Mit jedem Tag, ja mit jeder Stunde wächst der Druck. Die Erwartungen von über 11.000 Menschen lasten auf der noch jungen Republik. Und täglich werden es mehr. Seit dem 26. April reißt der Strom von Zahlungswilligen nicht ab, die jeweils 240 Franken (umgerechnet 220 Euro) zu einem Projekt beisteuern, von dem bislang nicht viel mehr bekannt ist als ein paar kernige Versprechen. Und die Köpfe, die dahinterstecken – hinter der Genossenschaft „Project R“, die jetzt mit dem Magazin Republik den schweizerischen Medienmarkt aufmischen will. Oder, wie es einer der Gründer formuliert: „Wir wollen das Mediensystem verändern. Dafür sind wir angetreten, daran arbeiten wir.“
Ab 2018 soll mit der Republik ein neues Online-Magazin den kleinen Markt der deutschsprachigen Schweizer Medien bereichern. Die Publikation ist als Gegenmodell zu den Gemischtwarenläden angelegt, als die sich viele Zeitungsverlage heute präsentieren. Insbesondere das Zürcher Medienhaus Tamedia sieht man als Sinnbild für die Veränderung der Medienlandschaft hin zum Schlechteren, zum Beliebigen. Aber auch politisch inspirierte Organe wie die Weltwoche von Roger Köppel, Nationalrat der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP), und die Basler Zeitung, die von SVP-Übervater Christoph Blocher finanziert ist, halten die Macher der Republik für Beispiele einer gefährlichen Entwicklung.
Das Project R will vieles anders, besser machen. Das beginnt schon mal bei einem der notwendigen Übel kommerzieller Medien: der Werbung. Die Republik wird werbefrei sein. Was bedeutet, dass das Geld einzig und allein von den Lesern kommt. Bis jetzt sind so bereits knapp drei Millionen Franken (gut 2,5 Millionen Euro) zusammengekommen. Die Zahlenden werden nicht als Abonnenten angesprochen, sondern als Verleger. Das ist nicht nur schmeichelhafte Rhetorik. Wer zahlt, kauft nicht nur ein Abo, sondern wird Genossenschafter und ist befugt, bei größeren Fragen mitzuentscheiden. Die Republik wird damit eine digitale Leserzeitung. Auf den Inhalt hat das Publikum freilich keinen unmittelbaren Einfluss, außer natürlich mit einer Abo-Kündigung bei Nichtgefallen.
So viel von der Struktur bereits bekannt ist, so wenig weiß man über den Kern des großen Versprechens: Welchen Journalismus darf man erwarten? „No Bullshit“, lautet die zentrale Devise der Macher. Das ist zwar eine modisch formulierte Ansage – aber auch noch nicht mehr. Dass allein die Ankündigung eines neuen Medienangebots Tausende zu mobilisieren vermag, hängt maßgeblich mit der Medienentwicklung der vergangenen Jahre zusammen. Etwas zugespitzt formuliert, steht derzeit so ziemlich alles zur Disposition, was lange Zeit eine stabile schweizerische Medienlandschaft ausgemacht hat.
Die drei großen und traditionsreichen Zeitungsverlage aus Zürich, Tamedia (Tages-Anzeiger), Ringier (Blick) und NZZ-Mediengruppe (Neue Zürcher Zeitung), sehen sich alle mit der gleichen Entwicklung konfrontiert: mit einem massiven Rückgang des Werbevolumens in den gedruckten Zeitungen und einem etwas weniger dramatischen, aber ebenso spürbaren Verlust an Abonnenten und Leserinnen. Richtig gut läuft nur die bei Pendlern beliebte Gratis-Zeitung 20 Minuten von Tamedia, die aber, erstens, kein Maßstab für journalistische Qualität sein kann und, zweitens, die berühmte Ausnahme von der Regel darstellt.
Der schleichende Qualitätsverlust infolge der wirtschaftlichen Entwicklung geht am Publikum offensichtlich nicht spurlos vorbei. Die Tamedia-Zeitungen kommen heute als Patchwork-Produkte daher, deren Inhalte aus ungezählten Quellen im In- und Ausland zusammengewürfelt werden. Der Tages-Anzeiger etwa, das einstige Flaggschiff des Hauses, bedient sich inzwischen aus so unterschiedlichen Quellen wie den schon genannten 20 Minuten, der Süddeutschen Zeitung und der ehemaligen verlagsinternen Konkurrenz Sonntagszeitung, mit der heute ein Großteil der Ressorts gemeinsam geführt wird. Es liegt auf der Hand, dass man damit nicht unbedingt das Profil einer Traditionsmarke schärft und neues Vertrauen schafft, das so dringend erforderlich wäre, um Leser zu halten oder sogar neu zu gewinnen. Austauschbare Inhalte sind da jedenfalls kein Argument.
Die Fehler der Anderen
Weniger unter wirtschaftlichem als unter politischem Druck steht dieser Tage der öffentliche Rundfunk der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG. Wenn es uns nicht gut geht, sollen es die anderen auch nicht besser haben, sagen sich die Zeitungsverleger und lobbyieren mittlerweile für eine Schwächung des gebührenfinanzierten Radios und Fernsehens. Die größte Bedrohung kommt aber von jung-libertären Aktivisten, welche schon die erforderlichen 100.000 Unterschriften eingesammelt haben, damit über ein Verbot öffentlicher Medienfinanzierung abgestimmt wird. Eine Zustimmung zu dieser Volksinitiative – zu der die Bevölkerung vermutlich im kommenden Jahr ihr Votum abgeben kann – würde das Aus von Schweizer Radio und Fernsehen in seiner heutige Form bedeuten. Ebenso betroffen wäre ein Großteil der privaten Lokal- und Regionalsender, die in der Schweiz ebenfalls über Empfangsgebühren mitfinanziert werden.
Wenn in einer solch betrüblichen medienpolitischen Großwetterlage ein möglicher Heilsbringer auf den Plan tritt, stoßen seine Versprechen natürlich auf Anklang. Umso mehr, wenn einer der bekanntesten linken Journalisten des Landes als Galionsfigur auftritt. Constantin Seibt, bis Ende 2016 Reporter beim Tages-Anzeiger, davor Redakteur der linken Wochenzeitung (WOZ), gibt dem geplanten Republik-Magazin ein Gesicht. Beim Blick auf die bisherige Berichterstattung über das Projekt könnte glatt der Eindruck entstehen, als handelte es sich hier um eine Ein-Mann-Show. Seibt hier, Seibt da, Seibt überall. Mit seinen sprachgewaltig formulierten Einordnungsstücken zu politischen und gesellschaftlichen Zeiterscheinungen schuf sich der 51-Jährige einen exzellenten Ruf als Journalist – und damit eine Fangemeinde, wie sie sonst nur wenige Medienschaffende kennen. Zumindest ein Teil der über 11.000 Republik-Abonnenten dürfte auch einfach deshalb gezahlt haben: um endlich wieder Seibt-Texte lesen zu können.
Dass Seibt selbst schreiben wird, steht außer Frage. Wie das Magazin als Ganzes daherkommen wird, muss sich noch zeigen. Zuerst wollten die Macherinnen und Macher sich finanziell absichern. Nachdem das grandios geglückt ist, folgt nun die Planungs- und Aufbauphase. Die Redaktion soll elf Personen umfassen, pro Tag sind drei Artikel geplant. Man wolle nicht den ersten Artikel zu einem Thema schreiben – sondern den definitiven: So skizziert Seibt das redaktionelle Selbstverständnis.
Die rund drei Millionen Franken an Abovorschüssen, sowie weitere 3,5 Millionen an Investorengeldern, ermöglichen einen sicheren Betrieb für die ersten Jahre. Damit sich das Projekt selbst trägt, braucht die Republik bis in fünf Jahren 22.000 Abonnenten. Hoffnung auf ein Gelingen schöpft Projekt R aus dem Erfolg ihres Vorbilds De Correspondent in den Niederlanden. Jene unabhängige Nachrichtenseite wird von heute rund 50.000 Abonnenten finanziert und legte vor vier Jahren ebenfalls einen Blitzstart hin: Das erste Crowdfunding brachte eine Million Euro in acht Tagen.
Dass ein solcher Anfangserfolg noch keine Garantie bietet, längerfristig auf sicherem Boden zu stehen, zeigten in Deutschland die Krautreporter: Ebenfalls vom De Correspondent inspiriert, hatte das Online-Magazin 2014 genau so einen Millionenstart hingelegt. Nach nur einem Jahr sprangen allerdings zwei Drittel der 15.000 Abonnenten ab, was das Unternehmen zu einer harten Neuorganisierung zwang. Auch bei der Schweizer Republik rechnet man mit einer relativ hohen Absprungquote nach einem Jahr, von rund 40 Prozent gehen sie aus. Vom heutigen Stand aus gerechnet, würden damit aber immer noch 7.200 Abonnenten verbleiben.
Für den langfristigen Erfolg wird die Publikumsbindung der entscheidende Faktor sein. Bei der Republik bietet der riesige Vertrauensvorschuss, den die Köpfe dahinter genießen, die Grundlage für eine starke Leserbindung – etwas, das vielen herkömmlichen Medien inzwischen fehlt. Ob die angepeilten 22.000 Abonnenten aber ausreichen, um mehr als nur eine weitere Nischen-Alternative zum sogenannten Mainstream darzustellen, lässt sich schlecht abschätzen. Fest steht: Wenn die bekannten großen Zeitungsverlage im bisherigen Takt weiter um- und abbauen, spielt das der Republik in die Hände. Erst kürzlich gab Tamedia bekannt, weitere „radikale Szenarien“ – sprich: Abbaupläne – für ihre Tageszeitungen zu prüfen. Beste Gratiswerbung für die Republik.
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