Ende der Energiewende

Atomkraft Eigentlich könnten die deutschen AKW bald überflüssig sein. Doch die Laufzeitverlängerung ist ein Killer für die grüne Stromwirtschaft

Die deutsche Energiewirtschaft hat im ersten Quartal 2010 gut neun Milliarden Kilowattstunden Strom ins Ausland exportiert – so viel wie noch nie. Ermittelt hat dies die „Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen“, ein Verein, der maßgeblich von der fossilen Energiewirtschaft getragen wird und damit der Panikmache gegen erneuerbare Energien unverdächtig ist.

Die Daten weisen aus, dass zwischen Dezember und April in Deutschland 6,7 Prozent mehr Strom erzeugt wurde, als in der Bundesrepublik verbraucht wurde. Das entspricht der Leistung von sechs Atomkraftwerken. Und zwei AKW stehen ja seit Jahren wegen versuchter Mängelbeseitigung still: Brunsbüttel und Krümmel.

Das heißt nichts weniger, als dass gegenwärtig acht Atomkraftwerke in Deutschland überflüssig sind. Der Ausbau von Windkraft- und Solarenergie-Anlagen hat es möglich gemacht. Und das ist erst der Anfang. Vor einem Monat beschloss die Bundesregierung den „Nationalen Aktionsplan für erneuerbare Energie“, laut dem die regenerative Strombranche 2020 mehr als ein Drittel Grünstrom ins Netz einspeisen soll. Das bedeutet: 2020 wären dann 16 der 17 deutschen Atomkraftwerke überflüssig. Wenn man jetzt noch den ehrgeizigen Effizienzplan von Schwarz-Gelb ernst nimmt, wird ab sofort so viel Strom gespart, dass bereits 2017 alle deutschen Atomkraftwerke überflüssig sind: Es wird dann kein Atomstrom mehr gebraucht.

Hemmschuh für die Regenerativen

Vier AKW hätten dieser Tage nach dem rot-grünen Atomausstiegsgesetz vom Netz gehen müssen: die Reaktoren Biblis A und B sowie Brunsbüttel und Neckarwestheim. Mit dem Beschluss zur Laufzeitverlängerung hat sich das nun erledigt – genauso wie die schwarz-gelbe Regierungsmär, dass die Atomkraft eine Brücke ins regenerative Zeitalter ist. Im Gegenteil: Die Atomkraft ist der Hemmschuh für das regenerative Zeitalter. Solange nämlich die AKW Strom produzieren, so lange wird die Energiewende verhindert.

Das hängt mit der Komplexität der Stromversorgung zusammen. Im Netz kann immer nur genau so viel Strom sein, wie gerade von den Kunden gebraucht wird. Vorteilhaft sind deshalb Kraftwerke, die schnell dem Stromnetz zu- oder abgeschaltet werden können. Wenn in Deutschland gegen 11 Uhr beispielsweise die Großküchen ihre Herdplatten und Öfen anstellen oder um 20 Uhr die Fernseher eingeschaltet werden, ist viel Strom gefragt und deshalb Flexibilität notwendig. Atomkraftwerke aber sind die Unflexibelsten am Netz. Die atomaren Kettenreaktionen produzieren in der Regel kontinuierlich die immer gleiche Menge Strom. Um 11 Uhr genauso wie um 20 Uhr oder um 2 Uhr, wenn alles schläft.

Das ist gefährlich für die Erneuerbaren: Bläst der Wind einmal kräftig, ist im Stromnetz schon so viel Atomstrom, dass kein Platz mehr ist. Dann werden wegen der komplizierten AKW-Technologie lieber die Windparks vom Netz getrennt als die Atomkraftwerke. In Schleswig-Holstein beispielsweise, wo heute schon dank Atom- und Windkraft mehr als 2,5 mal so viel Strom produziert wie verbraucht wird, ist das mittlerweile bei steifer Brise die Regel: Das Atomkraftwerk Brokdorf läuft, die Windparks werden abgeschaltet.

Windräder werden abgeschaltet

Noch besitzen die Erneuerbaren einen gesetzlichen „Einspeisevorrang“: Windrädern, Biomassekraftwerken oder Geothermie-Turbinen wird garantiert, dass sie ihren Strom jederzeit ins Netz einspeisen und zu festen Tarifen verkaufen können. Mit dem weiterem Ausbau der erneuerbaren Energien werden aber immer häufiger Windräder abgeschaltet werden, eben weil es zu schwierig und gefährlich wäre, ein Atomkraftwerk ständig herunter- und wieder anzufahren.

Doch besitzen die Windmüller ja den gesetzlichen Anspruch auf die Einspeisung ihres Stromes. Deshalb werden sie ganz urdeutsch-ordentlich dafür entschädigt, dass sie ihre Windräder abschalten. Die Atomkonzerne können so den Verbrauchern weiter ihren Atomstrom verkaufen, und die Verbraucher bezahlen den Windmüllern die Entschädigung. Wir alle zahlen also doppelt.

Noch ist dieser Skandal wenig bekannt. Aber wenn er sich herumspricht, gibt es unter den von Kanzlerin Angela Merkel geschaffenen Bedingungen der Laufzeitverlängerung nur eine konsequente Lösung: Allen neuen Windrädern oder Solaranlagen den Einspeisevorrang zu streichen. Wenn aber ein Windmüller sein Produkt nicht zu jeder Zeit garantiert über das Netz der Stromkonzerne verkaufen kann, wird er nicht investieren. Die Laufzeitverlängerung ist deshalb nichts anderes als das Ende der Energiewende.

Einmal abgesehen davon, dass sich die vier Atomkonzerne mit der Verlängerung der atomaren Kettenreaktion eine goldene Nase verdienen – bei jeder Currywurstbude in dieser Republik überprüfen die Behörden, wo und wie das Frittenfett entsorgt wird. Die Atomkraftwerke aber dürfen seit 44 Jahren Müll produzieren, ohne dass es wenigstens eine Idee gibt, wie dieser jemals entsorgt werden kann. Nur so viel ist sicher: Die Bundesregierung wollte mehr Planungssicherheit für die Energiewirtschaft. Die vier Atomstromer können zufrieden sein. Für alle anderen herrscht mehr Unsicherheit.

Nick Reimer ist Umwelt- und Klimajournalist bei klimaretter.info

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