Grün, sagt der Marketing-Typ, der Giles’ (Richard Jenkins) rotes Bild ablehnt, grün sei jetzt angesagt. Der alternde Künstler, der sich für die Dates mit Auftraggebern immer ein Toupet aufsetzt, trägt seinen rotlastigen Entwurf traurig wieder nach Hause. Grünstichig, grün schattiert ist der ganze Film. Er beginnt in einer Unterwasserszenerie, einem im Meer versunkenen Ort früheren Lebens. The Shape of Water erzählt uns seine Geschichte im Rückblick. Da weiß der Zuschauer noch nicht, dass die Handlung ihn und Eliza (Sally Hawkins) genau dahin zurückbringen wird. Endlich weg aus dieser Welt voller Banalität und Grausamkeit ins diffuse, friedliche Grünblau des Ozeans.
In Guillermo del Toros Filmen ist die menschenferne, menschenleere Welt der Märchen, der Feen und Fabelwesen oft eine utopische Alternative zum irdischen Leben. Die Heldin in Pans Labyrinth, ungeliebt, einsam, missachtet wie Eliza Esposito in The Shape Of Water, kann in der profanen Realität von Politik und Krieg nicht überleben. Sie verlässt die irdische Welt als Tote, um in einer Wunderwelt wieder aufzuwachen.
Del Toros neuer Film kommt wieder als Märchen daher. Er erzählt die Geschichte einer einsamen „schönen Seele“, der verstummten, jungen Eliza, die als Putzfrau in einem Forschungslabor des Militärs ihren Lebensunterhalt verdient. Sie hat sich in ihrem Leben eingerichtet, sich mit ihm abgefunden. Erst die Begegnung mit einem im Labor gefangenen und gequälten humanoiden Amphibienmann weckt in ihr einen neuen Lebensanspruch und den Mut, um dessen Erfüllung zu kämpfen.
Michael Shannon gibt Richard Strickland, den Bösen, den Chef des militärischen Geheimlabors, in dem der Kiemenmensch gefangen gehalten wird. Ein bisschen Karrierist, ein bisschen Sadist. Der Typ ist aber eigentlich gar nicht so besonders böse. Er ist halt ein guter Amerikaner und – ein Mann, „geschaffen nach dem Bilde Gottes“. So einer wäscht sich die Hände, bevor er seinen Schwanz zum Pissen aus der Hose nimmt. Nicht danach. Das wäre eine Charakterschwäche.
Ein fühlend’ Herz
Seinem Vorgesetzten teilt Strickland mit, nachdem ihm der kleine und der Ringfinger der linken Hand bei einer Rangelei mit dem Amphibienmann abgerissen worden sind, dass er ja immer noch „Daumen, trigger und Pussy-Finger“ habe. Der beim Sex seiner blond toupierten Suburb-Gattin befiehlt, gefälligst still zu sein. Ein Kerl eben, kaum anders als die anderen Männer im Film auch. Von der Art, wie sie eben so waren am Ende der 1950er Jahre. Sie unterscheiden sich nur im Grad der Macht, die sie ausüben können.
Der vorgesetzte General (Nick Searcy) ist so mächtig, dass er sich die Finger nicht mehr schmutzig machen muss. Giles, trockener Alkoholiker, der seinen Job in einer Werbeagentur verloren hat, ist dagegen machtlos. Seine Hoffnung auf eine zweite Chance erfüllt sich nicht. Nur weil er nichts von der Macht abkriegt, kann er sich besinnen, das Gute zu tun: Eliza bei der Befreiung des Amphibienmenschen zu helfen.
Sollte man sich den Film angucken? Klar doch. Irgendwer schreibt bestimmt wieder „bildgewaltig“. Schön gestylt ist er jedenfalls. Aber einfach nur anschauen, sich unterhalten lassen, die Augen füttern – das geht dann doch nicht. Dazu hat Guillermo del Toro wieder zu viel „tiefere Bedeutung“ eingestreut. In den Blockbuster-Kinos wird The Shape of Water in den kleineren Sälen laufen. Richtig platziert ist er aber in den Programmkinos, in die diejenigen gehen, die aus Gründen der Distinktion die Multiplex-Kinos meiden zu müssen glauben, weil sie auf „Anspruch“ konditioniert sind. Die Zuschauer können zwei Stunden lang mit den Einsamen und den Außenseitern fühlen und sich mit ihnen in eine andere, schönere Welt träumen. Und zum Beispiel erfahren, wie das physiologisch funktioniert – Sex mit einem grünschuppigen Amphibienmenschen.
Sogar unter den nicht minder „bösen“ Gegenspielern Stricklands, den sowjetischen Spionen, gibt es ein fühlend’ Herz, dessen Inhaber die Befreiung des Amphibienmenschen aus der geheimdienstlichen Folterkammer unterstützt. Spätestens an dieser Stelle sollte ein filmhistorischer Bezug auffallen. Der Amphibienmensch heißt ein sowjetischer Film von 1962, der die Geschichte eines jungen Mannes namens Ichthyander erzählt, der Lungen und Kiemen gleichzeitig hat und der fern von der lärmenden, dem Geld nachjagenden Zivilisation im stillen Unterwasserreich lebt und sich unsterblich in eine junge Frau vom Festland verliebt, die dort ähnlichen sozialen Bedrückungen wie die Eliza in The Shape of Water ausgesetzt ist.
Ichthyanders Wissenschaftlervater trieb eine utopische Vision um. Er will unter Wasser eine ideale „ozeanische Republik“ gründen. Und jedem, der sie bevölkern möchte, Kiemen einpflanzen, um in ihr leben zu können. Sein Freund Olsen, klassenbewusster Journalist bei einer „Zeitung für die Armen“, hält das für eine Illusion. Er ist sich sicher, dass sich in einer solchen unterseeischen Welt dieselben sozialen Dynamiken entfalten würden wie oberhalb des Wasserspiegels. Aus der Utopie wird nichts. Auch die Liebenden können nicht zusammenkommen. Ein Fantasy-Film mit Realismus-Anspruch. Das war 1962. Im Jahre 2018 gibt uns Guillermo del Toro eine märchenhaft individuelle Lösung der Misere. Kiemen werden dafür auch wieder benötigt. Aber keine Republik im Ozean.
Info
The Shape of Water Guillermo del Toro USA 2017, 123 Minuten
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