Das „Gretchen“ war einer der ersten Clubs mit Weltruf, der wegen Corona schließen musste. Die Betreiberin Pamela Schobeß hat trotzdem mehr Arbeit als je zuvor. Sie sieht die gesamte Szene in Gefahr und verlangt vom Staat mehr Unterstützung.
der Freitag: Frau Schobeß, seit vier Wochen steht der Club still. Sind Sie im Ausnahmezustand?
Pamela Schobeß: Ja, das sind wir tatsächlich. Anfangs habe ich völlig naiv geglaubt, ich werde ausnahmsweise mal eine gesunde Gesichtsfarbe haben, ich werde regelmäßig schlafen und essen, weil ich plötzlich so ein ruhiges Leben führe. Das ist leider totaler Quatsch. Mir war nicht klar, dass man mit einem geschlossenen Club noch viel mehr Arbeit hat.
Worin besteht die Arbeit?
Wir müssen Stundungen für die Krankenkassenbeiträge, Miete und Versicherungen beantragen und versuchen, all die anderen Daueraufträge anzuhalten. Wir müssen uns auch um unsere Mitarbeiter*innen kümmern. Da gab es viele Hürden. Von Kurzarbeitergeld hatten wir noch nie gehört. Auch die ganzen Veranstaltungen müssen natürlich abgesagt werden. Das bedeutet: DJs, Hotels, Flüge. Das war unfassbar viel Arbeit, denn wir buchen ein halbes Jahr im Voraus. Wir arbeiten sehr international und in vielen Ländern ist das noch nicht unbedingt so wie hier.
Was würde der Clubszene durch die Krise helfen?
Es gibt Kreditprogramme vom Land Berlin, die kommen für uns aber definitiv nicht infrage, weil wir die nie zurückbezahlen werden können. Musikspielstätten und Clubs haben im Schnitt eine Umsatzrendite von einem Prozent, was sowieso recht wenig ist. Bei uns liegt sie allerdings bei 0,03 Prozent. Viele Clubs fallen total durch das Raster. Mittlerweile gibt es auch Zuschüsse für die Kulturbranche – das hilft uns mehr. Zunächst haben wir 15.000 Euro bekommen. Das hilft uns bis in den Mai, weit kommt man damit nicht.
Zur Person
Pamela Schobeß betreibt seit 1997 in Berlin Clubs zusammen mit ihrem Lebenspartner Lars Döring. Das „Icon“ in Prenzlauer Berg musste 2011 schließen, Schobeß eröffnete darauf das „Gretchen“ in Kreuzberg, in einem 1854 erbauten Gebäude. Schobeß ist Vorsitzende des Interessenverbands Clubcommission Berlin e.V.
Die Clubszene war ohnehin schon gefährdet – durch einen Mangel an rechtlichem Schutz und eine Aufwertung der innerstädtischen Gebiete. Alleine in Berlin sind laut der Clubcommission aktuell 24 Clubs gefährdet. Was fordern Sie von der Politik?
Wir sind aufgrund einer sehr alten Gesetzeslage als Vergnügungsstätten klassifiziert. Damit sind wir Bordellen oder Spielhallen gleichgesetzt. Das passt aber nicht. Denn wir kuratieren unsere Programme. Künstlerisch und kulturell gibt es keinen Unterschied, ob man in die Oper oder in einen Club geht. Das hat nur etwas mit dem Musikgeschmack zu tun. Das Gesetz sieht das allerdings momentan leider noch anders und das würden wir gerne ändern. Denn als Anlage für kulturelle Zwecke gibt es mehr Möglichkeiten, wo man sich als Club ansiedeln darf. Aber die Klassifizierung spielt eine Rolle, wie man von der Verwaltung wahrgenommen wird. Für die Genehmigung von Bauanträgen zum Beispiel. Viele Verwaltungsangestellte, die vielleicht nicht clubkulturaffin sind, halten uns für Diskotheken – also für Vergnügungsstätten.
Was unterscheidet Ihren Club von einer typischen Diskothek?
In einer Diskothek gibt es festangestellte DJs, die auf Lohnsteuerkarte arbeiten und einen Track nach dem nächsten abspielen. Wir buchen Künstler*innen, die viele selbst produzierte und exklusive Sachen nicht nur spielen, sondern auch entsprechend mixen. Wir wollen ja ein diverses Kulturprogramm kuratieren und musikalische Nischen präsentieren. Dadurch entdecken wir neue Musikstile, die sich dann weiterentwickeln. Wir bauen kleine Künstler auf, die irgendwann auf großen Festivals spielen. Diese Leute fallen ja nicht vom Himmel. Die brauchen eine Plattform, um groß zu werden.
Sie sind auch Vorsitzende der Berliner Clubcommission, die die Kampagne „United We Stream“ mitinitiiert hat. Jeden Abend spielen DJs in einem anderen Club der Stadt, die Auftritte werden online und auf Arte übertragen. Die Zuschauer*innen werden gebeten, Geld zu spenden. Wie läuft die Kampagne bislang?
Es läuft super: Seit dem 18. März hatten wir 100 Künstler*innen in 40 Clubs. Online hatten wir über sechs Millionen Impressionen und Aufrufe. Im Augenblick sind wir bei 370.000 Euro Spendengelder. Natürlich wollen wir mit der Kampagne Geld generieren. Aber unfassbar viele Menschen brauchen auch die Musik. Die wollen wir weiterhin präsentieren. Uns ist aber auch klar, dass wir nicht die Einzigen sind, denen es schlechtgeht. Durch die Corona-Krise rückt der Fokus von vielen anderen Problemen erst mal weg. Man ist sehr auf sich, auf Deutschland bezogen. Daher möchten wir acht Prozent der gesammelten Spenden der Stiftung Zivile Seenotrettung geben, damit die auch weiterarbeiten können.
Ein wichtiges politisches Zeichen in diesen Zeiten. Ist die Clubszene manchmal zu apolitisch?
Die Clubkultur war schon immer politisch. Wir bedienen Nischen, schaffen Freiräume für unterschiedlichste Arten von Menschen, die sich hier frei entfalten können. Wir bringen Menschen aus allen möglichen Gesellschaftsschichten und Hintergründen zusammen. Das ist politisch. Sehr viele in der Szene engagieren sich gegen rechts. Andere versuchen, die Clubkultur ökologisch nachhaltiger zu machen. Dieser Vorwurf kommt immer von Leuten, die nicht genau wissen, was Clubkultur ist. Ich kann es nachvollziehen, dass Menschen denken, hier würde man nur feiern und sich zuballern. Aber das entspricht nicht der Realität – und das wissen auch viele unserer Gäste. Mit dieser Kampagne haben jetzt alle die Chance, zu sehen, was eigentlich elektronische Musik überhaupt ist. Es ist eine Anerkennung unserer Arbeit.
Das Ziel der Kampagne ist eine Million Euro. Würde das die Berliner Clubszene retten?
Ein Argument der Politik war, warum wir jetzt Zuschüsse brauchen, wo wir doch diese erfolgreiche Kampagne haben. Gerade weil am Anfang sehr schnell viel Geld zusammenkam. Aber eine Million geteilt durch die Anzahl der Clubs ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Im Augenblick ist die Lage allerdings dermaßen beschissen, dass jeder einzelne Tropfen hilft.
Und wenn nicht: Könnte die Pandemie den Tod der Clubszene bedeuten?
Wir waren die Ersten, die schließen mussten. Ohne staatliche Zuschüsse werden viele von uns eine Schließung von mehreren Monaten nicht überstehen. Allein die Mieten fressen viele von uns auf. Stundungen verschieben das Problem nur auf einen späteren Zeitpunkt. Und haben wir unsere Räume erst mal verloren, finden wir ja keine neuen. Die Lage ist wirklich dramatisch und ungewiss.
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