Mit Sicherheit ein Problem

Atompläne Für längere Laufzeiten müssten viele Reaktoren aufwändig nachgerüstet werden. Das könnte sogar die Stromkonzerne nachdenklich machen

Politisch betrachtet, gehört das Bundesland Bremen nicht gerade zu den Schwergewichten in dieser Republik. Doch Ende der kommenden Woche wird der Bundesrat über einen Antrag der Hanseaten abstimmen, der es in sich hat: Die dortige rot-grüne Koalition will die Länderkammer gegen die Verlängerung der Atomlaufzeiten in Stellung bringen. Die Chancen, dass es dazu kommt, stehen gut. Denn wenn die neue rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen wie geplant Anfang der Woche ihre Arbeit aufnimmt, hat die schwarz-gelbe Bundesregierung dort keine Mehrheit mehr. Sollte sich eine Mehrheit für den Bremer Antrag finden, stünde ein großes Fragezeichen hinter den Atomplänen der Bundesregierung.

Es ist der vorerst letzte Schachzug in einer immer härteren Auseinandersetzung um die Energiepolitik der Zukunft, um Milliardenerlöse der Stromkonzerne und um Ängste und Wählerstimmen der Bevölkerung. Immer wieder hat Angela Merkel die Entscheidung über längere Laufzeiten für AKWs vertagt. Erst sollte sie im Frühjahr fallen, jetzt wird sie für den Herbst erwartet. Auch intern ist die Koalition zerstritten. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) kann sich vorstellen, dass die AKWs acht Jahre länger laufen. Andere Koalitionäre sprechen von 24 Jahren. Die Bundesregierung geht dabei ein hohes politisches Risiko ein. Denn eine Mehrheit der Bevölkerung lehnt längere Laufzeiten ab.

Restlaufzeit gekauft

Die Stromkonzerne scheinen sich ihrer Sache dennoch ziemlich sicher zu sein. Zumindest tun sie alles, um ihre Atomreaktoren auch unter den noch geltenden Bedingungen so lange wie möglich laufen zu lassen. Wenn es sein muss, kaufen die Manager sogar für viel Geld Zeit, um ihre Kernkraftwerke vor dem Abschalten zu bewahren. So hat Deutschlands zweitgrößter Stromkonzern RWE kürzlich vom Konkurrenten Eon 4,8 Terawattstunden Restlaufzeit gekauft. Dem Vernehmen musste RWE für diese Strommenge einen dreistelligen Millionenbetrag hinblättern. „Das jetzt erworbene Kontingent ist ausreichend, um ein Kernkraftwerk der 1200-MW-Leistungsklasse, wie zum Beispiel den Reaktor Biblis A, rund sechs Monate mit voller Last zu betreiben“, teilte RWE mit. Bibilis A soll nach Angaben des Konzerns voraussichtlich bis Mitte 2011 Strom produzieren.

Begonnen hatte alles Mitte März: Nach 13monatiger Revision war Deutschlands ältestes Atomkraftwerk – Block A in Biblis wieder ans Netz gegangen. Es produzierte also wieder Strom. Das Atomausstiegsgesetz schreibt den Atomkraftwerken keine Abschalttermine vor, sondern Strommengen, die die jeweilige Anlage produzieren darf, bevor sie abgeschaltet werden muss – die so genannten Reststrommengen.

Ursprünglich hätte für Biblis A schon 2007 Schluss sein sollen. Weil aber die Geschichte des RWE-Reaktors in den letzten zehn Jahren eine Aneinanderreihung von Pannen, Störfällen und Stillständen war, verfügt Biblis A immer noch über eine kleine Reststrommenge.

Um den Reaktor in den kommenden Monaten nicht abschalten zu müssen, kaufte RWE nun Restlaufzeit vom 2003 vorzeitig stillgelegten Eon-Atomkraftwerk in Stade. Laut Atomausstiegsgesetz ist es zulässig, Laufzeitgutschriften von einem älteren auf ein neues AKW zu übertragen. Eon erklärte zu dem Deal, das Unternehmen stelle sicher, „dass vor dem Vorliegen des Energiekonzeptes und einer im Koalitionsvertrag angelegten Rücknahme der Laufzeitverkürzung keine Fakten geschaffen werden“. Einmal vom Netz, ist es offenbar schwierig, ein AKW später wieder in Betrieb zu nehmen.

Ob die Strommenge aus Stade allerdings wirklich nach Biblis übertragen werden darf, ist in Expertenkreisen umstritten: Nach einem schweren Unfall im Dezember 1987 hatten Gutachter den Reaktor A in Biblis unter die Lupe genommen. Als Folge erließ die hessische Atomaufsicht – damals unter Leitung des heutigen hessischen Finanzministers Karlheinz Weimar (CDU) – im März 1991 insgesamt 49 Auflagen zur sicherheitstechnischen Nachrüstung der Anlage. Unter anderem war der Bau einer unabhängigen Notstandswarte aufgelistet, von der aus der Reaktor auch bei Havarie noch sicher heruntergefahren werden sollte.

Als SPD und Grüne im Jahr 2000 den Atomausstieg verhandelten, waren die Auflagen immer noch nicht umgesetzt. Um zum Erfolg zu kommen, einigten sich Atomaufsicht und RWE auf ein abgespecktes Nachrüstungsprogramm; die Notstandswarte war nicht mehr dabei. „Das war eine Frage der Verhältnismäßigkeit und hing mit der kurzen Restlaufzeit zusammen“, so der damalige Leiter der Bundesatomaufsicht, Wolfgang Renneberg. Schließlich war die geforderte Notstandswarte mit einer halben Milliarde Euro veranschlagt, während Biblis A nach Obrigheim und Stade das dritte AKW sein sollte, das von Netz geht.

Kein Schutz vor Flugzeugen

In einem Anhang zum Atomkonsens erklärte das Bundesumweltministerium deshalb seinerzeit, dass der Verzicht auf einen Teil der Auflagen an die Bedingung geknüpft sei, nach Biblis keine Laufzeiten zu übertragen. Wenn dies nun doch passiere, sei eine „Neubewertung“ bezüglich der Sicherheit vorzunehmen, meint Renneberg.

Ein anderes Sicherheitsproblem kommt von oben. Kurz nach der gewonnenen Bundestagswahl listeten der hessische CDU-Ministerpräsident Roland Koch und sein baden-württembergischer Ex-Kollege Günther Oettinger den „mangelnden Schutz vor Flugzeugabstürzen“ in einem „Strategie- und Schrittfolgepapier Kernenergie“ auf, mit dem das Wahlversprechen „Laufzeitverlängerung“ schließlich tatsächlich erreicht werden soll.

Ein von Greenpeace beauftragtes Gutachten bescheinigte den Reaktoren Biblis A und B, Brunsbüttel, Isar 1 und Philippsburg 1 unzureichenden Schutz gegen ein Flugzeugunglück. Die Wandstärke des Reaktorgebäudes Biblis A beträgt beispielsweise ganze 60 Zentimeter. Eine Untersuchung der „Internationalen Länderkommission Kerntechnik“ aus dem Jahr 2002 war sogar zu dem Ergebnis gekommen, dass nur drei der damals 19 aktiven Atomkraftwerke einem Flugzeugangriff standhalten würden. „Bei allen anderen Kernkraftwerken ist bei einem Aufprall auf das Reaktorgebäude mit schweren bis katastrophalen Freisetzungen radioaktiver Stoffe zu rechnen“, schrieben die Gutachter. Die „Internationale Länderkommission Kerntechnik“ war 1999 von den Ländern Baden-Württemberg, Hessen und Bayern ins Leben gerufen worden – und ist der Panikmache also eher unverdächtig.

Die Atomaufsicht unter den ehemaligen Bundesumweltministern Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) argumentierte stets, eine Nachrüstung sei technisch schwierig und wirtschaftlich nicht verhältnismäßig – weil die alten Reaktoren ja nun abgeschaltet werden. So sollten eigentlich bereits 2009 die Reaktoren Neckarwestheim I (betrieben von EnBW) und Brunsbüttel (Vattenfall) abgeschaltet werden. Mit Tricks wie einer Leistungsdrosselung retteten die Konzerne ihre Anlagen jedoch über die Zeit. Isar 1, Biblis B und Philippsburg 1 müssen nach dem Atomausstiegsgesetz noch in dieser Legislaturperiode vom Netz.

Aber das will die Union ja verhindern: Günther Oettinger und Roland Koch forderten deshalb in ihrem Strategiepapier, der Sorge eines Terrorangriffes „plakativ“ entgegenzuwirken: Die Atomkraftwerke sollen im Jahr „Zehn“ nach dem Anschlag auf das World Trade Center endlich einen „baulichen Schutz gegen Flugzeugabsturz“ erhalten. Experten bezweifeln, dass dies bei den Altanlagen nachträglich überhaupt möglich ist.

Noch ein anderer Streitpunkt rückt im Falle einer Laufzeitverlängerung wieder auf die Tagesordnung: die steuerfreien Rückstellungen. Um nicht dem Steuerzahler die Kosten für Stilllegung und Rückbau der AKWs anzulasten, verpflichtete der Staat einst die Atomkonzerne, Geld zurückzulegen – und versüßte diese Verpflichtung mit großzügiger Steuerbefreiung. Mittlerweile geschätzte 50 Milliarden Euro haben die Betreiberunternehmen steuerbefreit angespart. Allerdings liegt das Geld nicht auf der hohen Kante: Die Unternehmen haben es „arbeiten lassen“ – sich in Stadtwerke, den Entsorgungs- oder Telekommunikationsbereich eingekauft. Anders ausgedrückt: Das für ihre Einkaufs-, Übernahme- und Verdrängungsschlachten notwendige Kleingeld subventionierte „Vater Staat“ durch die Steuerbefreiung.

Entwurf auf Eis

Um diesen Wettbewerbsvorteil etwa gegenüber den Stadtwerken zu tilgen, hat die SPD im Jahr 2000 einen Gesetzentwurf erarbeitet. Dieser sieht vor, die Rückstellungen in einem öffentlich-rechtlichen Fonds anzulegen – so wie es in der Schweiz Praxis ist. Das hätte die Konzerne vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt. Schließlich war das Geld in Beteiligungen etwa in Tschechien, der Slowakei, in Großbritannien oder in den USA geflossen – ergo nicht verfügbar. „Aus Angst vor dem Scheitern des Konsenses mit der Atomindustrie liegt der Entwurf auf Eis“, erklärte der SPD-Energie-Experte Hermann Scheer seinerzeit.

Dass das Thema jetzt wieder auf die Tagesordnung kommt, dafür werden die Stadtwerke sorgen. Bereits 1999 hatten sie gegen die Steuerfreiheit geklagt, weil sie sich dadurch vom Staat wettbewerbsverzerrend behandelt fühlten. Allerdings: Mit dem Atomkonsens war dieser Wettbewerbsnachteil ausgeräumt. Die Konzerne mussten jetzt schließlich anfangen, dass rückgestellte Geld zum Abriss der Anlagen auszugeben.

Der Verband Kommunaler Unternehmer hat bereits Klage gegen eine Laufzeit-Verlängerung angekündigt. Dann nämlich wäre die Begründung, mit der 1999 an der Steuerfreiheit festgehalten wurde, hinfällig. Drohen den vier deutschen Atomkonzernen gar Steuernachforderungen in Milliardenhöhe?

Dass im Fall längerer Laufzeiten umfangreiche Nachrüstungen notwendig sind, scheint auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen so zu sehen. Der CDU-Mann hat ausrechnen lassen, wie teuer Sicherheitsstandards für die Reaktoren „auf der Höhe der Zeit“ wären. Demnach kommen je nach Dauer der Verlängerung auf die Stromkonzerne Milliardenbeträge zu: Bei einem Laufzeitplus von vier Jahren kam die Reaktorsicherheits-Abteilung des Bundesumweltministeriums auf eine notwendige Investitionssumme von sechs Milliarden Euro. Laufen die Reaktoren zwölf Jahre länger sind es 22 Milliarden Euro, bei 20 Jahren müssten 36 Milliarden Euro investiert werden. Im Falle einer Laufzeitverlängerung um 28 Jahre ergeben sich sogar knapp 50 Milliarden Euro.

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