Es lebe die Umverteilung!

Energiewende Das Wehklagen über die Kosten des Atomausstiegs schwillt an. Dabei ist das Ökostromgesetz das sozialste, was man sich denken kann
22 Prozent des Strombedarfs decken heute die Erneuerbaren – auch dank der EEG-Umlage. Von der sind aber zuviele Industriebereiche befreit
22 Prozent des Strombedarfs decken heute die Erneuerbaren – auch dank der EEG-Umlage. Von der sind aber zuviele Industriebereiche befreit

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Das Schreckgespenst der „Energiewende“ geht um. Es kratzt an der Versorgungssicherheit, es lässt mal eben Strompreise „explodieren“, es pulverisiert Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit. Verarmt sitzt bald das Heer der arbeitslos Gewordenen im Licht des Kerzenscheins, weil es sich die Elektrizität nicht mehr leisten kann. Nur Union und FDP, so sehen sie das selbst, können das Unheil noch abwenden.

Mit Verlaub: Dies Gespenst ist ein Hirngespinst. Tatsächlich nämlich ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eines der sozialsten Gesetze, das die Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung erlebt hat. Von Grünen und SPD 1999 auf den Weg gebracht, enteignet es die Kapitalisten, demokratisiert die Gesellschaft, stuft Partikularinteressen hinter die Interessen des Gemeinwohls zurück. Obendrein schafft es Beschäftigung und gesellschaftlichen Reichtum. Sozialer als das EEG kann ein Gesetz nicht sein.

Demokratisierung der Energieversorgung

Denn erstens verteilt es die Produktionsmittel von oben nach unten um. Etwa 22 Prozent des Strombedarfs werden heute aus regenerativen Quellen gedeckt. Weil die großen Stromkonzerne Eon, Vattenfall, RWE und EnBW jahrelang auf Atom- und Kohlekraft gesetzt haben, waren es hauptsächlich Bürger und kommunale Stadtwerke, die in Wind-, Sonne- oder Biomasse-Kraftwerke investierten. Das Gesetz garantiert dem Strom aus diesen grünen Kraftwerken Vorfahrt und sorgt dafür, dass des Bürgers Produkt zuerst ins Stromnetz kommt. So jagte das Volk den Aktionären von RWE, Eon und Co. Jahr für Jahr Marktanteile ab. Ein Fünftel der deutschen Stromerzeugung ist inzwischen in Volkes Hand. Und das ist erst der Anfang.

Damit wird zweitens die Energieversorgung demokratisiert: Wer sich eine Solaranlage aufs Dach montiert, der wird die Energiepolitik wachsam verfolgen. Mit jedem neuen Windrad, mit jeder neuen Biogasanlage wird nicht nur die Marktmacht der großen Versorger untergraben, sondern auch deren gesellschaftliche Deutungshoheit. Wer jahrelang behauptete, die Erneuerbaren könnten nur einen Minianteil des Stroms für ein großes Industrielandes sichern, der ist nun widerlegt.

Drittens verteilte das Gesetz die Lasten ursprünglich fair auf die Gesellschaft. Über die EEG-Umlage beteiligen sich alle am Projekt einer zukunftsfähigen Stromversorgung, die ohne Treibhausgase auskommt und so die ökologischen Schulden der Vergangenheit tilgen hilft.

Viertens schließlich sorgt das Erneuerbare-Energien-Gesetz für Beschäftigung und Zukunftsmärkte, für regionale Wertschöpfung und Strompreisdämpfung. Bläst beispielsweise sehr viel Wind, geht der Strompreis an der Börse heute gegen null.

Politik für Aktionäre

Reißen wir dem Gespenst also die Maske vom Gesicht: Es ist nicht das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das für soziale Not verantwortlich ist. Das Lied vom „bezahlbaren Strom“ ist der Versuch, Einkommensschwache gegen die Energiewende auszuspielen. Der deutsche Durchschnittshaushalt gibt heute 2,5 Prozent seines Monatsbudgets für Strom aus. Im Jahr 2000 betrug der durchschnittliche Haushaltsstrompreis knapp 14 Cent. Zur Finanzierung der Erneuerbaren wurden 0,2 Cent Umlage erhoben. Natürlich ist diese nun mit der Menge deutlich gestiegen: In diesem Jahr zahlen wir 3,6 Cent pro Kilowattstunde. Ingesamt verteuerte sich Strom aber um 12 auf nun 26 Cent. Also sind es auch andere Faktoren, die den Preis in die Höhe treiben: gestiegene Ausgaben für fossile Brennstoffe etwa, die Kapitalrenditen der Stromkonzerne oder die Kosten des Netzausbaus.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler beklagt nun die Belastung für Hartz-IV-Empfänger. Tatsächlich aber macht er Politik für Aktionäre. Der FDP-Chef hat zu verantworten, dass das Solidarprinzip der Energiewende ausgehebelt wurde: 600 stromintensive Stahl-, Aluminium-, Zement- oder Chemiekonzerne sind von der EEG-Umlage befreit. Damit sparen sie jährlich 1,8 Milliarden Euro – Geld, das die anderen Stromkunden mitzahlen müssen. Vergünstigungen bei der Stromsteuer für rund 20.000 energieintensive Unternehmen summieren sich zudem mittlerweile auf mehr als fünf Milliarden Euro. Und jetzt sollen Mittelstand und Privatkunden auch noch Ausfallbürgschaften für den teuren Ausbau der Windkraft zur See übernehmen.

Den brauchen wir aber so gar nicht. Und dezentral vor Ort erzeugter Strom macht auch einen Großteil des teuren Netzausbaus obsolet. Was wir brauchen, ist die Rückkehr zum Solidarprinzip: Der Stahlkonzern muss wieder genau so viel für Strom bezahlen wie ein Hartz-IV-Empfänger. Wir brauchen eine funktionierende Marktaufsicht, die endlich dafür sorgt, dass gesunkene Börsenpreise auch an die Verbraucher weitergegeben werden. Und wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen für die Energiewende: Wer alle halbe Jahre die Tarife im EEG kürzt, der will, dass der Umstieg auf Erneuerbare misslingt.

Völlig richtig: Die Energiewende ist ein Investitionsprogramm, das noch sehr viel Geld kosten wird. Das Schöne daran aber ist: Jeder kann investieren und profitieren, auch wenn man wenig Geld hat. Ein Anteilsschein an einem Bürgerwindrad ist schon ab 250 Euro zu haben.

Nick Reimer ist Redaktionsleiter von klimaretter.info und selbst an einer Solaranlage beteiligt

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