Swami Vivekananda (1863-1902) Raja-Yoga

YOGA, das SELBST Raja-Yoga, Der Pfad der Konzentration

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Neben dem Rätzelraten nebenan, besinnliche Worte zu den chrislichen Feiertagen zur Schulung der Intuition. ;-)

Aus dem Buch Raja-Yoga von Vivekananda.

2. Teil Einleitung

Bevor ich auf die Yoga Sutren eingehe, will ich eine wichtige Frage zu behandeln suchen, auf die sich für die Yogins die ganze Religionslehre begründet. Es scheint, dass die geistig großen der Welt in der von der naturwissenschaftlichen Forschung nahezu bewiesenen Tatsache übereinstimmen, dass wir Ergebnis und Manifestation eines unbedingten Zustandes sind, der vor unserem augenblicklichen bedingten Zustand liegt, und dass wir vorwärtsschreiten, um zu jenem unbedingten zurückzukehren. Dies zugegeben ist die Frage nun die, welche der bessere sei, der un-bedingte Zustand oder der jetzige. Es gibt Leute genug, die meinen, dieser Zustand der Manifestation sei der höchste dem Menschen mögliche. Große Denker sind der Ansicht, das wir Manifestation eines undifferenzierten Seins sind und dass der differenzierte Zustand ein höherer sei als der un-bedingte. Sie meinen, das Un-bedingte könne unmöglich irgendwelche Eigenschaften besitzen, es müsse empfindunglos und unbelebt sein, und nur das differenzierte Leben könne Genuss gewähren, so dass wir ihm Anhängen müssten.

Zunächst wollen wir andere Lebensdeutungen untersuchen.

Eine der alten Deutungen war die, dass der Mensch nach dem Tode der gleiche bleibe und alle seine guten Eigenschaften, abzüglich der schlechten, ihnen ewig verblieben. Folgerichtig durchdacht bedeutet dies, dass diese Welt des Menschen Ziel ist;diese Welt, auf eine höhere Ebene versetzt und von ihren Übeln befreit, ist für sie der Himmel. Diese Theorie erweist sich auf den ersten Blick als absurd und kindisch, weil es so nicht sein kann. Es kann kein Gutes ohne ein Böses geben oder ein Böses ohne ein Gutes. In einer Welt leben zu wollen, in der alles gut ist und nichts böse, ist, nach einem Sanskritwort, ein "Lufttraum".

Eine andere Theorie wurde in neuerer Zeit von verschiedenen Schulen aufgestellt. Nach ihr ist es die Bestimmung des Menschen, in ständigem Fortschritt vorwärts zu schreiten, dem Ziele zustrebend, ohne es aber je zu erreichen. Diese Darstellung ist ebenfalls absurd, obgleich sie ganz hübsch klingt, weil es so etwas wie eine Fortbewegung in gerader Linie überhaupt nicht gibt. Jede Bewegung vollzieht sich kreisförmig. Nehmen Sie einen Stein und schleuderten sie ihn in den Raum hinaus, und könnten sie dann lange genug leben, um es abzuwarten, so wurde dieser Stein, vorausgesetzt, das er keinen Hindernis begegnete, in ihrer Hand zurückkehren. Deshalb ist die Vorstellung absurd, die Bestimmung des Menschen sei ewiger Fortschritt. Eine Gerade, ins Unendliche projiziert, muss im Kreise enden. Wenn es auch nicht zum Thema gehört, möchte ich doch darauf verweisen, dass diese Lehre eine Erklärung für die sittliche Forderung bietet, dass man lieben und nicht hassen soll. Denn wie der elektrische Strom den Dynamo verlässt und zu diesem, in der Vollendung des Kreises, wieder zurückkehrt, so wenden sich auch die ausgehenden Ströme von Liebe und Hass zu ihrem Ursprung zurück. Darum hassen Sie niemanden, weil dieser Hass, den sie ausströmen, schließlich wieder bei Ihnen einmünden muss. Wenn Sie lieben, wird diese Liebe zu Ihnen zurückkehren und darin den Kreislauf vollenden. Es ist so gewiss wie irgendetwas, dass alle Hass, der vom Herzen eines Menschen ausgeht, in voller Stärke zu ihm zurückgekehrt;nichts vermag dies aufzuhalten. Ebenso kehrt jede Liebesregung zu ihm zurück.

Auf anderen Gebieten erweist sich die Lehre von einem ewigen Fortschritt ebenfalls als unhaltbar, denn alles Irdische ist zum Untergang bestimmt. Wohin führen uns alle unsere Kämpfe und Hoffnungen, unsere Befürchtungen und Freuden? Wir werden alle dem Tode anheimfallen. Wo bleibt da diese geradlinige Bewegung, dieser unendliche Fortschritt? Von ihrem Mittelpunkt entfernt sie sich nur, um wieder zu ihm, von dem sie ausging, zurückzukehren. Sehen Sie, wie aus dem Sternennebel Sonne, Mond und Sterne sich bilden, und wie sie sich schließlich wieder auflösen und zu Sternennebel werden. Dasselbe geschieht überall. Die Pflanze nimmt ihre Stoffe aus der Erde, löst sich auf und gibt sie zurück. Alles gestaltete in dieser Welt ist den umgebenden Atomen entnommen und zerfällt wieder in diese Atome. Das gleiche Gesetz kann sich nicht an verschiedenen Orten verschieden auswirken;es bleibt immer das gleiche. Gilt dies im Bereich der Natur, so muss es auch im Bereich des Geistes gelten. Auch das diesem zugehörende wird vergehen und zu seinem Ursprung zurückkehren. Ob wir wollen oder nicht, wir werden zu unserem Ursprung zurückkehren müssen, der `Gott` oder ´das Absolute´, heißt. Wir alle kommen von Gott her, und uns allen ist bestimmt, zu Gott zurückzukehren, Sie mögen ihn nennen bei welchem Namen sie wollen: Gott, das Absolute, oder Natur. "Aus dem dieses Weltall hervorging, in dem alles Lebende atmet, zudem alles wieder zurückgekehrt." Daran ist nichts zu rütteln. Die Natur arbeitet überall nach dem gleichen Plan und was in der einen Sphäre ausgearbeitet wird, wiederholt sich in Millionen Sphären. Was für die Planeten Gültigkeit hat, das hat auch für die Erde, für den Menschen und alles Übrige Gültigkeit. Die riesige Woge besteht aus unzähligen Wellchen, vielleicht aus Millionen. Das Gesamtleben der Welt besteht aus Millionen kleiner Existenzen, und der Gesamttod der Welt aus den Toden dieser Millionen kleiner Wesen.

Nun erhebt sich die Frage, ob die Rückkehr zu Gott den höheren Zustand bedeute, oder nicht?

Die Philosophen der Schule des Yoga bejahen es mit Entschiedenheit. Sie nennen den gegenwärtigen Zustand des Menschen eine Entartung. Keine einzige Religion behauptet, der Mensch bedeutet einen Fortschritt. Allgemein herrscht die Ansicht, dass der Mensch im Anfang vollkommen und rein war, dass er bis an die Grenze der Entartung entartete, und dass der Zeitpunkt kommen muss, an dem seine Bahn wieder aufwärts steigt, um den Kreislauf zu vollenden. Der Kreis muss beschrieben werden. So tief der Mensch auch sinken mag, schließlich muss er die Wendung nach oben vollziehen und zu seinem Ursprung zurückkehren, der Gott ist. Im Anfang kommt der Mensch aus Gott, in der Mitte wird er Mensch, und am Ende kehrt er zu Gott zurück. Das ist die dualistische Formulierung des Vorgangs.

Der monistischen Auffassung nach ist der Mensch Gott und vollzieht die Rückkehr zu seiner eigenen Göttlichkeit. Wenn unser gegenwärtiger Zustand der höhere ist, warum umschließt er dann soviel Schrecken und Jammer? Wenn er der höhere Zustand ist, warum nimmt er ein Ende? Was verdirbt und entartet, kann unmöglich der höchste Zustand sein. Warum sollte dieser so teuflisch, so unbefriedigend sein? Er ist nur soweit zu rechtfertigen, als er uns Mittel ist, die Hinwendung zum Höheren zu vollziehen. Wir müssen durch ihn hindurch, um wiedergeboren zu werden. Der Same, in die Erde gesenkt, zerfällt, löst sich auf nach einiger Zeit, und aus diesem Zerfall entsteht der herrliche Baum. Jede Seele muss vergehen, um zum Gott zu werden. Darum, je eher wir diesen Zustand überwinden, der "Mensch" heisst, umso besser. Kann es durch Selbstmord geschehen? Keineswegs. Das würde keine Lösung des Problems bedeuten. Selbstpeinigung, oder Verfluchung des Lebens, ist ebenfalls kein Ausweg. Wir müssen durch den "Sumpf der Verzweiflung" hindurch und je eher wir ihn durchwatet haben, umso besser. Wir dürfen nie vergessen, dass der Zustand des Menschseins nicht der höchste ist. Schwer einzusehen ist, dass jener andere Zustand, das Absolute, welcher der Höchste genannt wurde, nicht - wie zuweilen befürchtet wird - der des Zoophyten oder des fühllosen Steines ist.

Für manche Menschen gibt es nur zwei Daseinsformen, die des Steines und die des Gedankens. Wer gibt ihnen aber das Recht, das Dasein auf diese beiden einzuschränken? Gibt es nicht etwas, das dem Denken weit überlegen ist? Wenn die Schwingungen des Lichtes sehr schwach sind, sehen wir sie nicht;wenn sie etwas stärker werden, erscheinen sie uns als Licht;wenn sie noch stärker werden, sehen wir sie wiederum nicht;wir nehmen nur Dunkelheit wahr. Ist nun die Dunkelheit des Endes die gleiche wie die des Anfangs? Sicher nicht;sie sind verschieden wie die beiden Pole. Ist die Gedankenlosigkeit des Steines die gleiche wie die Gedankenlosigkeit Gottes? Gott denkt nicht. Warum sollte er es tun? Ist ihm irgendetwas verborgen, so dass er Überlegungen anstellen musste? Gott stellt keine Überlegungen an;der Stein kann es nicht. Diese Philosophen gehen nicht über das Denken hinaus;es gibt für sie nichts Höheres als das Denken.

Es gibt aber viel höheren Daseinsstufen, Jenseits aller Denkmöglichkeit. Tatsächlich liegen die Anfänge religiösen Lebens jenseits des Intellekts. Wenn Sie Denken, Intellekt und alle Überlegungen hinter sich lassen, haben sie die ersten Schritte auf Gott zugetan;und das ist der Anfang wahren Lebens. Was für gewöhnlich Leben genannt wird, ist ein embryonaler zustand.

Die nächste Frage wird sein, welche Beweise es dafür gibt, dass der Zustand jenseits von Denken und Überlegung der höchste Zustand ist. Erstens haben alle Größen der Welt -viel größer als jene, die nur reden, Männer, die die Welt bewegten, Männer, die keinerlei eigennützige Zwecke verfolgten - dieses Leben für eine nur kleine Strecke des Weges zur jenseitigen Unendlichkeit erklärt. Zweitens behaupten Sie es nicht nur;sie weisen jedem den Weg, sie erklären jedem ihre Methoden, so dass alle Ihnen nachzufolgen vermögen. Gibt es ein Denken, dass diese Welt erklärt? Die Grenzen der durch Denken erschließbaren Welt würden diejenigen unseres Erkennens sein, wenn wir nicht darüber hinaus gehen könnten, nicht nach anderem fragen dürften. Warum sollte man dem Zeugnis der Sinne Vertrauen? Wenn es außerhalb des Denkbereiches nichts gibt, haben wir keinen Boden unter den Füßen, und es bleibt uns nichts als Nihilismus. Die Grundlage der indischen Philosophie ist aber die Überzeugung von der Überschreitbarkeit des Denkens. Der indische Philosoph wagt zu forschen, und es gelingt ihm, etwas zu finden, das höher als dieses Denken ist und das allein den gegenwärtigen Zustand erklären kann. Darin besteht der Wert eines Studiums, dessen Gegenstand uns über die Welt hinausführen kann. "Du bist unser Vater und wirst uns über das Meer der Unwissenheit ans andere Ufer bringen." Das allein ist Religionswissenschaft.

Ich wünsche allen alles Gute und einen guten Übergang ins neue Jahr

Swami Vivekananda - Raja Yoga ISBN 3 7626 0643 9 Gebrauchtbüchermarkt ca. 10,-

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Geschrieben von

Nil

Die gegenwärtige Krise ist in Wirklichkeit eine Krise der Wahrnehmung und Wahrgebung - Ken Wilber https://www.freitag.de/autoren/nilnilnil

Nil

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