Die Andamanen sind eine Inselgruppe im Indischen Ozean. Am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 hatte die Erde südlich der Andamanen gebebt und einen Tsunami ausgelöst. Mindestens 231.000 Menschen rissen die sich türmenden Wassermassen an den Ozeanküsten in den Tod. Für die Inselgruppe fürchtete man die komplette Entvölkerung.
Tatsächlich aber hatten die Andamanen relativ wenige Opfer zu beklagen – obwohl sie doch mitten im Epizentrum liegen. Die Ureinwohner hatten die Gefahr „gefühlt“ – die Zeichen der Natur richtig gedeutet und gehandelt. Sie waren rechtzeitig auf die Berge der Inseln geflüchtet, eine Vorsicht, die ihr Leben rettete. Opfer waren vor allem die Alten, die nicht mehr fliehen konnten, und die Zugezogenen, die nicht „fühlten“.
Dummerweise verfügen wir Mitteleuropäer über keine solche Gefahrfühlgabe. Wir fühlen eben nicht, wie stark uns beispielsweise die Erderwärmung heute schon bedroht. Die Luft hat sich im globalen Durchschnitt um 0,8 Grad erwärmt. Wärmere Luft kann mehr Wasser aufnehmen, mehr Wasser bedeutet auch mehr gespeicherte Energie. Eigentlich ganz logisch: Steigende Globaltemperaturen lassen extreme Wetterereignisse wuchtiger ausfallen; einfache Physik, aber ohne Sinnesorgan. Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Erderwärmung und Wetterphänomenen wie dem Taifun Haiyan. Aber es gibt die Grundlagen der Physik. Und das Vorsorgeprinzip der Politik: Wer eine Gefahr nicht ausschließen kann, muss mindestens Maßnahmen ergreifen, die diese potenzielle Gefahr abwenden.
Taifun Haiyan auf den Philippinen wird als der stärkste bislang registrierte Sturm in die Geschichte eingehen. Das Stammbuch verzeichnete zuletzt etliche Einträge solcher Qualität: Während 2010 weite Teile Pakistans in bis dato nie bekanntem Ausmaß in den Fluten versanken, litt Russland unter extremer Hitze und tausendfachem Waldbrand. 2011 erlebte Thailand eine Rekordflut, während die USA unter den heißesten je gemessenen Sommertemperaturen ächzten. Erstmals überhaupt raste mit „Sandy“ 2012 ein Hurrikan auf New York zu – solche Wetterphänomene kannte man dort zuvor nicht. Anders als die sogenannte 5-B-Wetterlage, die in diesem Sommer Deutschland an Elbe und Donau unter Wasser setzte: In den 50 Jahren bis 1999 gab es knapp ein Dutzend solcher regenreichen Mittelmeertiefs in unseren Breiten. In den vergangenen fünf Jahren waren es 14.
Statt nun die Zeichen richtig zu deuten, machen wir weiter wie bisher: Die Große Koalition sagt zwar, dass die Energiewende fortgesetzt werden müsse. Ihre praktische Politik sorgt in den Koalitionsverhandlungen aber für das genaue Gegenteil. Statt das Investitionsklima für Sonne, Wind und Co. zu verbessern, wird es stark verschlechtert; so, dass sich der Bau neuer Windräder oder Biomassekraftwerke in den nächsten vier Jahren kaum noch ökonomisch lohnt. Statt dreckige Kohlekraftwerke abzuschalten, werden diese mit Sonderprämien am Netz gehalten. Sogar das Grünstromprivileg soll abgeschafft werden, ein Instrument, das zur Direktvermarktung von regenerativ erzeugter Elektrizität dient – und so die Ökostromumlage senken hilft und damit den Strompreis.
Eine Politik, die weltweite Folgen haben wird: Auf der Klimakonferenz in Polen betont derzeit jeder, wie wenig Zeit uns noch zum Umsteuern bleibt. Und trotzdem drückten alle Konferenzteilnehmer auf die Bremse. Deutschland dient dabei als Argument: Sieh an, die Koalitionäre aus Union und SPD steigen aus dem Umbau der Energieversorgung aus! Haben sich die Deutschen bei ihrem politischen Prestigeprojekt verrannt? Ist es vielleicht doch so, dass es gar nicht geht ohne Atom- und Kohlestrom? Können sich nicht einmal mehr die reichen Deutschen den Umstieg auf grüne Technologien leisten?
Die Bundesrepublik könnte zeigen, dass Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung jenseits der fossilen Energien möglich sind. Ein solches Beispiel wäre mehr wert als jede Klimakonferenz. Stattdessen zanken Union und SPD um die Kosten. Ein Cent wird die Kilowattstunde Strom im kommenden Jahr teurer – da muss man natürlich auf die Bremse treten!
Tatsächlich sind die Kosten lächerlich gering – im Verhältnis zu den Schäden, die jetzt auf den Philippinen oder durch das Sommerhochwasser entstanden sind. Klimaschutz heute ist wesentlich billiger als jene Folgen, die „Kein Klimaschutz heute“ morgen verursachen werden. Nicholas Stern, ehedem Chefökonom der Weltbank, hat für die britische Regierung berechnet, was wir investieren müssten, um globale Verwerfungen vermeiden zu können: jährlich ein Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Stern hat auch berechnet, was es uns kostet, wenn wir nicht investieren: Die Schäden könnten sich jährlich auf 20 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts anhäufen – deutlich mehr als Weltkrieg eins und zwei zusammen.
Deutschland hat die Pflicht, Vorreiter zu sein für einen Ausweg aus dem Schlamassel, den wir der Welt eingebrockt haben.Zwei Tonnen Treibhausgas pro Jahr – diese Menge hält die Wissenschaft für einen Menschen für vertretbar. Wir Deutschen produzieren im Durchschnitt zehn Tonnen pro Kopf. Es ist ein Jammer, dass uns dafür die Sinnesorgane fehlen.
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