Die Gewalt ist zurück im Kosovo – leise noch, dafür aber mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet. Rosa, die kosovarische Spezialpolizei, wurde ausersehen, den Völkerrechtsstreit zwischen Prishtina und Belgrad zu lösen. Und mit der normativen Kraft des Faktischen werden die Männer in den schwarzen Uniformen vielleicht sogar den lästigen Gegensatz zwischen Gegnern und Befürwortern der kosovarischen Unabhängigkeit innerhalb der Europäischen Union beenden können. Weil man die Gewalt nicht offen herbeirufen darf, muss man ihr geheime Zeichen geben, ihr Hintertürchen öffnen, ihr hier und da versteckt schmeicheln. Ist sie einmal da, muss man ihr dienen. Erst wenn sie wieder weg ist, wird man ihr wieder sein starkes Nein entgegenschleudern.
Mitten in einer Phase der Entspannung zwischen Serbien und dem Kosovo setzte die Regierung in Prishtina am 25. Juli ihre Spezialpolizei in Marsch auf zwei Grenzübergänge zwischen dem serbisch dominierten Nordkosovo und der Republik Serbien. Die Truppe sollte eine Handelsblockade durchsetzen, die Prishtina in der Woche zuvor gegen Waren aus Serbien verhängt hatte. Für die Blockade wurde ausgerechnet ein Augenblick gewählt, als im Handelsstreit zwischen Belgrad und Prishtina eine Lösung drohte – der Blockadezweck bestand wohl nur darin, der Gewalt den Weg zurück ins Kosovo zu ebnen.
Kein reines Räubernest
Die Aktion der Spezialpolizei hat ein wichtiges Ziel erreicht. Zwar sind es nicht kosovarische Polizisten, die jetzt die nördlichen Übergänge zu Serbien kontrollieren, sondern amerikanische und französische Soldaten der Schutztruppe KFOR. Sie aber wenden die Handelsblockade an und handeln damit nach den Maßgaben, die Prishtina setzt. Als Angreifer hätten die KFOR-Verbände das Ziel, die Souveränität der Kosovo-Regierung auf ihrem gesamten Territorium herzustellen, nicht durchsetzen können. So tun sie es halt als Friedensstifter. Eine Operation nach den Regeln der Kunst, wie sie in der Region Slobodan Milošević am besten beherrschte: Zu einer guten Intrige gehören überraschende Zweckallianzen und undurchschaubare Instrumentalisierungen. Und so reagierte die radikale, kriminelle Szene im Nordkosovo in eben der Weise, wie man es von ihr erwarten durfte: mit Brandwerfern, Strumpfmasken, Straßenblockaden. Ohne ihre Barrikaden hätten die KFOR-Einheiten nicht als Vermittler auftauchen können.
Auch die zweideutige Rede gehört zur Grundausstattung eines solchen Unternehmens. Die internationale Gemeinschaft hat sich von der Aktion der kosovarischen Polizei lau und halbherzig distanziert. Die einen taten es etwas klarer, so die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, die anderen, so der deutsche und der britische Außenminister, weniger eindeutig, und der amerikanische Botschafter so gut wie gar nicht.
Das Ziel der Operation, die Integration des Nordens in den unabhängigen Staat, wäre nicht die schlechteste Lösung der offenen Kosovo-Frage. In jedem Fall ist sie besser als der Status quo, denn im Moment übt in dem kleinen, elenden Schmugglernest niemand eine effektive Kontrolle aus. Die Integration wäre auch besser als die Teilung des Kosovo, wie Belgrad sie anstrebt. Für das Ziel, die Bildung ethnischer Nationalstaaten auf dem Balkan zu verhindern, sind zu viele Menschen gestorben, als dass man es nachträglich gering achten dürfte. Noch immer besteht die Gefahr, dass eine Trennung entlang ethnischer Linien Nachahmungstäter ermuntern würde – in Bosnien, in Südserbien oder in Montenegro.
Insofern war das letzte Ziel der Operation – eine Teilung des Kosovo zu verhindern – nicht verwerflich, aber das gewaltsame Mittel ist es, wobei Ziel und Mittel ihre bekannte Wechselwirkung entfalten. Auch eine nur schrittweise, aber gewaltsame Übernahme von Positionen im Nordkosovo durch die Regierung in Prishtina würde ohne Absprache mit Belgrad angesichts der Verhältnisse dort zu Krieg und Terror führen. Eine albanisch dominierte Polizeitruppe kann im Norden nicht „Ruhe und Ordnung“ herstellen, selbst dann nicht, wenn sie das ehrlich will. Versucht Prishtina dagegen, sich den Norden auf einen Schlag einzuverleiben, würde das wohl zur sofortigen und restlosen Vertreibung der dort noch lebenden 50.000 Serben führen. Das wäre ein Verbrechen, denn der Nordkosovo ist kein reines Räubernest. Die meisten, die hier wohnen, haben immer hier gelebt. Sie haben einfach Angst vor den Albanern. Und würde es wirklich darum gehen, den Schmugglern und Gangstern im Nordkosovo das Handwerk zu legen – also praktische Probleme zu lösen –, wäre nicht die kosovarische, sondern die serbische Polizei das richtige Instrument. Zwar kann man ihr hier aus rechtlichen Gründen keinen Zugang gewähren. Aber der Dialog zwischen Belgrad und Prishtina hätte ja auch eine Zusammenarbeit in der Verbrechensbekämpfung auslösen können.
Die Serben lernen
Die jüngste Kosovo-Intrige hat übrigens ein historisches Vorbild: die Eroberung der Krajina durch kroatische Truppen im Sommer 1995. Das Gebiet war serbisch besiedelt, gehörte aber zum damals völkerrechtlich anerkannten Kroatien. Verhandlungen mit der radikalen Szene der örtlichen Serben hatten nicht gefruchtet. Weil das Gebiet unter UN-Protektion stand, konnten die Amerikaner, die seinerzeit allein das Sagen hatten, die Eroberung der Krajina durch kroatische Truppen nicht offen gutheißen. So taten sie es eben heimlich. Wie üblich in solchen Fällen, geriet die Aktion aus dem Ruder: Die Regierung in Zagreb nutzte die günstige Gelegenheit, gleich die gesamte serbische Bevölkerung aus der Region zu vertreiben. Dass sie sich benutzen ließen, verlieh fragwürdigen Figuren eine Macht, die erpresserisch davon Gebrauch machten. An den Folgen des fatalen Feldzugs leidet die kroatische Gesellschaft noch heute.
Damals hatte man es in Belgrad mit einem Slobodan Milošević zu tun. Heute dagegen findet der schlecht bewährte Trick Anwendung gegen eine serbische Regierung, die – wie Präsident Tadić versichert – ihr Land über kurz oder lang in die EU führen will. Mit düpiert haben die Amerikaner im Falle der Krajina die Europäer, die damals noch auf Verhandlungen setzten. Heute sind die EU-Staaten die blamierten, die das Kosovo nicht anerkennen. Die Serben können am Beispiel der vergangenen Woche schon einmal lernen, wie man in der Europäischen Union neuerdings miteinander umgeht.
Norbert Mappes-Niediek schreibt seit 1992 für den Freitag über die post-jugoslawischen Konflikte
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