Die Neuaufteilung der Welt

Geopolitik Auf dem Gipfel in Kopenhagen geht es gar nicht ums Klima, sondern um den alten Konflikt Nord gegen Süd, ganz handfest

Nun geht sie also in die Halbzeit, die Weltklimakonferenz in Kopenhagen: Am Samstag werden zehntausend Klimaschützer wütend durch die Straßen der dänischen Hauptstadt ziehen, weil es am Freitag als Halbzeitkommentar auf dem Konferenzparkett heißen wird: Der Durchbruch ist noch nicht in Sicht. Das geneigte Publikum wird den Kopf schütteln und die Klimadiplomaten tadeln, Tempo einfordern und auf die Rettung der Welt drängen. Und dabei gründlich danebenliegen.

Denn nicht das Klimaproblem ist strittig unter den Diplomaten. Sondern die hegemoniale Neuaufteilung der Welt. Russland contra Indien, Indien contra China, die USA contra China, Indien und Russland – so lautet das Spiel von Kopenhagen, kurz gesagt: wieder einmal Nord gegen Süd. Und Europa steckt da neuerdings erstaunlich richtungslos mittendrin.

Erinnern wir uns! Vor zwei Jahren beschloss die Weltklimadiplomatie mit der so genannten „Bali road map“ ein klares politisches Mandat: Bis zum Dezember 2009 sollte ein Kyoto-Folgeabkommen ausgehandelt werden, dem dann in Kopenhagen alle zustimmen können. Befeuert wurde dieser Plan durch dramatische Erkenntnisse der Wissenschaft: Aller Voraussicht nach werden mehrere Auswirkungen des Klimawandels früher und stärker eintreten, als noch 2007 vom Weltklimarat IPCC pro­gnostiziert.

Den eingeschlagenen Emissionspfad fortgeschritten, würde die globale Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts um sieben Grad Celsius steigen. Und weil das wiederum dazu führt, dass etliche Kippsysteme in Gang gesetzt werden, gibt der Mensch seine Gestaltungshoheit auf: Tauen etwa die Permafrost-Böden in Sibirien, Nord-Kanada, Alaska, werden Millionen von Milliarden Tonnen Methan frei gesetzt, ein Klimagift, das für die Atmosphäre 22 mal so aggressiv ist wie Kohlendioxid. Der Treibhauseffekt wäre dann nicht mehr kontrollierbar. Die Richtlinie heißt deshalb: Maximal zwei Grad, das könnte für die Menschheit noch beherrschbar sein. Jenseits dieser zwei Grad ist egal, wie wir uns zu retten versuchen.

Natürlich wissen das die gut 5.000 Klimadiplomaten, die sich in Kopenhagen über den Entwurf eines Post-Kyoto-Protokolls beugen. Dass sich trotzdem wenig bewegt, liegt aber nicht an ihnen, es liegt am Sachgebiet. In Kopenhagen geht es nämlich gar nicht um Klimapolitik. Klimaschutz ist nur die Folie, auf der die Neuaufteilung der Welt verhandelt wird. In erster Linie geht es um Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik, um Wachstumsprozente und Lieferverträge, um Patente, um Wertschöpfung, Handelsvorteile und Geld zur Anpassung an die Erderwärmung.

Klimaschutz wird von der Wirtschaftspolitik immer noch als Hemmschuh begriffen. Denn nirgendwo auf der Welt ist es bislang gelungen, Wirtschaftswachstum vom Energieverbrauch abzukoppeln. Da der Energieverbrauch in Schwellen- und Industrieländern überwiegend durch fossile Verbrennung gedeckt wird, ist Wirschaftswachstum dort sogar gleichbedeutend mit dem Anstieg der CO2-Emissionen. Anders ausgedrückt: Emissionsgrenzen bedeuten einen Verzicht auf einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Konkurrenten.

„50 Prozent der US-amerikanischen Klimaschutzpolitik betrifft China“, urteilt etwa Alexander Ochs, beim Washingtoner Worldwatch-Institut für Klimapolitik zuständig. Um Kopenhagen zu einem Erfolg zu machen, müsse der Wettlauf zwischen einem „Wer kann am wenigsten tun“ in ein Wettbewerb des „Wer tut am meisten“ umgemünzt werden. Das sei nur möglich, wenn sich endlich die Einsicht durchsetzte, dass Klimapolitik nicht nur kurzfristig kostet, sondern vor allem langfristig wirtschaftliche Kosten verhindert, so Ochs. Der entscheidende Punkt ist deshalb: Wie kann es gelingen, Klimaschutz von einem Wachstumsverhinderer zu einem Wachstums­garanten zu machen?

Deshalb muss Kopenhagen auch eine Antwort auf die Frage liefern: Sind hegemoniale Verschiebungen in der Welt ohne Gewaltanwendung möglich? In den letzten Dekaden sorgte vor allem die strukturelle Gewalt, ausgeübt etwa von Weltbank, WTO oder dem Internationalen Währungsfonds für den Machterhalt der Industriestaaten. Längst sind die so genannten Schwellenländer für einen Angriff vorbereitet. China, Brasilien, Indonesien, Mexiko, Indien, Südafrika oder Südkorea haben im elitären Wirtschaftklub der „großen Acht“ bereits die Türen eingeschlagen: G8 heißt jetzt G13. Nun also gilt es in Kopenhagen auch, beim Energiehunger die Revolte anzuzetteln: Die klassischen Energieverschwender USA, Deutschland, England, Frankreich oder Kanada müssen anfangen, sich zu bescheiden.

Für die nächste Woche haben sich gut 100 Staats- und Regierungschefs in Kopenhagen angesagt – von Brasiliens Lula über Großbritanniens Gordon Brown bis hin zu Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao. Ihr Kredo ist klar: Entscheidungen zur Wirtschafts-, Wachstums- und Wettbewerbspolitik – die werden wir doch nicht den Umweltpolitikern überlassen. Denn das ist das Grundproblem der Menschheit im 21. Jahrhundert. Wirtschaftspolitik wird im Grundverständnis als Gegenteil von Klimapolitik angesehen.

Nick Reimer ist Redaktionsleiter von www.wir-klimaretter.de

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