Die Gefahr ist real

Überwachung Der neue Staatstrojaner stellt einen bedenklichen Eingriff in die Grundrechte dar. Wird er auch bei Alltagskriminalität zum Einsatz kommen? Es steht zu befürchten

Das neue Staatstrojaner-Gesetz – wieder einmal mit möglichst wenig öffentlicher Aufmerksamkeit durch die Gremien gewunken – ist ein höchst bedenklicher Eingriff in die Grundrechte. Der Einsatz invasiver und potentiell gefährlicher Schadsoftware soll demnach auch bei einer ganzen Reihe alltäglicher Straftaten zulässig sein, nicht mehr nur bei schwerer und schwerster Kriminalität. Dieses Vorgehen ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Überwachungsmaßnahmen erst mit Verweis auf Ausnahmesituationen und schwere Verbrechen eingeführt und dann “durch die Hintertür” ausgeweitet werden.

Ein weiteres problematisches Überwachungsgesetz

Die aktuelle schwarz-rote Bundesregierung hat mit der Vorratsdatenspeicherung und dem BND-Gesetz bereits zwei extrem problematische Überwachungsgesetze verabschiedet. Nun, kurz vor dem Ende der Legislaturperiode, kommt ein drittes hinzu. Es soll den flächendeckenden Einsatz sogenannter Staatstrojaner erlauben. Darunter versteht man Schadsoftware, die von den Behörden gezielt auf den Geräten Verdächtiger installiert wird, um dort Daten abzugreifen.

Mit dem neuen Gesetz soll der Staatstrojaner-Einsatz immer dann erlaubt werden, wenn auch eine reguläre Telekommunikationsüberwachung – also beispielsweise ein Abhören des Telefons – zulässig wäre. Der Straftatenkatalog für diese Maßnahme ist sehr groß und umfasst unter anderem Betrug, Hehlerei und Bestechung.

Beschluss im stillen Kämmerlein

Die Verabschiedung des neuen Gesetzes fand weitgehend ohne öffentliche Diskussion statt. Das ist von der Regierung offensichtlich so gewollt. Die neue Regelung wurde erst diskret in einem vollkommen anderen Gesetzesentwurf versteckt und auch später kaum öffentlich diskutiert. Wie so oft bei derartigen Überwachungsgesetzen will sich die Bundesregierung offenbar keiner kontroversen Diskussion stellen.

Ein doppeltes Risiko für die Privatsphäre

Ein Staatstrojaner-Einsetz ist ein großer Eingriff in die Privatsphäre. Diese wird nicht nur durch die Ermittlungsbehörden kompromittiert. Das Installieren einer Schadsoftware auf dem betreffenden Gerät – meist entweder ein Computer oder ein Mobilgerät wie Smartphone oder Tablet – reißt zudem potentiell gefährliche Sicherheitslücken auf, durch die auch unbefugte Dritte leichter Zugriff auf private Daten haben. Das gilt auch, wenn die Schadsoftware keine gespeicherten Daten auf dem Gerät abgreift, sondern „nur“ im Rahmen einer sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung eingesetzt wird. Bei dieser Überwachungs-Variante wird der Staatstrojaner dazu eingesetzt, Anrufe und Textnachrichten des oder der Verdächtigen direkt auf deren Gerät mitzulesen, bevor diese übertragen und dabei verschlüsselt werden.

Untergraben der Grundrechte durch scheinbaren Ausnahmezustand

Das Vorgehen der Bundesregierung beim Staatstrojaner ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Überwachungsmaßnahmen schrittweise und über den Umweg eines scheinbaren Ausnahmezustands eingeführt werden. Zunächst sollte diese Maßnahme laut Gesetz lediglich der Bekämpfung von schwerer und schwerster Kriminalität, beispielsweise von Terrorismus, dienen. Selbst, wenn dies nötig und effektiv gewesen wäre – worüber sich sicher streiten lässt – wäre der verantwortungsvolle Kurs gewesen, die Maßnahme immer wieder transparent zu überprüfen, um festzustellen, ob diese Notwendigkeit nach wie vor besteht, und sie abzuschaffen, sobald die Überwachung sich als überflüssig oder unverhältnismäßig herausstellt.

Stattdessen geschah – wieder einmal – das Gegenteil. Eine ursprünglich für den Notfall vorgesehene, äußerst invasive Überwachungsmaßnahme wurde stillschweigend auf eine ganze Reihe von Verbrechen, darunter auch eher alltäglicher Missetaten, ausgeweitet. Nicht nur steht dabei die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme massiv in Zweifel. Es ist auch davon auszugehen, dass eine externe Prüfung und Kontrolle (etwa durch eine Richterin oder einen Richter) bei solchen Fällen angesichts von deren Häufung flüchtiger ausfällt als bei wenigen Einzelfällen, was wiederum die Gefahr eines Missbrauchs erhöht.

Schon seit Jahren ist dieser Trend in Deutschland – wie auch vielfach im Rest Europas und in den USA – zu beobachten. Problematische Sicherheitsmaßnahmen werden mit Verweis auf Ausnahmesituationen eingeführt, aber niemals zurückgenommen, sondern schrittweise und häufig ohne öffentliche Diskussion auf weitaus alltäglichere Situationen ausgeweitet.

In der Summe sorgt dieser ständige Ausnahmezustand für eine schrittweise Einschränkung der Grundrechte. Aufgrund der mangelnden öffentlichen Diskussion und des graduellen Charakters wird dies häufig kaum wahrgenommen. Mitunter werden sogar diejenigen, die davor warnen, als panische Bedenkenträger diffamiert. Doch die Gefahr ist real und sollte, beim Staatstrojaner wie bei ähnlichen Maßnahmen, entschlossen bekämpft werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf netzpiloten.de

Annika Kremer schreibt regelmäßig über Netzpolitik und Netzaktivismus. Sie interessiert sich nicht nur für die Technik als solche, sondern vor allem dafür, wie diese genutzt wird und wie sie sich auf die Gesellschaft auswirkt.

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Annika Kremer | Netzpiloten

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