Soziologie Max Weber prägte einst die Unterscheidung von Verantwortungsethik und Gesinnungsethik. Politiker wie Donald Trump oder Boris Johnson passen da nicht mehr rein
Fast einhundert Jahre nachdem der Soziologe Max Weber am 28. Januar 1919 vor Münchner Studenten seinen berühmten Vortrag Politik als Beruf hielt, lässt sich die politische Verhaltenslehre, so scheint es zumindest, immer noch auf die von ihm vorgeschlagene Grundunterscheidung reduzieren: Verantwortungsethik versus Gesinnungsethik. Denn gerade im Lichte des Brexits, des Aufstiegs der europäischen Rechtspopulisten oder dem Erfolg Donald Trumps wirkt es erhellend, die Dinge entlang dieser Differenz zu ordnen. Vor allem auch deshalb, weil dann deutlich wird, dass es heute vielleicht doch noch eine dritte Kategorie braucht.
Doch worum geht es nun bei Weber? Obschon dieser betont, dass Gesinnungsethik keineswegs mit Verantwortungslosigkeit, Verantwortungsethik wiederum nicht mi
k wiederum nicht mit Gesinnungslosigkeit gleichzusetzen sei, sind die Definitionen bei ihm dennoch relativ eindeutig. Der Gesinnungsethiker hat ein klares Ziel, ein Ideal, mitunter sogar einen Glauben vor Augen, dem er alles politische Handeln unterordnet. "Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handlung üble sind", so Weber, "gilt ihm nicht der Handelnde, sondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der anderen Menschen oder – der Wille des Gottes, der sie so schuf." Bei ihm drehe sich schließlich alles darum, dass "die Flamme der reinen Gesinnung (...) gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung nicht erlischt." Obschon er also vielleicht sogar um die Irrationalität seiner Taten weiß, kümmert ihn das wenig, da diese "nur exemplarischen Wert haben können und sollen."Pragmatische WurstigkeitGanz anders hingegen beim Verantwortungsethiker. Bei ihm stehen stets die Folgen seines Tuns im Vordergrund. Er wägt politische Entscheidungen ab, weil er mit den "durchschnittlichen Defekten der Menschen" rechnet. Wenngleich Webers eigene Sympathien klar bei diesem liegen, weiß er, dass es sich hier nicht um einen einfachen Gegensatz von Gut und Böse handelt. Ihm ist nämlich klar: "Keine Ethik der Welt kommt um die Tatsache herum, dass die Erreichung guter 'Zwecke' in zahlreichen Fällen daran gebunden ist, dass man sittlich bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlichkeit übler Nebenerfolge mit in den Kauf nimmt."Kurzum: Gesinnungsethiker mögen zwar an sturen Glaubenssätzen festhalten, ohne dabei die Folgen zu bedenken, gerade deshalb dienen sie aber bisweilen auch als Agenten des Wandels, als Anwälte der Transformation. Und genau an diesem ambivalenten Punkt kann man etwa die Defizite der Europäischen Union erkennen. Diese verfügt nämlich gleichzeitig über zu viel und zu wenig Gesinnungsethik. Zu viel, weil sie in ökonomischer Hinsicht einem gleichermaßen marktliberalen wie austeritätspolitischen Imperativ folgt, der selbst dann nicht in Frage gestellt wurde, als er, wie im Falle Griechenlands, zur Massenverelendung führte. Zu wenig, weil die EU es in identitätspolitischer Hinsicht nie ausreichend geschafft hat, jene "Flamme" zu entzünden, an der sich Bürger auch emotional hätten erwärmen können.Pornographie der MachtÄhnlich dialektisch verhält es sich aber auch im Fall der Verantwortungsethik. Diese umfängt zwar die staatstragende Aura der Solidität, jedoch vermag das eben schnell in der technokratischen Verwaltung des Mangels zu münden. Verantwortungsethik, das steht dann mitunter auch für pragmatische Wurstigkeit und visionslosen Stillstand, für jenen bräsigen Helmut-Schmidtismus, der die sogenannten Sekundärtugenden wie Pflichtgefühl, Berechenbarkeit oder Pünktlichkeit zur obersten Staatsräson erklärt. Und was das betrifft, hatte Oskar Lafontaine ja nicht Unrecht, als er 1982 in einem Stern-Interview darauf hinwies, dass diese Sekundärtugenden noch keinen Wert an sich darstellen, da man mit ihnen schließlich auch ein KZ betreiben könne.Besieht man nun aber wiederum, wie Nigel Farage und Boris Johnson mit falschen Zahlen und Versprechungen zunächst den Brexit befeuerten, um sich dann, da der politische wie ökonomische Schaden offenbar wurde, schnurstracks aus dem Staub zu machen, oder vergegenwärtigt man sich, wie Donald Trump als rassistisch-groteskes One-Man-Varieté die USA spaltet, erscheint verantwortungsethische Bräsigkeit mittlerweile fast als heroischer Akt der Aufklärung. Zumal sich hinter jener systematischen Verantwortungslosigkeit, wie sie Johnson und Trump praktizieren, ja gar keine Gesinnung im eigentlich Sinne mehr verbirgt, kein Ideal, keine Ideologie, ja nicht mal ein Plan. Hinter den Ressentiments und schrillen Auftreten klafft lediglich ein übergroßes Ego, ein Verhältnis zur Macht, das nicht mehr nur libidinös, sondern geradezu pornographisch ist. Doch das scheint vielleicht noch gar nicht einmal das größte Problem. Dieses liegt womöglich eher darin, dass viele Wähler ihnen genau deshalb folgen. Die Autorin Lauren Collins schrieb kürzlich im New Yorker, dass Baracks Obamas Versprechen einst darin bestand, dass er einer wie du sei. Trumps hingegen liege darin, dass du einer wie er bist. Vor diesem Hintergrund könnte es mit der politischen Ich-Ethik also erst so richtig losgehen.
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