Was habe ich gelesen?
Nackt – Ein Enthüllungsroman von Diablo Cody.
Seitenzahl: 273 Seiten.
Amazon-Verkaufsrang: 145.510.
Warum habe ich es gelesen?
Es lag neben unserem Bett (auf der Seite meiner Frau), auf der Rückseite des Buches steht: „Go hard or go home“, und: das lustige Missy-Magazine hat die Autorin abgefeiert – braucht man mehr Argumente?
Worum geht es?
24-jährige, glücklich liierte Korrekturleserin entschließt aus dem Nichts heraus, Stripperin zu werden, und zwar nicht im schillernden New York, sondern in einem nichtssagenden Kaff in Minnesota. Weil sie okaye Titten hat und relativ schamfrei ist, wird sie gleich von einem schmierigen Club engagiert und strippt sich durch das Nachtleben Minnesotas. Sie durchläuft einen Ab- bzw. Aufst
e okaye Titten hat und relativ schamfrei ist, wird sie gleich von einem schmierigen Club engagiert und strippt sich durch das Nachtleben Minnesotas. Sie durchläuft einen Ab- bzw. Aufstieg (je nach Sichtweise): zuerst normales Strippen und Lapdancen, dann auch Beddance (eine Technik, bei der die Stripperin auf einem Bett im Separee auf dem – angezogenen – Mann herumturnt, bis dieser kommt), schließlich Peepshows in abgehalfterten Sex-World-Läden und dann Massagestudios. Parallel arbeitet sie in der Werbeagentur weiter, kündigt dann den Job und strippt nur noch. Am Schluß steigt sie aus, weil: „einzelne Aspekte der Sexindustrie ergaben durchaus Sinn, was mich jedoch abstieß, war diese ganze Mädchen-im-Überfluss-Chose: Hunderte Mädchen, die wie hungrige Hündchen an den Tischen selbstgefälliger kleiner Machos um die herabfallenden Brocken bettelten“. Was Diablo Cody (nicht ihr Stripper- sondern ihr Autorenname) meint: der hässlichste Proll durfte hier Frauen erniedrigend behandeln, die ihn im normalen Leben nicht mal anschauen würden. Sie steigt also aus, heiratet ihren Freund (einen runtergrockten Musiker, der mit einem bewundernswert eifersuchtsfreien Gleichmut ihren Einstieg in die Stripperei, ebenso wie ihren Ausstieg ehrlich interessiert unterstützt) und lebt ein normales Leben. Ein Fazit gibt es nicht.Was hängen bleibt:Nicht viel. Klar liest man die drastischen Beschreibungen aus den Stripläden gern. Grad so, wie man auch Gerüchte über die Trennung von Brangelina gern liest. Wenn Cody erzählt, wie sie einem debil grinsenden Typen den Penis durch die Hose mit einer perfekt getimten Drucktechnik reibt, damit er erst nach vier Lapdances kommt und nicht schon nach dem ersten, dann zieht man sich das natürlich rein. Und wenn man darüber hinausdenkt, kommt man irgendwann zu der feministisch tatsächlich interessanten Frage: Ist das weibliches Empowerment, oder doch nur eine etwas subtilere sexuelle Ausbeutung einer jungen Frau? Kann Sex gegen Geld emanzipatorisch sein? Oder ist die Umkehrung der Machtverhältnisse, dass hier eine berechnende junge Lady den Männern auf der Nase (pardon: auf dem Schwanz) rumtanzt, letztlich eine verzweifelte Utopie in einem verdammt nochmal noch immer nicht ansatzweise infrage gestellten Patriarchat? Anders gefragt: Ist das feministische Pornografie? (Schätze, Alice Schwarzer würden die Haare zu Berge stehen bei der Lektüre). Und was würde Linda Williams, die feministische Pro-Porno-Päpstin, sagen? Mal abgesehen von dieser Meta-Ebene passiert handlungsmäßig in dem Buch nichts: Die Abwesenheit von jeglicher Dramaturgie oder Entwicklung der Charaktere gefällt mir eigentlich, bloß hätte ich mir in diesem Fall gewünscht, dass sich die erzählbegabte Diablo Cody auf ein aufregenderes Thema stürzt als Stripläden. Bei ihrem Können ist die „Enthüllungsroman-Nummer“ einfach zu plump.Die Frage, warum sich Frauen verkaufen, die auf Umwegen auch die Freitags-Leser umtrieb, beantwortet Cody übrigens auf Seite 207 lakonisch: „Die Welt des Striptease ist bevölkert von (…) Widersprüchen. Von Vorortmädchen mit zerstochenen Venen, Ghettomädchen auf Atkins-Diät, von keuschen Mädchen, die gern unanständig wären, und unanständigen Mädchen, die strippen, um anständig zu werden. Die ganze Szene ist ballaballa“. Mehr muss man dazu nicht sagen. Wie liest es sich?Sprache und Story erinnern stark an Jennifer Belle und ihren Hammer-Debut-Roman Going Down aus dem Jahre 1996. (Für Leser, die das Buch verpasst haben: Junge Schauspielstudentin verdient ihren Lebensunterhalt als Escortgirl. Belle schreibt unterhaltsam, komplett unmoralisierend und mit einer feinen, sarkastischen Beobachtungsgabe, von der sich Judith Herrmann gern mal drei bis fünf Scheiben abschneiden könnte). Diablo Cody also liest sich ein wenig wie Jennifer Belle: ein gutes Auge für surreale Alltagskomik, für knackige Dialoge, für herzerwärmend lustige Szenen in absolut trostlosen Situationen. Sie ist die Drehbuchautorin des schönen Post-Familienfilms Juno und textet jetzt für Steven Spielberg. Hollywood darf sich freuen.Das beste Zitat:"An der Wand bei meinem Spind hing ein Schild, auf dem stand: NACKTE MÄDCHEN SIND AUCH NICHT IMMER EINE LÖSUNG."Wer sollte es lesen?Judith HerrmannWas lese ich als nächstes?Wie man von Büchern spricht, die man nicht gelesen hat von Pierre Bayard.