Jacke wie Hose

Ganz kaputt Über die defekte Seite unseres Lebens

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Allenthalben trifft man auf sie, sie sind nicht zu übersehen. Menschen, die Hosen tragen, welche noch vor wenigen Jahren als ausgemustert in die Mülltonne gewandert wären, weil man sich geschämt hätte, derlei Beinkleid in die Kleidersammlung zu geben. Hosen, deren Beinlinge Risse, ja geradezu riesige Lecks aufweisen, gelten nun eben als modern, schick und zeitgemäß. Das Kleidungsstück ist neu, sieht aber schon wie einige Jahr alt aus.

Ja, solch Hose passt wahrlich in die Zeit. Natürlich kann jeder tragen was er oder sie möchte, die Freiheit, sich anzuziehen, als hätte man kein Geld für neue Sachen, steht jedem frei. Und doch passt diese Mode in die Moderne, ist insofern also modern, als dass sie wiederspiegelt, was los ist in unserer Welt. Wir sehen als normal an, was eigentlich mit Fehlern ausgestattet ist. Das Defekte ist das Normale, Unkaputt ist nicht schick. Wir wollen von Fehlern und Defekten nichts wissen. Ohne Fehl und Tadel ist die Welt des Scheins und Trugs. Da fühlt sich der Mitmensch von ausländisch-ungewohnten Kleidungsstücken bedroht, sieht das Abendland schon im Sonnenuntergang verschwinden, anstatt sich über die wirklichen Problemursachen, die uns wahrlich zusetzen, Gedanken zu machen. Was führt dazu, dass unsere Welt zu zerbrechen droht an ihren Widersprüchen? Ist es die eine oder andere falsch verstandene Religion oder sind es Gewinnstreben auf allen Ebenen, Rüstung, Drohszenarien und Waffenexporte sowie Produktion in Billiglohnländern auf Kosten der Ärmsten weltweit? Kann es sein, dass der Terror, den sich die westliche Welt unter USA-Führung selbst heranzüchtete, nun zurückschlägt? Kann es am Ende sein, dass der Westen auch mal nicht recht hat? Kann es sein, dass immer mehr Waffen immer weniger Frieden schaffen? Kann es sein, dass die NATO wirklich bedrohlich auf Russland wirkt? Kann es sein, dass unsere Hosen Risse haben und wir es nicht als Riss sondern als Mode wahrnehmen? Kann eben doch wahr sein, dass Sturm erntet, wer das laue Lüftchen sät?

Wir empören uns über die Dinge selbst anstatt über die Ursache der Dinge!

So mancher hält schon den Begriff Kapitalismus für linke Demagogie, ohne zu erkennen, dass es genau diese offenbar weitgehend als normal empfundene Gesellschaftsform ist, die Ursache ist und bleibt für die Unzulänglichkeiten, an denen die Welt krankt.

Wir im Osten hatten vor einigen Dekaden die Nase voll von Ideologien jeder Art, schlossen uns aber bereitwillig und ohne flächendeckende Klage einer neuen an, die eigentlich uralt ist, der Ideologie des Geldes. Seither wird er angebetet, der Mammon, ist Basis allen Handelns und Ziel allen Tuns. Und von Fehlerdiskussion ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, weit und breit wenig zu hören. Wir halten das Falsche für normal, das Normale für richtig, tragen dazu kaputte Hosen und merken nicht, dass da was Grundsätzliches den Bach runtergeht und schief läuft.

Und wer es doch merkt, will lieber stille sein und sich nach Mikadoart nicht rühren. Will nicht Nestbeschmutzer sein im schönen Schein des Wohlstandes auf Kosten anderer. Wir sind weit davon entfernt, in der besten aller Gesellschaftsformen zu leben. Leider wird diese Erkenntnis nicht gemocht, ist nicht gelitten von vielen unserer gewählten Vertreter, die an unserer statt die Hände heben für den nächsten Kriegseinsatz der weltweiten Friedensmissionäre. Wer Frieden will sollte friedlich bleiben. Wir sollten Russland endlich die Hand reichen, anstatt Kanonen aufzufahren.

Wir ziehen uns die Jacken nicht an, die zu unseren rissigen Hosen passen würde. Wir wollen nichts wissen von den Defekten, denen unserer Moden nicht und erst recht nicht denen in unserem politischen Denken und Handeln.

Die Risse sind erkennbar deutlich, können sie aber je geflickt werden?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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