1990: Jeder für sich

Zeitgeschichte Vor 25 Jahren brach der Bund der Kommunisten Jugoslawiens auseinander. Bald war der Zerfall des föderativen Staats so wenig aufzuhalten wie ein desaströser Bürgerkrieg
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 06/2015

An einem Abend voller Schreiduelle und Beleidigungen erhebt sich gegen halb elf der slowenische Parteichef Milan Kučan aus seinem Sessel in der ersten Reihe der Sava-Kongresshalle in Belgrad, packt seine Unterlagen zusammen, verabschiedet sich knapp vom Vorsitzenden des Zentralkomitees und wendet sich dem Ausgang zu. Ihm folgen zuerst Sonja Lokar, die junge Hoffnung der Partei, und Kučans Sekretär Štefan Korošec; Lokar weinend, auch Korošec zerdrückt eine Träne. Von irgendwo aus dem Plenum kommt ein Ruf: „Da gehen sie und heulen um ihre Sessel!“. Spontan stehen die meisten serbischen Delegierten auf, um den Auszug Kučans und aller 106 slowenische Delegierten mit höhnischem Applaus zu begleiten. Die Szene sagt alles Wichtige