Sahra Wagenknecht – Die letzte Linke?

Populismus in der Linken Sahra Wagenknecht stilisiert sich mit ihren Äußerungen zur Flüchtlingsproblematik zum Enfant terrible der LINKEN.

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Was musste Wagenknecht in den letzten Monaten nicht alles über sich ergehen lassen? Erst helle Aufregungen aufgrund ihrer Äußerungen zur Asylpolitik. Dann der Tortenwurf. Nun die helle Aufregung über das Interview mit Frauke Petry. Jüngst titelte die taz von einem „rechten Konsensgespräch“ zwischen Frauke Petry und Wagenknecht. Sie würde am rechten Rand fischen, war noch der harmloseste Vorwurf. Gregor Gysi riet: „Vielleicht sollte sie sich jetzt eine Weile zur Flüchtlingsfrage einfach mal nicht äußern.“ Auch aus der Antikapitalistischen Linken, also der Strömung der Linken, die sie selber initiierte, kommt Kritik. Und Wagenknecht wird nicht müde einen Eklat nach dem anderen zu produzieren. Dabei verletzt sie linkes Selbstverständnis offenbar am laufenden Band.Eingebetteter Medieninhalt

Und haben die Kritiker nicht Recht mit ihren Vorwürfen? Wie kann man in einer derzeitigen Progromstimmung ernsthaft davon sprechen, dass es Obergrenzen für die Zuwanderung gibt? Wie kann man vom Gastrecht sprechen, wenn wöchentlich gleich mehrere Flüchtlingsunterkünfte brennen? Die Kritik ist sicherlich berechtigt. Schließlich gibt man dem rechten Affen Zucker, wenn man ihn in seinen Worten bestätigt. Wenn man also, wie Wagenknecht es getan hat, Kontingente für Flüchtlinge fordert, dann sagt man implizit damit: „Ja, die Flüchtlinge sind ein Problem. Sie kosten Geld und sind nicht leicht zu integrieren.“ Damit bestätigt man indirekt die Positionen der AFD. Die AFD stilisiert sich als einzige politische Kraft, die diese Dinge auch benennt. Und nennt als Lösung, alles dafür zu tun, die Flüchtlingszahlen gering zu halten. Damit trifft sie den Nerv der Zeit. Egal ob Mittelschichtler, Akademiker, Arbeiter oder Arbeitsloser, aus allen sozialen Schichten laufen ihr die Menschen in Scharen zu.

Im differenzierten politischen Diskurs sieht es da ganz anders aus. Keiner bestreitet, dass die sog. Flüchtlingskrise gesellschaftlich eine Katastrophe ist. Nicht mal eine Millionen Flüchtlinge sind aufgenommen worden, schon ist das politische Klima in Deutschland vergiftet. Die totgegelaubte AFD ersteht aus den Ruinen ihrer Anti-Europa-Politik wieder auf und wird zum Mahner gegen „Umvolkung“ und „Entfremdung“. Die Integration, das scheint klar, war in der Vergangenheit sehr mangelhaft. Eine bessere Integration muss her. Aber die muss auch bezahlt werden. Und an dieser Stelle werden Verteilungskämpfe schlicht negiert. Woher soll das Geld kommen, was für die Integration bezahlt werden soll? Werden am Ende nicht doch die Armen wieder zur Kasse gebeten? Egal, auf wie viel sich Kosten und Nutzen der Integration nun belaufen, gezahlt werden muss auf jeden Fall. Ob die Demographie ein weiteres Mal als Erklärung herhalten kann, dass es gut ist Flüchtlinge aufzunehmen, halte ich für fragwürdig. Teile der Linken prognostizieren einen weiteren Produktivitätsanstieg durch Automatisierung. Sie fordern eine Verkürzung der Wochen- und Lebensarbeitszeit. Wie passt es da, dass hier aufgrund eines relativ moderaten demographischen Wandels mehr Arbeitskräfte nach Deutschland geholt werden sollen? Handelt es sich dabei nicht um ein faules Argument? Deutschland ist verpflichtet Flüchtlinge aufzunehmen. Als führende Wirtschaftsmacht und vergleichsweise wohlhabendes Land, wäre es eine Schande nicht einen gewissen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen, die ihren Weg nach Europa finden. Aber umsonst, ist das nicht zu haben. Wer das letztendlich bezahlen wird, darüber besteht offenbar kein Zweifel in der Bevölkerung.

Der Zustand der Linken

Die Arbeiter laufen in Scharen zur AFD über. Es ist vielleicht Zeit, sich darüber Gedanken zu machen warum sie das tun. Und zwar Gedanken, sie sich mit der Linken auseinandersetzten und nicht mit der AFD. Der Zustand der Linken ist mit Heterogen sehr wohlwollend umschrieben. Es gibt unendlich viele Schismen und noch viel mehr Ansätze der Kritik am bestehenden System. Allein die linke Parteienlandschaft ist hierzulande sehr vielfältig. Die SPD steht für eine äußerst moderate Umverteilung aber auch für neoliberale Konzepte. Die Parteilinke hat seit dem Sturz von Lafontaine kaum noch Einfluss auf die Geschicke der Partei. Das einzige wirklich auffallende arbeiterfreundlich Parteikonzept war der Mindestlohn. Die Grünen konzentrieren sich auf ihre Kernthemen: Umweltschutz, Naturschutz, Tierschutz und Agrarwirtschaft. Dabei bedienen sie noch ganz nebenbei die monetären Belange ihrer eher gehobenen Wählerschaft. Ihr letzter Versuch, ein gerechtes Steuerkonzept in den Wahlkampf zu tragen führte zu einem Wahldesaster. Seit dem führen Kretschmann und Özdemir die Partei näher an eine Koalition mit der CDU heran. DIE LINKE ist seit jeher gespalten. Ganz unterschiedliche Konzepte werden dort in Ehren gehalten: Kommunismus, Antikapitalismus, Linksliberalismus, Keynesianismus, Sozialdemokratie alter Prägung und dazu alle möglichen linken Themen: Von Umweltschutz über Pazifismus hin zu direkte Demokratie und Gesellschaftskritik. Realos und Kernlinke stehen sich so unversöhnlich gegenüber wie bei den Grünen der 90er Jahre. Dazu kommen unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen: attak, Gewerkschaften, Antiimperialisten, Antideutsche, Friedensbewegung, Umweltschützer, Undogmatische, Linkslibertäre, Autonome und DiEM25. Und ich habe bestimmt etliche Gruppen vergessen.

Es besteht die Gefahr, dass sich die vielen linken Debatten im klein-klein einzelner ideologischer Positionen verlaufen. Was haben bspw. Tierrechte oder Fragen des Nahostkonfliktes mit den Alltagsproblemen des "Kleinen Bürgeres" zu tun? Fühlt sich der Bürger von der Linken vertreten, wenn sie in Frankfurt versucht, das Bankenviertel zu blockieren um sich dann Scherereien mit der Polizei einzuhandeln? Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich finde viele dieser Ansätze gut. Aber ob der "Kleine Mann" sich in diesen Protesten wiederfindet, wage ich zu bezweifeln. Würde die Linke für höhere Löhne auf die Straße gehen, anstatt zu versuchen, das Finanzkapital zu enthaupten, dann würde vielleicht eher Verständnis aufkommen.

Die Vielzahl an Konzepten und Lösungsvorschlägen reichen dementsprechend von der Erhöhung der Mehrwertstreuer bis zur Abschaffung des Geldes. Von der Erhöhung des Renteneintrittsalters bis zur Abschaffung des Staates und zentraler Machtkonzentration. Entsprechend schwierig ist es auch, sich auf gemeinsame Ziele zu einigen. "Die" Linke gibt es schon lange nicht mehr. Selbst innerhalb der Partei ist man sich nicht einig über den Kurs. Anders als bspw. in der CDU werden Richtungsentscheidungen in der LINKEN aber nicht mit der Macht- und Mehrheitsverteilung entschieden. Viele mehr soll der Diskurs aufrecht erhalten werden. So gibt es viele beleidigte, deren Konzept, das den Kern ihrer Ideologie ausmacht, leider in der Partei wenig Wiederklang findet.

Einfacher haben es da die Rechten. Egal ob AFD, Identitäre Bewegung, oder NPD: sie können sich problemlos auf ein bestimmtes gemeinsames Ziel einigen.

Die Zielgruppe

Nur was haben diese Konzepte und der Kampf um Tierrechte oder Biolandwirtschaft noch mit dem Proletariat zu tun? Es bleibt die Frage, ob der achteurofünfzig-Paketbote, der Angestellte bei Bayer, der Arbeitslose oder der Handwerker in seinem realen Leben von all diesen Vorstellungen profitiert? Man mag jetzt einwenden, dass er von einer Umverteilung ganz sicher profitieren würde. Aber glauben sie das? Nicht nur, dass der Handwerker, neoliberal indoktriniert, glaubt, die Auftragslage könne einbrechen, so hat er vielleicht Probleme mit einem anderen Konzept: Vielleicht hält er den Vorschlag ein Bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen für unsäglich? Ohne zu arbeiten Geld bekommen? „Das Würde dem Arbeitslosen nur so passen.“ Darum lehnt er linke Parteien ab. Oder vielleicht überlegt der Bayerarbeiter, dass er sich kein Haus mehr leisten kann, wenn Steuererhöhungen duchgesetzt werden? Der Paketbote hat vielleicht schlechte Erfahrungen mit Ausländern gemacht und kann nicht Differenziert genug mit der Situation umgehen? Der Arbeitslose geht ohnehin nicht wählen. Und wenn, dann wählt er vielleicht die AFD, weil er insgeheim glaubt, er stehe in einem Konkurrenzkampf mit billigen Flüchtlingen, die ihm einen Job rauben, den er sich erhofft? Oder einer der vier hängt einem konservativen Gesellschaftsbild an, und möchte die Homoehe nicht? Oder er ist für das Burkaverbot, da er politische Gewichte falsch setzt? Oder er sagt sich: „Mir geht es so schlecht, es soll sich erst mal meine Lage verbessern, ehe an Umweltpolitik gedacht werden kann?“ Alle vier gewichten politisch falsch würde man sagen. Aber das ändert nichts an ihren Ansichten. Für alle vier finden sich eher Gründe, die Linken als ganzes abzulehnen.

Dabei muss man auch sagen, dass die Linke keine Zugkraft mehr hat. Anfang des letzten Jahrhunderts waren die Verhältnisse klar. Eine Armee von armen Schluckern stand bereit, gegen das bestehende System aufzubegehren. Die Versprechen der Sozialisten, Anarchisten und Kommunisten waren direkt auf das Leben dieser Arbeiter und Bauern ausgerichtet. Wer arbeitslos war, musste auf der Straße schlafen. Mehr Lohn bedeutete mehr Essen. Mehr Wohnraum, dass man mit seiner Familie einen eigenen Raum hatte und ihn sich nicht mit Fremden teilen musste. Natürlich sind die heutigen Diskurse in der Linken differenzierter, aber die Menschen nicht unbedingt.

Dagegen wirkt der heutige Diskurs wie ein Jammern auf hohem Niveau. Die Armee der Armen hat sich verändert. Sie besitzen z. T. heute Häuser und Autos und selbst die Arbeitslosen können noch auf ein kleines Einkommen zurückgreifen. Der Arbeiter von Bayer wird sich vielleicht gar nicht als arm empfinden? Er hat sich sein Haus und sein Auto erarbeitet. Dass es Menschen gibt, die sich von der Höhe seines Lebenseinkommens ein nettes Wochenende machen ohne je einen Tag dafür gearbeitet zu haben, ist außerhalb seiner vorstellbaren Welt. Aber auch mit modernen Konzepten der Linken kann er nichts mehr anfangen. Die linke hat vielleicht versagt in seinen Augen. Die DDR und der Kommunismus sind gescheitert. Letztendlich haben sie nur viele Menschen umgebracht und die Arbeiter konnten auch nur im Plattenbau leben. Und die modernen Konzepte von der zinslosen Geldwirtschaft oder der Linkskeynesianismus was den wenigsten Bayerarbeitern ein Begriff sein dürfte, dringen nicht zu ihnen durch. So bleiben die konzeptuellen Vorschläge als politische Elefanten im Porzellanladen stehen. Wer findet es schon richtig, dass Zinsen abgeschafft werden oder die Unternehmen mehr Steuern zahlen? Dies zu vermitteln ist unendlich schwerer als zu sagen, dass die Bosse die Arbeiter ausbeuten, wo man es doch täglich selber erlebt.

Populismus tut not

Populismus ist darum ein Mittel, um das man nicht herum kommt. Und ich glaube, dass Sahra Wagenknecht das erkannt hat. Manchmal finde ich ihren Populismus äußerst platt und sehr gewöhnungsbedürftig. Er sucht oft nach Feindbildern und polarisiert. Aber so funktioniert Populismus nun mal. Und wer glaubt, dass Wagenknecht tatsächlich so denkt? Ist sie nicht mehr antirassistisch? Ist sie nicht mehr dafür, dass alle Menschen gleich sind? Das man sich hüten soll, die politische Debatte zu vereinfachen, halte ich für kein Argument dagegen. Denn die Debatte vereinfacht sich von allein, wie man im Angesicht der Flüchtlingskrise gesehen hat. Notfalls auch in eine Richtung, die gefährlich ist. Ob es richtig ist, darum rechte Ressentiments zu schüren? Streng genommen tut das Wagenknecht gar nicht. Das wir keine 60 Mio. Flüchtlinge aufnehmen können, oder müssen, weiß jeder sehr wohl. Das ein Krimineller, der Gastrecht missbraucht es verwirkt hat? Wer will das bestreiten? Er hat das Gastrecht verwirkt. Nun ist er auf die Gnade des Gastgebers angewiesen. Und diese Gnade wird ihm nur von einer satten und gerechten Gesellschaft gewährt.

Wagenknecht versucht, so sehe ich ihren taktischen Schachzug zumindest, Gründe aus dem Weg zu räumen, die Linke nicht zu wählen. Dabei hat sie, im krassen Gegensatz zu der restlichen DIE LINKE und Linken aber auch ein Gespür für die tatsächlichen Ansichten der Menschen. Auch wenn diese Menschen nicht auf Anhieb einen Amokläufer von einem Terroristen unterscheiden können. Oder diese Menschen nicht Differenziert mit der demographischen Frage umgehen können. Oder wenn diese Leute sich nicht auf Horkheimer und Adorno beziehen, wenn es um Flüchtlinge und moralische Verantwortung geht. Sie möchte die Menschen wissen lassen, dass es ihr um sie geht. Und zwar nur um sie. Um ihre Ängste, ihre Nöte oder um ihren Renault Espace. Davon können sich viele Linke eine Scheibe abschneiden. Will man sich als Links definieren, muss man erst einmal etliche Gesinnungstests über sich ergehen lassen? „Wie hältst du es mit dem Nahostkonflikt?“ „Demokratischer Sozialismus oder Sozialdemokratie?“ „Emanzipatorisch oder Autoritär?“ „Speziesist oder Antispeziesist?“. Das sind Fragen, die die Zielgruppe wenig interessieren. Sie wollen Antworten auf die drängendsten Fragen: Rente, Finanzkrise, Wohnungsmarkt. Und diese wichtigen Fragen drohen in einem Sammelsurium von Ideologien unterzugehen. Dazu kommt, dass die Linke kein Konzept hat, auf das sich zumindest einige bedeutende Gruppen einigen könnten? Was wollen sie der (tatsächlichen oder nur eingebildeten) Not entgegensetzen? Wird die „Reichensteuer“ alle Probleme lösen? Oder die „Erbschaftssteuer“? Wohl kaum.

Die Gefahr besteht natürlich darin, dass die großen Vereinfacher den Sieg davon tragen. Diesmal werden die Flüchtlinge schuld sein, nicht die Juden. Aber es besteht auch eine Chance, und zwar eine sehr erstrebenswerte: Wenn es den Menschen durch die Politik von Linken besser geht (welche auch immer), und die Welt gerechter geworden ist, dann müssen sie sich nicht mehr vor Flüchtlingen und Überfremdung fürchten.



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