Zum Tanz mit den Gigolos

Serbien Die Volksabstimmung im Nordkosovo hat einen kuriosen Effekt – die Regierung in Belgrad wird entlastet, die Verantwortung der Europäischen Union hingegen steigt

Referenden wie vergangene Woche die im Norden des Kosovo haben schon die jugoslawischen Kriege der neunziger Jahre begleitet. Man legt gegen drohende Kompromisse einen Brustpanzer an und geht dann vorwärts mit der Parole Augen zu und durch! Angesichts solcher Erfahrungen ist es verständlich, dass nun alle beteuern, das komische Votum unter gerade einmal 35.000 Serben sei „ohne Bedeutung“. Viel Spott hat sich über die provinziellen Quertreiber ergossen, vor allem über die „nordkoreanischen“ 100 Prozent Nein-Stimmen, die sie gegen die Eingliederung ins unabhängige Kosovo gesammelt haben wollen. Zu entscheiden gab es die Frage: Wollen die Bürger des Nordkosovo die „Institutionen der albanisch geführten Regierung mit Hauptsitz in Prishtina“ anerkennen? Lustig ist das nicht. Der kleine Konfliktherd da unten hat viel Sprengkraft. Bisher hat besonders Deutschland immer auf Druck gegen Belgrad gesetzt, um die Serben im Norden zu disziplinieren. Das blieb nicht erfolglos, funktioniert aber nur, solange die pro-europäische Regierung in Belgrad den Druck weitergeben kann. Nach der Lossagung der Kosovo-Serben von der Schutzmacht Serbien ist es damit erst einmal vorbei. Belgrad kann sich entlastet fühlen, es kann den Europäern mit mehr Kompromissbereitschaft in der Kosovo-Frage einen Gefallen tun und hoffen, dass ihm dann der Status eines EU-Kandidaten verliehen wird. Das Problem des Nordkosovo ist damit aber nicht gelöst – der Lösungsdruck, der bisher auf Belgrad lastete, wechselt nun auf die Schultern der Europäer.

Vordergründig war das Votum der Kosovo-Serben als Störmanöver für Gespräche zwischen Belgrad und Prishtina gedacht. Seit knapp einem Jahr verhandeln Delegationen Serbiens und des Kosovo über „praktische Fragen“. Die EU-Kommission macht nicht näher bezeichnete „Fortschritte“ zur Bedingung für die Empfehlung, Serbien als Beitrittsaspiranten zu führen. Auf dem EU-Gipfel im Dezember war Belgrad mit diesem Anliegen am deutschen Veto gescheitert.

Zwei Feinde mehr

Belgrad und Prishtina sollen sich mindestens über die Präsenz des Kosovo in internationalen Organisationen einigen. Noch blockiert Serbien mit Hilfe Russlands eine Aufnahme in die UNO und in internationale Sportverbände. Belgrad würde nachgeben, wenn auf den Namensschildern unter dem Wort „Kosovo“ auch ein Hinweis auf die UN-Resolution 1244 erscheint, nach der das Land unter UN-Souveränität steht. Prishtina lehnt das ab. Selbst wenn es noch zu einem Konsens kommen sollte, ist der Kandidatenstatus nicht sicher. Berlin verlangt von Belgrad nach wie vor die „Auflösung der parallelen Strukturen“ im Nordkosovo, der Gemeinderäte also, die jetzt das Referendum organisiert haben. Nur wie das geschehen soll, ist jetzt unklarer denn je zuvor. Die Serben in den vier nordkosovarischen Gemeinden haben Angst. Reale Albaner haben sie seit über einem Jahrzehnt keine mehr zu Gesicht gekriegt, außer als Meute, die versuchte, die Brücke in Mitrovica zu stürmen. Eine dadurch ausgelöste Furcht ist anfälliger für Paranoia und Hysterie. Und damit auch gefährlicher.

In den Scharmützeln seit fast einem Jahr haben die internationalen Missionen und vorrangig die Deutschen die Serben im Nordkosovo immer als halbkriminell vorgeführt. Daran stimmt, dass hier heute fleißig geschmuggelt wird und viele schräge Figuren hoffen, dies möge immer so bleiben. Die Propaganda darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass in dieser Region natürlich nicht 35.000 Gangster leben. Vielmehr lassen sich 34.000 normale Menschen von höchstens tausend Extremisten manipulieren. Das gelingt umso besser, je größer der Druck von außen ist. Und 2011 ist die Zahl der äußeren Feinde von einem auf drei gestiegen: Erst waren es nur die Albaner, dann kamen die Europäer hinzu, jetzt sogar Belgrad. Bisher hat auch niemand zu erkennen gegeben, dass er eine Lösung im Einvernehmen mit den Serben im Nordkosovo überhaupt anstrebt. Erst schickte Prishtina seine Spezialpolizei, dann die NATO Soldaten. Vermittler tauchten nur auf, wenn es gerade eine Barrikade abzubauen galt. Es war Deutschland, das mit seiner Druck-auf-Belgrad-Politik im letzten Sommer die erstarrten Verhältnisse im Kosovo zum Tanzen brachte. Nun muss es zeigen, dass es auch führen kann. Bisher war Belgrad der Partner, jetzt sind es die Gigolos von Mitrovica.

Norbert Mappes-Niediek ist seit 1990 Balkan-Berichterstatter des Freitag

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