Hört nicht auf die Prediger!

Sicherheit Mehr Überwachung kann Terrorismus nicht verhindern. Aber bessere Polizeiarbeit könnte die Gefahr eines Anschlags zumindest minimieren, meint der Kriminologe Pete Fussey
Mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss: mehr Überwachung
Mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss: mehr Überwachung

Bild: Dan Kitwood/Getty Images)

Noch bevor sich der Staub der Anschläge von Paris gelegt hat, ertönen die altbekannten Plädoyers für eine umfassendere Überwachung. Der Wunsch nach mehr Sicherheit ist verständlich, aber das bedeutet eben gerade nicht, dass wir unser Urteilsvermögen gegenüber den vorgeschlagenen Maßnahmen außer Kraft setzen sollten, um Sicherheit zu erreichen.

Nach dem Angriff äußerte in Großbrittanien Premierminister David Cameron den Wunsch, die parlamentarische Verabschiedung des Gesetzesentwurfs für mehr Ermittlungsmöglichkeiten zu beschleunigen, während der CIA-Chef John Brennan in den USA mehr Befugnisse für die Nachrichten- und Geheimdienste forderte. Diese Geisteshaltung spiegelt die traditionsreiche Einstellung wider, sich für den Einsatz technologischer Lösungen stark zu machen.

Die Eile bei den Erlässen und Genehmigungen für überbordende Vollmachten hat zu unerprobten und zusammenhanglosen Gesetzen geführt, die die Sicherheitswahrung in Wirklichkeit noch erschweren. Im Anschluss an den Angriff auf Charlie Hebdo im Januar 2015 hat die französische Regierung neue Überwachungsgesetze erlassen, die Razzien ohne Durchsuchungsbefehl ermöglichten, Internetanbieter zur Sammlung von Kommunikationsmetadaten aufforderten und mangelhafte Überwachungssystem einführten.

In Großbritannien reagierte man auf die Angriffe vom 11. September, in dem man dem Antiterror-, Strafrechts- und Sicherheitsgesetz von 2001 leichtfertig jede Menge Vollmachten einräumte. Aber es waren letztendlich das durchdachtere Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus von 2000 und andere bereits bestehende Verordnungen, die sich bei der Überführung von Terroristen als nützlich erwiesen.

Politiker stellen häufig wilde Behauptungen hinsichtlich der Anzahl von terroristischen Anschlägen auf, die Geheimdienste durch Überwachung verhindert hätten. Jedoch stützt sich dieses Gerede selten auf Fakten und täuscht über die praktischen und ethischen Probleme, die Massenüberwachung mit sich bringt, hinweg.

By my read, #SnoopersCharter legitimizes mass surveillance. It is the most intrusive and least accountable surveillance regime in the West.

Ein technokratisches Trugbild

Diejenigen, die die Massenüberwachung von digitaler Kommunikation unterstützen, müssen ihre Nützlichkeit endlich stichhaltig belegen. Die Geschichte der technokratischen Herangehensweise an Sicherheit ist übersät mit Wirksamkeitsbehauptungen, die übertrieben, unbewiesen oder schlcitweg falsch sind. Solche Forderungen müssen daher mit Skepsis betrachtet werden – nicht zuletzt, weil die verwendeten Mittel häufig Ressourcen von bewährten, traditionellen Nachrichten- und Überwachungstechniken abzweigen.

Als Journalist und Vertrauter von Edward Snowden sagte Glenn Greenwald: “Jeder Terrorist, der sich seine Schuhe schnüren kann, weiß schon lange, dass die USA und das Vereinigte Königreich versuchen, ihre Kommunikation auf jede mögliche Weise zu überwachen.” Wissenschaftliche Studien belegen durch die Bank, dass Terroristen, um unentdeckt zu bleiben, durchaus innovativ mit Technologien umgehen.

Ein nachrichtendienstlicher Bericht von Flashpoint aus dem Jahr 2014 offenbart des Weiteren, dass es keinen Anstieg im Gebrauch von Verschlüsselungstechnologien durch Terroristen nach Snowdens Enthüllungen gab. Größtenteils liegt das daran, dass diejenigen, die in der Lage waren, Verschlüsselung zu nutzen, es bereits taten.

Im Anschluss an Snowdens Enthüllungen ordnete US-Präsident Barack Obama einen Bericht zur Nützlichkeit digitialer Technologien bei der Terrorismusbekämpfung an, der zu folgendem Ergebnis kam:

“Die Informationen, die durch die durch den Gebrauch von Abschnitt 215 [des sogenannten PATRIOT Acts] erhobenen Telefonie-Metadaten zu Ermittlungen gegen den Terrorismus beigesteuert wurden, waren bei der Verhinderung von Angriffen nicht essentiell und wären durch konventionelle… richterliche Verfügungen rechtzeitig und einfach zu erhalten gewesen.”

Traditionelle Methoden haben – selbst im Zeitalter des Internets – durchgehend Terrorangriffe ver- oder behindert. Zu wirklich jeder Anekdote, die die angebliche Nützlichkeit von Online-Überwachung stützt, gibt es andere, die die zentrale Rolle alltäglicher Polizeiarbeit unterstreicht. Der Versuch von "Schuhbomber" Richard Reid, eine Linienmaschine abzuschießen, der Versuch, den Times Square zu bombardieren, und der Thalys Zugangriff bei Pas-de-Calais wurden allesamt durch das Handeln aufmerksamen und mutiger Bürger verhindert.

Die besten Informationen sind menschlich

Es ist allgemein anerkannt, dass die Arbeit der Nachrichtendienste die effektivste Form von Terrorismus-Bekämpfung ist. Die besten Informationen liefert die Gesellschaft diesen Diensten aus eigenem Antrieb – und eben nicht aus Zwang. Die Festnahme von Andrew Ibrahim, der einen terroristischen Angriff plante, erfolgte zum Beispiel aufgrund von Hinweisen aus der muslimischen Gemeinde in Bristol.

Ermittlungsarbeit spielt die Hauptrolle bei der Identifizierung von Terroristen nach Angriffen. So waren es trotz der oft gezeigten Überwachungskamera-Aufnahmen der 7/7-Bombern am Luton-Bahnhof forensische Untersuchung von Leichen und Informationen aus der Beratungsstelle für Vermisste, die entscheidend zur Identifizierung beitrugen.

Was im Bezug auf Antiterror-Ermittlungen öffentlich zugänglich und bekannt ist, demonstriert die enorme Wichtigkeit von Hinweisen aus dem Umfeld sowie die Arbeit von Informanten. Eine der stichhaltigsten Studien kam zu dem Schluss, dass die Informationen aus eben diesen Quellen 76 Prozent aller Antiterror-Ermittlungen einleiten. Die Analyse von 225 überführten Individuen, die entweder von Al-Qaida rekrutiert oder inspiriert wurden, offenbarte, dass “der Beitrag der Massenüberwachungsprogramme der NSA zu Klärung dieser Fälle minimal war”, und – bei großzügier Interpretation der Ergebnisse – nur in 1,8 Prozent aller Fälle überhaupt eine erkennbare Rolle spielte.

Prioritäten richtig setzen

Ein wiederkehrendes Problem ist die Priorisierung und Analyse bereits gesammelter Informationen. Es überrascht kaum noch, wenn man nach Anschlägen hört, dass Terroristen der Polizei und den Geheimdiensten bereits bekannt waren. Dies war sowohl bei den 7/7-Bombern Mohammed Siddique Khan und Shezhad Tanweer in London der Fall, als auch bei einigen, die jetzt für die Anschläge von Paris verantwortlich gemacht werden: Brahim Abdeslam, Omar Ismail Mostefai und Samy Amimour.

Die Frage nach vertanen Chancen zur Ergreifung von Terroristen, bevor diese töten konnten, wird zurecht gestellt. Man könnte aber ebenso folgern, dass zumindest die Informationsbeschaffung effektiv ist. Andererseits wird deutlich, wie schwer es ist, Informationen richtig zu einzuordnen und daraufhin zu agieren – insbesondere, wenn es eine enorme Menge an Daten zu verarbeiten gilt.

In seiner Analyse der Snowden-Enthüllungen geht der Überwachungsforscher David Lyon davon aus, dass aktuell 1,2 Millionen US-Amerikaner überwacht werden und als potentielle terroristische Bedrohung gelten. Ungeachtet der Debatten zu Verhältnismäßigkeit und Reichweite solcher Überwachungsaktivitäten, weist allein die Größe dieser Zahl darauf hin, dass die Behörden bereits mit ausreichend Überwachungskapazitäten ausgestattet sind. Was gebraucht wird, ist die Fähigkeit, Erkentnisse eingehend zu überprüfen und von ihnen Gebrauch zu machen – und eben gerade nicht die Erlaubnis, noch mehr Daten zu sammeln.

Wie zeitgenössische Wissenschaftstheoretiker ausnahmslos argumentieren, sind physische und digitale Welt intrinsisch miteinander verbunden. Es ergibt keinen Sinn zu suggerieren, dass die Überwachung von digitaler Kommunikation und Internetnutzung etwas anonym wäre, und deshalb nicht die Privatsphäre von Individuen verletzt. Diese Aussagen werden lediglich getätigt, um Überwachung softer erscheinen zu lassen und fehlende Zustimmung und Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigen.

Wir müssen gegenüber den Predigten über technologische Lösungen für Sicherheitsprobleme genauso standhaft sein wie dem politischen Schrei nach mehr Überwachung. Neben der Debatte über die ethischen Gesichtspunkte der Massenüberwachung und deren Auswirkung auf Privatsphäre und Datenschutz, die potentiellen falschen Verdächtigungen und die abschreckende Wirkung auf freie Meinungsäußerung gibt es auch praktische Erwägungen. Umso undurchsichtiger Mechanismen zur Datenerfassung werden, desto schwieriger wird es, die Behörden zur Verwantwortung zu ziehen und zu beurteilen, ob die sozialen Kosten das Maß an Überwachung wert sind.

Dieser Artikel erschien zuerst auf “The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion durch die Netzpiloten

Pete Fusseyist Kriminologe und auf die Überwachung der Gesellschaft und die Terrorismusbekämpfung spezialisiert und unterrichtet Kriminologie und Strafrechtspflege in London

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Geschrieben von

Pete Fussey | Netzpiloten

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