Es war zu erwarten, daß die jugoslawische Luftabwehr gegen die moderne Maschinerie der NATO vielleicht einige Erfolge, aber keinen Sieg davontragen würde. Nicht die Bomberpiloten würden für Attacken zu bezahlen haben, sondern Dorfbewohner im Kosovo; das war den westlichen Politikern, die dem Angriff zustimmten, von vornherein klar. Deshalb schon konnte der Krieg nicht auf so lange Zeit ausgelegt werden, wie man es mit den anfänglichen Drohgebärden glauben machen wollte. Spätestens seit am letzten Sonntag mit dem Angriff auf bewegliche Stellungen die zweite Phase der Luftkriegs begonnen hat, stellt sich drängend die Frage, wie aus den Erfolgen der NATO nun ein Sieg werden kann. Theoretisch kann immer weiter gebombt werden, bis das Land in Trümmern liegt. Aber auch das wäre kein Sieg. Also was nun?
Wie in den meisten Fragen der letzten Monate stehen auch beim Ausstieg aus dem Luftkrieg zwei Szenarien gegeneinander: ein amerikanisches und ein europäisches. In den USA, wo man gern in solchen Kategorien denkt, stößt die Idee auf Zustimmung, nun die UCK massiv zu bewaffnen und ihr so die Chance zu geben, aus der Schwäche des serbischen Gegners am Boden ihre Vorteile zu ziehen. NATO-Flugzeuge könnten über den Widerstandsnestern der Albaner im Drenica-Gebirge, im Norden um Podujevo und im Nordwesten, der Shala von Bajgora, Muni tionskisten und schweres Gerät abwerfen und so die UCK aufrüsten.
Auch die Briten befreunden sich mit dem Gedanken. Vorbild ist der Luftkrieg im Spätsommer 1995 über Bosnien: Damals bombte die NATO gegen serbische Stellungen, und zwei von den USA angeleitete und trainierte Armeen nutzen die Chance, Territorium zu übernehmen. Der US-Senator Joseph Lieberman hat eine solche Strategie am Sonntag schon öffentlich gefordert.
Drei gewichtige Gründe sprechen dagegen: ein militärischer, ein politischer, ein humanitärer. Über die wirkliche Stärke der UCÂK gibt es kaum verläßliche Informationen; man muß fürchten, daß bei allen Zahlen viel Prahlerei im Spiel ist. Die großen Erfolge der Kosovo-Befreiungsarmee im vergangenen Sommer waren teils gar keine, weil sie sich nur taktischen Rückzügen der serbischen Polizei verdankten, teils waren sie nicht das Verdienst der UCK: Überall wo sich in Dörfern bewaffneter Widerstand gegen Brandstiftungs- und Vertreibungstrupps der Polizei bildete, schrieb die UCK ihn sich auf die Fahnen. Natürlich zehrten auch die Dörflerwehren gern vom heldischen Nimbus ihrer Befreiungsarmee. Das hieß aber noch nicht, daß sie sich dem Kommando maoistischer Schweiz-Emigranten gebeugt hätten. Alles was man bis zur vergangenen Woche von der UCK im Kosovo sehen konnte, waren Bauernjungen mit Karabinern, ein paar schrottreife Familienkutschen für die Patrouille und grimmige Kommandeure, die über ihre Truppe nichts verrieten. Keiner weiß, wen man eigentlich bewaffnet, wenn man irgendwo Munition abwirft, und mit intelligenterem Kriegsgerät kann in den Schafställen der Shala bestimmt niemand etwas anfangen.
Politisch hat man die UCK keineswegs unter Kontrolle. Man darf nicht glauben, daß sich deren Anführer nach einem geschenkten militärischen Triumph in jedem Fall noch an ihre Unterschrift unter das Autonomiepapier halten würden. Noch mitten im Kampf haben sich jüngst erst wieder radikale Einheiten abgespalten. Spätestens in der Stunde des Sieges würde die Guerilla-Armee in konkurrierende Fraktionen zerfallen, und im Krieg haben immer die Radikalen die besten Karten. Die Unabhängigkeit des Kosovo, die dann vermutlich das Ergebnis wäre, wollen die Europäer nicht.
Am gewichtigsten aber ist das humanitäre Argument: Bis zum Triumph der UCK würde es voraussichtlich lange dauern. In der Zwischenzeit müßte man mit immer weiterer Brutalisierung der Kriegführung rechnen.
Ausnahmsweise haben die Europäer - mit dem Vorschlag des französischen Generals Philippe Morillon - auch eine Alternative anzubieten: Bodentruppen. Das häufig vorgebrachte Szenario, man könne eine dreifache Übermacht von 100.000 Mann ins Kosovo schicken, das dort die Grenze zu Serbien sichern und die verbliebenen jugoslawischen Verbände aufreiben könnte, ist illusorisch; es dient nur dazu, den Gedanken an einen Bodeneinsatz ganz wegzudrängen. Statt dessen muß man an eine reduzierte Variante denken, wie sie am Wochenende in europäischen Hauptstädten diskutiert wurde: Die »Schnelle Eingreiftruppe« der NATO, die in Mazedonien steht, könnte einen »humanitären Korridor« von Skopje nach PrisÂtina einrichten, um Hilfsgüter ein- und Flüchtlinge auszulenken. Nach Lage der Dinge müßte dieser Korridor freigekämpft werden, eine schwierige Aufgabe, die sicher nicht ohne Verluste erfüllt werden könnte.
So schwierig das Unternehmen militärisch auch erscheint, so verlockend ist es politisch: Für einen humanitären Korridor kann es ein Mandat des Weltsicherheitsrats geben. So bekäme man die UNO und vor allem Rußland wieder mit ins Boot. Andererseits müßte es ein solches Mandat auch geben: Die Europäer, die einen Luftkrieg gegen Jugoslawien ohne Mandat für gerechtfertigt hielten, wollen bei einer regelrechten Invasion nicht darauf verzichten. Bewährt sich der humanitäre Korridor und gelingt es, mit der Unterstützung Moskaus Belgrad völlig zu isolieren, so ebnet das Szenario möglicherweise auch Slobodan Milosevic´ einen Rückweg: »Im Felde unbesiegt« könnte er den »Gönner der Flüchtlinge« geben, und die NATO hätte ihrerseits einen Fuß in der Tür.
Das sind die Möglichkeiten; eine dritte hat zur Zeit niemand anzubieten. Welche sich durchsetzt, entscheiden wahrscheinlich die Deutschen, die Franzosen, die Italiener - deren sozialdemokratische Regierungen mit erheblichen Bauchschmerzen dem Luftkrieg zugestimmt haben. Jetzt wird sich zeigen, was die eigentlichen Quellen ihrer Bauchschmerzen waren: eine wirkliche Anhänglichkeit an das Völkerrecht und eine grundsätzliche Skepsis gegen militärische Lösungen - oder doch bloß die von den Amerikanern immer wieder und zu Recht beklagte Indolenz der Europäer gegen Völker, die, weit hinten in der Türkei, aufeinander schlagen.
Zu Anfang des Krieges waren die Konservativen hin- und hergerissen, ob sie ihrer Kriegslüsternheit folgen oder sich doch lieber der Verachtung gegen sämtliche Balkanvölker hingeben sollten. Nun, am Ende, müssen die anderen entscheiden, ob sie nicht wenigstens retten wollen, was zu retten ist.
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