Hydajet Hyseni kennen die Jugoslawen von einem berühmten Foto aus dem Jahre 1981. Da stand er - maskiert und mit einem Megaphon - vor einer großen Masse Studenten. Die nächsten zehn Jahre hat der damals 27jährige im Gefängnis verbracht, knapp drei davon in völliger Isolation. Nach seiner Entlassung versuchte der junge Politiker dann lange, einen Weg zwischen der Untätigkeit des Albaner-Präsidenten Ibrahim Rugova und dem Radikalismus der aufkommenden UÇK zu finden, das Verhängnis ahnend, das seinem Land bevorstand.
In diesen Tagen streift Hyseni - eine Plastikkarte mit Foto und Ablaufdatum um den Hals - mit Hornbrille und immer etwas verlegen lächelnd durch die Flure der UN-Verwaltung in Prishtina, auf der Suche nach einem Schreibtisch.
eibtisch. Man kennt den unbeholfen wirkenden Mann hier nicht, denn bis in die Heimatländer der UN-Beamten - in die USA, nach Norwegen oder Nigeria - ist Hysenis Ruf damals nicht gedrungen. Englisch, die Verwaltungssprache, beherrscht er nicht, nur auf Französisch könnte er sich verständigen, wenn man etwas Geduld mit ihm hätte.Hydajet Hyseni hat die traurige Rolle übernommen, das Verhältnis zwischen Schutzmacht und beschützter Ohnmacht zu symbolisieren. Formal ist der Albaner jetzt ein wichtiger Mann: Als Chef einer von 20 "Abteilungen" der internationalen Kosovo-Verwaltung, zuständig für die Angelegenheiten im Ausland lebender Kosovaren. Jede Abteilung hat zwei Chefs: einen von der UN und einen von hier.Co-Heads und ein geschmierter ApparatDie UN-Leute stammen entweder aus den Tiefen des Apparats am East River und haben schon in Namibia, Bosnien und Kambodscha gewirkt - oder es sind anerkannte Koryphäen ihrer Fächer in Westeuropa oder Amerika. Sie sind - wie sollte es anders sein - von unterschiedlicher Eignung. Da gibt es Michael Daxner, einen renommierten Hochschulreformer, der sich seiner Aufgabe mit Ernst und Weitblick widmet und über beträchtliche politische Erfahrung verfügt, aber auch einen intransigenten Bürokraten als Chef der Finanzabteilung, der seine Kollegen mit deutscher Amtsstubenknauserei und enervierenden Belehrungen in den Wahnsinn treibt. In vielen UN-Dienststellen rund um die Welt hängt der Scherzspruch: "Bei uns sind die Briten für die Küche, die Italiener für die Organisation, die Russen für den Sprachendienst, die Mexikaner für die Finanzen, die Deutschen für den Humor und die Araber für die Gleichberechtigung zuständig." Die UN funktioniert, in dem sie die Nachteile sachlich unsinniger, aber politisch gebotener nationaler Paritäten mit einem unübersehbaren Wust von Erlassen und Vorschriften zu kompensieren sucht.Ihre kosovarischen Kollegen - 18 Albaner und zwei Serben - stehen hilf- und ratlos vor einem geschmierten Apparat, der auf sie zuallerletzt gewartet hat. Formal sind die lokalen "Co-Heads" den internationalen gleichgestellt. Aber sie haben nicht das kleinste Budget zur eigenen Verfügung, auch ihre Mitarbeiter können sie sich nicht selber aussuchen. Pleurat Sejdiu, der "Chef" der Gesundheitsverwaltung, hat einmal versucht, 1.500 Mark aufzutreiben, um einem Dialyse-Patienten vor dem Abschalten zu bewahren. Um den Mann und um seinen Ruf zu retten, musste Sejdiu sich das Geld privat leihen. Per eigener Unterschrift kann ein "Co-Head" keinen Pfennig Geld ausgeben, nicht einmal ein Auto bestellen. Naim Rrustemi, der früher Lehrer an einer Hochschule in Mitrovica war, steht heute "gleichberechtigt" an der Spitze der Bildungsverwaltung - neben Michael Daxner, dem manche westdeutsche Rektoren kaum zu folgen vermögen. Rrustemi Geld geben? In den Augen gestandener UN-Mitarbeiter mag selbst ein so respektabler Mann wie Hydajet Hyseni nicht wie einer wirken, dem man größere Finanzverantwortung übertragen könnte.Kitschige "Albanophilie"Im Kosovo sollte tatsächlich eine Übergangsverwaltung entstehen, kein Kolonialregime. Das war der feste Wille von Administrator Bernard Kouchner. Aber mit jedem Tag wird das Protektorat des Westens über das Kosovo seinen hässlichen historischen Vorbildern ähnlicher.Das geht bis in die Phrasen. Camillus Konkwo, Finanzreferent in der internationalen Verwaltung von Prishtina, hat schon viel von der Welt gesehen, aber noch nichts wie das Kosovo. "Die Leute sind extrem undiszipliniert", konstatiert er, "überall schmeißen sie ihren Dreck hin." Auch sonst ist er den Albanern nicht grün. "Sie nehmen uns aus", befindet Konkwo mit Blick auf die beträchtlichen Mieten, die in Prishtina heute gezahlt werden müssen, die aber bei näherem Hinsehen auch nicht höher sind als die in Skopje oder Podgorica. Nur wenige schimpfen so hingebungsvoll wie Camillus. Westeuropäer, die sich nicht gern dem Vorwurf der nationalen Überheblichkeit aussetzen, legen zunächst eine Kunstpause ein, wenn die Rede auf die Albaner kommt, als suchten sie nach einer politisch korrekten Formulierung - oder sie rollen kurz mit den Augen. Ohne die Leute von hier würde alles viel, viel besser funktionieren.Anfangs kamen die "Internationals" mit einer mitunter kitschigen "Albanophilie" ins Land. Die Stimmung hat sich erst gedreht, seit Serben im Kosovo Freiwild sind. "Nach der Intervention", sagt ein britischer UN-Mitarbeiter, "haben wir geglaubt, dass die Albaner anders mit ihren Minderheiten umgehen würden. Das hat sich als falsch erwiesen." Dabei wird heute so wenig differenziert wie früher. Erst waren "die" Albaner die Guten, jetzt sind sie die Bösen - auf Analysen der kosovarischen Gesellschaft lässt man sich ungern ein. "Es gibt viele Revolverhelden, die aus der Emigration zurückkehren und nachträglich den Helden spielen wollen. Die erschießen wehrlose serbische Bäuerinnen ...", sagt ein kanadischer UN-Polizist.Viele Albaner haben nichts gegen die Morde. Andere finden sie abstoßend, können sich aber nach Jahrzehnten des Opfermythos nicht vorstellen, dass die eigenen Leute sie begangen haben. "Milosevic steckt dahinter, weil er die Albaner diskreditieren will", behauptet Nezir Sefaj, ein arbeitsloser Filmregisseur. Politiker lassen sich nur zu gewundenen Verurteilungen drängen - sie fürchten von radikaler Seite den Vorwurf des Verrats. Zwischen den Kosovo-Albanern und den 10.000 Ausländern, die seit 1999 allein in der Hauptstadt Prishtina Einzug gehalten haben, wächst so die Entfremdung. Vorerst sind es vor allem die Ausländer, die über die Albaner schimpfen. Umgekehrt ist noch wenig Abneigung zu spüren. Ausländer werden im Kosovo freundlich und zuvorkommend behandelt, fremde Autos dürfen sich sogar in jede Schlange drängeln - kein Vergleich etwa mit Zagreb, wo die UNPROFOR-Mitarbeiter jahrelang mit Hingabe gemobbt wurden.Unübersehbar ist das Stirnrunzeln aber bei den albanischen UN-Mitarbeitern. Die meisten sind als Fahrer, Putzfrauen oder Übersetzer beschäftigt. Wie bei allen UN-Einsätzen auf der Welt schimpfen sie über die beträchtlichen Gehaltsunterschiede zwischen locals und internationals - eine ebenso unschöne wie unvermeidliche Begleiterscheinung jeder UN-Mission. Bei den humanitären Organisationen, so berichten Albaner, gehe man mit den locals weit respektvoller um. Aber die NGO sind ja auch auf die genaue Kenntnis des Landes angewiesen, wenn sie Erfolg haben wollen. Die Verwalter offenbar nicht. Sie haben die Macht.Friedhof für politische TalenteAm ärgsten sind die Probleme auf der höchsten Ebene. Je nach Temperament setzen sich die albanischen "Co-Heads" wie Schuljungen in die Bank und hören artig zu, was die große Welt ihnen rät - oder sie nehmen zu Obstruktion Zuflucht. Naim Rrustemi zum Beispiel sagt immer: "Ja, ich stehe hinter den Reformplänen von Michael Daxner", und bittet dann, von präzisen Nachfragen Abstand zu nehmen. Rame Buja dagegen, der für die lokale Selbstverwaltung zuständig war, hat immer nur aufgepasst, ob die Pläne der Ausländer seiner Partei nützten. Als das nicht mehr der Fall war, legte er sein Amt nieder.Buja und Rrustemi haben ihre Posten bekommen, weil ihre Parteien sie geschickt haben, nicht weil Kouchner oder seine Experten sie für besonders qualifiziert gehalten hätten. Der "Übergangsrat", der im wesentlichen aus den Abteilungsleitern besteht, ist streng parteipolitisch quotiert: Die Rugova-Partei LDK muss ebenso stark vertreten sein wie die Thaçi-Partei PDK, die LBD von Rexhep Qosja und die Minderheiten. Welche Partei wen schickt, ist ihre Sache. 20 Abteilungen gibt es nur deshalb, weil die Zahl sich durch vier teilen lässt: die Arithmetik spaltete das ursprüngliche Referat für Jugend und Sport in zwei und stiftete dem Lande jetzt eine "Abteilung für Demokratisierung". Zwar gäbe es für die Fachgebiete auch Experten, aber die gehören oft zu keiner Partei."Politiker" und "Fachleute" sind auf dem Balkan zweierlei. Der Schreibtisch eines Politikers ist traditionell leer, das Vorzimmer dagegen voll: "Politik machen" heißt nicht, sich in Sachgebiete einarbeiten, sondern Macht sammeln und Bittsteller empfangen. Politiker gehören in die Partei, Fachleute dagegen gehören in die Regierung. Das war in ganz Jugoslawien so.Die UN-Verwaltung hat diese goldene Regel ignoriert und Politiker zu Verwaltern gemacht. Jetzt wundert sie sich, wie sie versagen. "Politik" ist in Jugoslawien eine Mischung aus Schach und Kabale - Slobodan Milosevic ihr Großmeister. Es gibt auch positive Beispiele: Leute wie Hydajet Hyseni, die als "Faktor" in einem jahrelangen Rechenspiel um Macht und Autonomie ihre Rolle finden. Im Westen dagegen, besonders in Deutschland, ist Politik die Fortsetzung der Verwaltung mit leicht erweiterten Mitteln. Politiker wollen niemals "Macht" haben, sondern immer nur "Verantwortung", sie "politisieren" nicht, sondern "arbeiten" und agieren als "Experten für Konfliktlösung".Auf dem Balkan, einem berüchtigten Friedhof für politische Talente, staunen und scheitern sie: Hier liegen schon hochkarätige Konfliktlöser wie Lord Carrington und David Owen, Carl Bildt, Carlos Westendorp, Felipe González und - als jüngstes Opfer im Kosovo - die CDU-Bildungspolitikerin Steffi Schnoor begraben. Sie haben nicht verstanden, dass sie für die lokalen Akteure nicht Schiedsrichter, sondern immer nur der "spoljni faktor", der äußere Faktor, sind. Eingeladen zum großen Spiel der Machtverteilung. Auch mit der Überzeugungskraft einer großen Persönlichkeit konnte noch kein westlicher Politiker auf dem Balkan reüssieren. Mit Hans Koschnick scheiterte der Typus der weisen, gutmütigen Vaterfigur, im Fall Richard Holbrookes der bullige Kumpel, der die anderen unter den Tisch säuft. Es mag die Gescheiterten trösten, dass es professionelle Balkanpolitiker im mitteleuropäischen System höchstens zum Möllemann brächten.Mit Bernard Kouchner steht ein dritter Politikertyp an der Spitze der Kosovo-Mission: Ein "Charismatiker" mit großer Gesten, der bei jeder Gelegenheit die richtigen historischen Worte findet. Kouchner besuchte die Gräber albanischer Märtyrer und versuchte, an die imaginäre Seele des kosovarischen Volkes zu rühren. Das bescherte ihm zeitweise eine gewisse Popularität - die aber wieder schwand, als er die gleiche Betroffenheit bei den Begräbnissen ermordeter Serben erkennen ließ. Im westlichen Sinne "populär" zu sein ist schön, in einem postjugoslawischen System aber beinahe völlig unnütz.Slobodan Milosevic zum Beispiel, der negative Prototyp des erfolgreichen Balkanpolitikers, ist alles andere als populär. Warum er das auch nicht sein muss, hat Vuk DrasÂkovic´ in einer berühmten Anekdote von dem Bauern erzählt, dem er sein Programm erklärt hatte. Er fände es grandios, das Programm, meinte der Bauer, und auch er, Vuk, überzeuge ihn als Person ganz und gar. Darauf hin DrasÂkovic´: "Wirst du mich dann auch wählen?". Die Antwort das Bauern: "Komm an die Macht! Dann wähle ich dich!" - Ibrahim Rugova, ein anderer Prototyp des Balkanpolitikers, verfügt als einzige politische Qualität über Sturheit. Die UÇK hat er jahrelang einfach ignoriert, nicht ein einziges Mal albanische Kriegsopfer besucht, nie eine bewegende Erklärung abgegeben. Kouchner musste ihn zu öffentlichen Anlässen regelrecht mitschleifen. Aber wenn 2001 der "Kosovo-Präsident" gewählt werden sollte, dürfte Rugova gewinnen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.