger dieses Staates. Mein Verhältnis zur Berliner Republik ist ungefähr so, wie ich mir die Situation der Menschen vorstelle, die im Kaiserreich groß wurden und sich plötzlich in der Weimarer Republik wiederfanden.

Dass ich „ostdeutsch“ bin, fällt mir noch an Kleinigkeiten auf. Zum Beispiel, dass ich quasi anti-anti-autoritär bin. Dinge wie am Tisch sitzenbleiben, bis alle fertig gegessen haben, sind für mich eine Selbstverständlichkeit. Dieses nach dem Zubettgeh-Ritual noch fünfzigmal aufstehen... Überhaupt diese stundenlangen Zubettgeh-Rituale: Ich finde das irritierend. Wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob diese Einstellung ostdeutsch ist.

Aber in der DDR wurden die Kinder einfach nicht so wichtig genommen, sie waren keine Projektionsfläche, sie waren einfach da. Alle hatten Kinder, aber niemand machte großes Aufhebens darum. Man brauchte sie ja auch, um als junges Paar überhaupt eine Wohnung zu bekommen. Dieses „Be-Spaßen“ der Kinder, das ständige Fragen nach der Meinung der Kinder –„Was wollen wir denn jetzt machen?“, oder: „Willst du lieber dies oder das?“ – das ist doch absurd, als ob die das wissen würden.

Deutlich wird mein „Anders-sein“ auch an der Tatsache, dass ich relativ konsumresistent bin. Ich entwickele keine große Begeisterung für Produkte und verstehe nicht, warum ich große Opfer bringen sollte, um mir etwas Materielles leisten zu können.

Auch die Konfrontation mit der Bürokratie erinnert mich an meine Herkunft. Der bürokratische Apparat ist hier viel schlimmer als in der DDR, als es bloß diese eine Art gab, etwas zu machen. Das sich immer weiter verästelnde Steuer-, Krankenkassen-, Versicherungswesen scheint mir ein unerledigtes Überbleibsel aus der alten BRD.

Dies ist kein Loblied auf die DDR; ich hege keinerlei nostalgischen Gefühle. Ich denke oft, dass es in der DDR für mich nur zwei Wege gegeben hätte: entweder ein Dasein als totaler Nischen-Ossi, oder eine Haltung, mit der ich richtig Probleme bekommen hätte.

Protokoll: Mikael Krogerus



Torsten Hohlstedt, geboren 1975 in Königs Wusterhausen, arbeitet heute als Softwareentwickler in München

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