In der Münchner Allianz Arena waren am Dienstagabend alle Augen auf den 20-jährigen Xherdan Shaqiri vom FC Basel gerichtet. Er ging mit seiner Mannschaft gegen den Verein, für den er vom Sommer an spielen wird, sang- und klanglos unter. 7:0 gewann Bayern München gegen Basel in diesem Achtelfinal-Rückspiel der Champions League. Und trotzdem ließ Shaqiri hie und da aufblitzen, warum er als der beste (und teuerste) Schweizer Fußballer aller Zeiten gilt.
Nicht nur bei diesem jüngsten Auftritt des FC Basel fehlte etwas, auch wer die Schweizer Fußballnationalmannschaft bei der letzten Weltmeisterschaft gesehen hatte, musste erkennen: Recht solide Arbeit, aber schön sieht anders aus. Es fehlte das Unvernünftige, Unbekümmerte, Unberechenbare. Und der unbedingte Wille zu gewinnen.
Taktisches Irrlicht
Zumindest Xherdan Shaqiri ist anders, als alle, die je für die Schweiz gespielt haben. Keiner hatte eine so schillernde Begabung und zugleich eine so professionelle Einstellung. Manche werfen dem Linksfuß einen Hang zu Eigensinn und umständlichen Dribblings vor. Dabei ist der 20-Jährige kein taktisches Irrlicht. Obwohl er lieber stürmt, kann er auch verteidigen. Er machte das letztes Jahr im Saisonfinale gegen den Superstar der Young Boys Bern deutlich, als hätte er nie etwas anderes getan. Shakiri spielt nach vorne wie Arjen Robben und nach hinten wie Jürgen Kohler.
Wie er spielt, spricht er auch: offen, unverstellt. Es ist ihm egal, ob es politisch geschickt ist, seine Verbundenheit mit dem Kosovo, wo er 1991 zur Welt kam, öffentlich zu bekunden. Stolz erzählt er, dass er ein neues Auto gekauft hat. Unverblümt erklärt er nach der Vertragsunterzeichnung in München, dass er im Sommer lieber mit der Schweiz zur Olympiade führe, als mit den Bayern ins Trainingslager.
Shaqiri ist nur einer von mehreren Kosovaren im Nationalteam der Schweiz. Da sind Valon Behrami, Admir Mehmedi, Blerim Dzemaili und der von halb Europa gejagte Basel-Jungstar Granit Xhaka. Sie sind derzeit die erfolgreichsten „Secondos“ im Schweizer Fußball, haben die Italiener verdrängt, ein neuer Ciriaco Sforza ist nicht in Sicht.
Um die Bedeutung dieses Wandels einzuordnen, ist ein kleiner Exkurs in Schweizer Migrationspolitik hilfreich. Als Mitte der achtziger Jahre die Italiener, Portugiesen und Spanier nicht mehr als Saisonarbeiter auf Schweizer Baustellen arbeiten wollten, sondern selber Firmen gründeten, bestellten sie Arbeitskräfte aus Jugoslawien. Es kamen tüchtige, gut ausgebildete Männer, die rasch Deutsch lernten. Sie waren unauffällige Ausländer. Man nannte sie Jugoslawen. Mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs kam eine zweite Welle. Diesmal waren es traumatisierte Kriegsflüchtlinge, die zu ihren Vätern, Brüdern oder Onkeln in die Schweiz zogen. Es waren nicht mehr Jugoslawen, es waren Serben, Kroaten, Bosnier, Slowenen, Montenegriner, Mazedonier und Kosovo-Albaner. Die Zahl der gewalttätigen Vorfälle unter jungen Männern verdreifachte sich zwischen 1997 und 2005. Man sah einen Zusammenhang. „Jugo“ wurde zum Schimpfwort, zum Synonym für Schläger und Raser, für aggressive Jugendliche mit Machogehabe.
Alles auf Fußball gesetzt
Inzwischen hat sich das Feindbild etwas ausdifferenziert. Spricht man von Jugos, meint man zumeist Kosovo-Albaner. Untersuchungen zeigen, dass die Gruppe „Serbien, Montenegro und Kosovo“ (genauer wird nicht unterteilt) die kriminellste ist. Durchschnittlich wurden sie 3,1-mal öfter straffällig als Herkunfts-Schweizer. Ihre Arbeitslosenquote ist mit 7,5 Prozent die höchste aller Ausländergruppen (die Arbeitslosenquote in der Schweiz insgesamt: 2,8 Prozent). Sie beziehen häufiger Sozialhilfe und sind schwächer in der Schule. Nur vier Prozent aller Kosovaren schließen mit dem Abitur ab (bei allen Schweizern sind es 22 Prozent) und 15 Prozent aller kosovarischen Jungs besuchen Sonderschulen.
Xherdan Shaqiri gehört zu dieser Minderheit. Er war anderthalb, als er mit seiner Familie in die Schweiz zog. Der Vater: Hilfsarbeiter. Die Mutter: Putzfrau. Sie hatten wenig Geld, mussten die Großeltern und vier Geschwister des Vaters im Kosovo unterstützen. Zeitweise schliefen Xherdan und seine beiden älteren Brüder Erdin und Arianit gemeinsam im selben unbeheizbaren Bauernhauszimmer. Mit sieben Jahren begann Xherdan beim Dorfverein SV Augst mit dem Fußball, als Zehnjähriger wechselte er zum großen FC Basel.
Als der Vater seinen Job verlor und das Familiengefüge zu zerbrechen drohte, sprangen die Brüder ein, halfen mit ihren Lehrlingslöhnen aus. Arianit lernte Automonteur, Erdin machte eine Einzelhandelslehre bei Coop, und Xherdan begann beim Herrenausstatter Globus. Allein die Tatsache, dass alle drei eine Lehrstelle ergatterten, war eine kleine Sensation. Denn in der Schweiz ist es noch immer keine Seltenheit, dass Stellensucher aufgrund ihres jugoslawisch klingenden Namens abgelehnt werden. Shaqiri brach die Lehre ab (gegen den Willen der Eltern) und setzte alles auf den Fußball. Die Familie wurde zu einem Familienbetrieb. Bei den ersten Vertragsverhandlungen waren Vater und Brüder zugegen. Einmal erhielt Erdin einen Anruf von einem Spielervermittler aus Italien mit einem Angebot für Shaqiri. Erdins lapidare Antwort: Wenn es sich nicht um einen Spitzenclub handelt, müssen sie nicht weiterreden.
Wie sein Bruder ist auch Xherdan Shaqiri eine interessante Mischung aus Großkotz und Biedermeier. Eine Mischung, die die zwinglianische Schweiz schwer verunsichert. Denn die so lange angefeindeten Kosovaren scheinen die Kernwerte der Schweiz (Bodenständigkeit, Gründlichkeit) mit dem, was der Schweiz am meisten fehlt, zu vereinen: Ehrgeiz und Unbekümmertheit. Unterm Strich kann man sagen, die Balkanmigranten bedrohen die Schweiz nicht, sie bereichern sie. Niemand verkörpert das besser als der Fußballer Xherdan Shaqiri.
Xherdan Shaqiri, 1991 in Gjilan, Kosovo geboren, spielt als Rechtsaußen beim FC Basel. Nächsten Sommer wechselt er für 12 Millionen Euro zum FC Bayern München
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