Erschöpft und schon arg beduselt in den Seilen hängend, reichen sich die beiden Boxer mit letzter Kraft die Hand: Vojislav Kostunica, der jugoslawische Präsident, und Zoran Djindjic, der serbische Premier, haben sich in letzter Minute entschieden, ihren gnadenlosen Kampf für eine Runde auszusetzen und gemeinsam in die serbische Präsidentenwahl am 8. Dezember zu gehen. Widerwillig zwar und mit einer großen Einschränkung hat Djindjic dem Gegner angeboten, seine Kandidatur zu unterstützen: Er tue das, röchelte der angeschlagene Premier, "nicht bedingungslos". Kostunica - offenbar schon halb bewusstlos - hat das Angebot bisher nicht öffentlich zur Kenntnis genommen.
Im September und Oktober gipfelte der schwere Konflikt zwischen den beiden Politikern und den Verfassungsorganen, die sie repräsentieren, in einem ersten fehlgeschlagenen Wahlversuch. Kostunica hatte sich zur Kandidatur für das serbische Präsidentenamt entschieden - Djindjic den Wirtschaftsexperten und jugoslawischen Vizepremier Miroljub Labus dagegen gesetzt und unterstützt. Das Duell der beiden im zweiten Wahlgang konnte nicht die nötigen 50 Prozent Wähler auf die Beine bringen, so dass die Abstimmung nun Anfang Dezember wiederholt werden muss.
Es hatte sich gezeigt, dass die beiden Lager zusammengenommen nicht stark genug waren, für ihren Zweikampf genügend Wähler zu mobilisieren. Nur wenn - wie beim ersten Wahlgang am 29. September - auch die Anhängerschaft des alten Regimes zu den Urnen ging, reichte es. Unter internationalem Druck einigten sich Djindjic und Kostunica schließlich Anfang November, das 50-Prozent-Quorum wenigstens für den Fall einer Stichwahl abzuschaffen. Für den ersten Wahlgang freilich blieb es bestehen.
Aber wieder drohte die Wahl zu scheitern. Das Djindjic-Lager nämlich machte keine Anstalten, überhaupt einen Kandidaten aufzustellen. Das hätte bedeutet, dass nur Kostunica und der ultranationalistische Vojislav Seselj ihre Anhänger hätten mobilisieren können. Die Djindjic-Freunde wären diesmal nicht erst im zweiten, sondern schon im ersten Wahlgang zu Hause geblieben - und so hätte es diesmal auch in der ersten Runde nicht zu den nötigen 50 Prozent gereicht. Nun bleibt es zwar dabei, dass Djindjic und seine regierende Demokratische Opposition Serbiens (DOS) keinen eigenen Kandidaten aufstellen, immerhin aber wollen sie ihre Wähler mobilisieren, für Kostunica zu stimmen. Ob die das wirklich tun, kann freilich niemand sagen. Die Stimmung ist nach wie vor vergiftet. Teil des Djindjic-Kostunica-Abkommens von Anfang November war die Rückkehr der Abgeordneten von Kostunicas Demokratischer Partei (DSS) ins Parlament - wiederum unter der Bedingung, dass sie die Reformen der Djindjic-Regierung nicht länger blockiert. Aber kaum saßen sie wieder im Hohen Hause, stimmten die Kostunica-Leute erst einmal gegen ein Paket von Steuergesetzen. Jetzt ist offen, ob die Unterstützung des Djindjic-Lagers Kostunica überhaupt nützt.
Von Herzen kommt sie nicht, das ist für jedermann sichtbar. Und Kostunica, der seinen ganzen ersten Wahlkampf aus Angriffen auf Djindjic und sein Kabinett bestritten hatte, muss eher um seine Glaubwürdigkeit fürchten, wenn eben dieser Zoran Djindjic ihm nun helfend zur Seite tritt.
Die politische Substanz des Streits ist schwer zu greifen. Verstanden haben sich der umtriebig aktivistische Djindjic und der grundsatztreue, aber unflexible Kostunica nie. Zum Bruch kam es im Juni 2001, als Djindjic Slobodan Milosevic nach Den Haag auslieferte und Kostunica dabei überging. Dann ging es Schlag auf Schlag. Djindjic - ganz in der Stimmung des Umschwungs - stellte die Notlage des Landes und seine Abhängigkeit von internationaler Gunst in den Vordergrund, Kostunica beharrte auf den Regeln der Verfassung. Djindjic schlug, unterstützt von den führenden Ökonomen Serbiens, einen rapiden wirtschaftlichen Reformkurs ein und feuerte reihenweise Würdenträger des alten Regimes, Kostunica warnte vor Arbeitslosigkeit und beharrte auf Kündigungsschutz. Djindjic stand auf dem Gaspedal, Kostunica auf der Bremse. In der Substanz war und ist es der Streit darüber, wie viel Unabhängigkeit und Widerspruch sich das Land gegenüber den USA, der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) leisten kann. Fast keine, sagte Djindjic, mehr als man glaubt, sagte Kostunica. Im Grundsatz aber - Westbindung und Übergang zur Marktwirtschaft - waren und sind beide sich einig.
Dass es trotzdem nie zu mehr als einem punktuellen Konsens kam, ist ein ernstes Krankheitszeichen der serbischen und allgemein der balkanischen Politik: Man ist bereit zu taktischen Kompromissen und zeigt dabei sogar einen außerordentlichen Erfindungsreichtum. Aber strategische Kompromisse schließt man nicht. Alle bleiben bei ihrer Meinung; wer da nachgibt, gibt sich selber auf. Ausdruck dieses Verhältnisses sind die zerklüftete Parteienlandschaft und die Vorliebe für verschachtelte Bündnisse und Koalitionen. Ein Faktor ist nur, wer seine eigene Kleinpartei unterhält und sich dort jederzeit bedingungslos durchsetzt.
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