Die gesprungene Schallplatte

Brüssel Die EVP fordert ein Flüchtlingsabkommen mit Tunesien. Ein weiterer Baustein in der Festung Europa.

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Die Europäische Volkspartei (EVP) hat offensichtlich ein ganz eigenes Verständnis von der Zukunft Europas. Dass Manfred Weber sich offen unterstützend für die rechtsextreme Regierung Italiens und deren Premierministerin Giorgia Meloni gezeigt hat, war da nur die Spitze des Eisbergs.

Weber plädierte jüngst für einen zweiten sogenannten Flüchtlingspakt, dieses Mal mit Tunesien - nachdem vor gut sieben Jahren bereits ein ähnlicher Deal mit der Türkei zustande gekommen war. Diesem ersten Abkommen folgen sechs Jahre lang Bestrebungen der EU-Grenzbehörde Frontex, mit Gewalt durchzusetzen, dass sich kein Flüchtender aus der Türkei über die Ägäis - den Teil des Mittelmeeres zwischen der Türkei und Griechenland - auf den Weg in die Europäische Union macht. Diese als Pushbacks bekannten Manöver sind illegal, auch weil sie das Leben der betroffenen Flüchtenden gefährden. Dennoch musste der damalige Frontex-Chef, Leggeri, erst Ende 2022 seinen Stuhl räumen. Dass sich an den offenbar strukturellen Problemen der EU-Behörde etwas ändert, nur weil ein neuer Fisch im Teich ist, ist unwahrscheinlich.

Die Wahrheit ist, dass die EVP nach dem Prinzip "Aus den Augen, aus dem Sinn" arbeitet. Was oder wer nicht an europäischen Stränden angespült oder von Freiwilligen von seeuntauglichen Booten aus dem Mittelmeer gerettet wird, sondern in einem Flüchtlingslager in Nordafrika sitzt, ist nicht mehr "unser" Problem. Dabei sind die Zustände, und das wissen wir schon von den Lagern in Libyen, grauenvoll. Bereits 2017 (!) warnte die UN davor, aus dem Mittelmeer Gerettete in das nordafrikanische Land zu bringen - ohne Erfolg. Die UNO-Flüchtlingshilfe schreibt zu den Zuständen in den libyschen Lagern: "[Sie] sind überfüllt, sanitäre Einrichtungen fehlen und eine medizinische Versorgung ist nicht gewährleistet. Die Inhaftieren berichten von unhaltbaren Zuständen, von Misshandlungen, Folter und Vergewaltigungen." In einem zweiten Land jetzt solche Zustände billigend in Kauf nehmen zu wollen, wie Weber es mit seinem Vorstoß tut, ist fahrlässig. Zwar ist die politische Lage in Tunesien nicht so gravierend wie in Libyen, das seit mehr als 10 Jahren unter anderem keine allgemein anerkannte Regierung hat, aber stabil ist die Situation auch hier nicht. Seit letztem Jahr liegen fast sämtliche Regierungskompetenzen in den Händen von Präsident Saied, das Parlament tagte fast zwei Jahre überhaupt nicht und erst gestern (Stand: 19. April) wurde ein führender Oppositionspolitiker festgenommen. Außerdem gibt es schon jetzt Berichte über rassistische Vorfälle im Land, die vor allem schwarze Menschen betreffen und direkt auf Äußerungen des Präsidenten selbst zurückzuführen sind.

Gelder der Europäischen Union oder auch nur eine Verhandlung mit einem sich zum Autokraten hocharbeitenden Präsidenten würde gerade ihm mehr Aufschwung und vor allem eines verschaffen: Die Option, mit dem Leid der Menschen zu verhandeln. Jeder einzelne Streitpunkt könnte dazu führen, dass Menschen auf dem Mittelmeer ihrem Schicksal überlassen werden, sollten mögliche Hilfszahlungen nicht schnell genug oder nicht in der gewünschten Höhe erfolgen. Manfred Weber, dass muss man so offen sagen, spielt mit den Leben der Menschen, die er unbedingt aus Europa heraushalten will - das alles mit der Rechtfertigung, dass so Schlepperbanden das Handwerk gelegt werden soll. Dass die sogenannte Christlich-Soziale Union ihre moralischen Kompass verloren hat, wird spätestens dadurch mehr als deutlich.

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Geschrieben von

nkl.wlm

B.A. in Geschichte und sog. "Bananenhistoriker"

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