„Miniature Faking“ nennt man eine optische Illusion, die in Musik- und Internetvideos seit längerem in Mode ist. Gemeint ist damit der Trick, Panoramaaufnahmen von Städten und Landschaften mittels Unschärfen so aussehen zu lassen, als wären sie aus großer Nähe aufgenommen. Alles wirkt plötzlich putzig und klitzeklein.
Die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska und ihr Co-Autor und Kameramann Michał Englert nutzen diese Technik in Die Maske ständig. Blicke auf rollende Hügel, auf gewundene Landstraßen und einsame Bauernhöfe sehen aus wie Bilder einer Märklin-Landschaft. Oder wie aus einem Märchen, seltsam entrückt und weich. Oftmals sind nur einzelne Figuren oder Gebäude scharf, der Rest versickert wie in einem Nebel. Der erste Seheindruck ist gleichsam verwirrend: Wo sind wir hier, von wo aus schauen wir, wie weit ist das alles von uns entfernt?
Diese Verwirrung offenbart sich bald als ästhetisch sorgsam durchdacht. Die Maske, für den Szumowska bei der Berlinale 2018 mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, ist eine filmische Allegorie, für die Fragen der Proportionen, von groß und klein, nah und fern, ganz wesentlich sind. Ein kleines polnisches Dorf steht hier stellvertretend für große Probleme unserer Zeit, für Landflucht, Fremdenfeindlichkeit und Bigotterie. Hinter putzigen Oberflächen verbergen sich gesellschaftliche Untiefen.
Als die Geschichte einsetzt, ist man gerade dabei, die weltgrößte Jesusstatue aus Stahlbeton auf einem der sanften Hügel zu errichten. Jacek (Mateusz Kosciukiewicz) ist einer der Arbeiter. Wenn er mit der Flex das gigantische Christusgesicht aus dem grauen Beton schleift, ist das ein schön handfestes Bild dafür, wie übermächtig der Glauben in Polen auftritt. Das 33 Meter hohe Monument gibt es übrigens wirklich, im 130 Kilometer von Berlin entfernten Świebodzin. Die Polen nennen es liebevoll Rio de Świebodzineiro, in Anlehnung an die berühmte Statue in Rio de Janeiro. Die ist allerdings drei Meter kleiner.
Große Träume auf dem Land treiben auch Jacek um, der Englisch lernt, um irgendwann mit seiner Verlobten Dagmara (Małgorzata Gorol) abzuhauen aus der zwar schönen, aber langweiligen Einöde. Die ständig besoffenen Dörfler halten ihn, den Heavy-Metal-Fan mit Backenbart und langer Mähne, ohnehin für einen Satanisten. Doch der Film nimmt ihnen ihre Abneigung nicht allzu krumm. Die Wortscharmützel zwischen Jacek und seinem bärbeißigen Schwager sind eher ein eingespieltes Ritual als echter Streit. Man lacht, wenn man sich beleidigt, und prostet sich zu, wenn man geteilter Meinung ist. Schließlich tut jedem Dorf ein Träumer gut.
Doch das alles ändert sich, als Jacek bei einem Arbeitsunfall schwer verunstaltet wird. Nach einer Gesichtstransplantation kehrt er zurück, aber er ist nun ein Fremder in der Heimat. Die Verlobte will ihn nicht wieder, die Mutter glaubt, der Teufel sei in ihn gefahren und die Gemeinde hört bald auf, bei der sonntäglichen Kollekte für seine horrenden Medikamentenkosten zu spenden.
Im Schatten des gigantischen Christus wirken die Menschen und ihre Motive plötzlich ganz besonders klein. Früher hat Jacek sich noch gemeinsam mit den anderen über die rumänischen Arbeiter auf der Baustelle echauffiert, hat über rassistische Witze beim Weihnachtsessen gelacht. Jetzt wird er selbst zur Zielscheibe für Abneigung, Misstrauen und Hass. Am Ende wendet sich auch der überlebensgroße Gottessohn vom heuchlerischen Treiben zu seinen Füßen ab.
Knuffig übergriffig
Diese Zwischenposition aus Innen- und Außensicht, die den äußerlich fremd gewordenen, aber innerlich unveränderten Jacek auszeichnet, macht sich der Film insgesamt zu eigen. Er will stets beides zugleich: kritisieren und sympathisieren, anklagen und versöhnen, verständlich machen und Unverständnis äußern. Regisseurin Szumowska verschließt nicht die Augen vor den Abgründen ihrer Figuren, aber sie verachtet sie deswegen nicht. Wenn der Priester bei der Beichte etwas zu hartnäckig nach den Details des außerehelichen Sexuallebens fragt, ist das eher süß als übergriffig, zugleich sanfte Kirchenschelte und schlichte Figurenbildung. Wenn Jacek seinen Hund „Zigan“ nennt (also „Zigeuner“, was auch im Polnischen einen rassistischen Beiklang hat), dann ist das natürlich Ausdruck eines unreflektierten Fremdenhasses und erscheint erstmal als eine eher unglückliche Drehbuchentscheidung. Doch diese politische Schärfe wird bald abgemindert, als Jacek selbst zum Ausgestoßenen wird.
Solche Ausgewogenheit macht als humanistisches, als moralisches, als politisches Programm durchaus Sinn. Gerade im Falle Polens, das im (west-)europäischen Umland aktuell oft undifferenziert als Hort der Rassisten, katholischen Eiferer und Nationalisten gesehen wird, ist Nuancierung angebracht und heilsam.
Für einen Film, für ein Kunstwerk, ist eine solch unklare Positionierung jedoch nicht immer produktiv. Weil schnell die Haltung fehlt. Ein Film darf und soll gerne einseitig, verengend, unerbittlich sein, damit wir Zuschauer uns positionieren müssen. Die Maske macht das schwer, weil er zwar von Gegensätzen durchzogen ist, diese aber ständig selbst wieder aufhebt. Jede satirische Zuspitzung wird schnell durch eine liebevolle Charakterzeichnung gedämpft. So macht der Film die ganze Arbeit für uns und wir bleiben irgendwie draußen bei diesem schön anzusehende Diorama polnischer Eigenheiten, das oft aus großer Ferne gefilmt ist, aber trickreich den Eindruck erweckt, ganz nahe dran zu sein.
Info
Die Maske Malgorzata Szumowska Polen 2018; 91 Minuten
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