Der Zwang, Leben zu retten

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Heute morgen in der S-Bahn musste ich wieder einmal die aktuelle Monatskarte nach vorne sortieren im Portemonnaie. Und dabei fiel mein Blick auf ein völlig zerknicktes, kaum noch lesbares Pappkärtchen, das mich als Organspender „ausweist“. Ein Kärtchen, an das ich mehr oder minder per Zufall kam, weil eines der großen Magazine mal wieder eine Werbung für Organspenden machte und ich gerade einen Kopf dafür hatte, es auszufüllen. Vorgehabt hatte ich das schon länger, aber ... irgenetwas kam zumeist dazwischen.

Heute in einem Monat ist der „Tag der Organspende“. Vor etwas mehr als zwei Monaten hat sich eine ganz große Koalition im Deutschen Bundestag darauf geeinigt, das Transplantationsgesetz zu ändern und alle Bundesbürger anzuschreiben, damit „die Diskussion in die Familien getragen wird“ wie eine der Abgeordneten sagt. Und ganz wichtig sei „Kein Zwang“ kommentieren viele.

Warum eigentlich ist Zwang schlecht? In diesem Falle. Warum ist in D nicht eine Regelung wie in Luxemburg, Österreich, Polen, Portugal, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien oder Ungarn möglich? Dort muss einer Entnahme von Organen widersprochen werden. Bis dahin sind dort alle Organspender. Und die Daten werden in vielen dieser Länder in zentralen Datenbanken erfasst.

Kein Zwang also, ganz wichtig, klar. Ich werde dazu gebracht (gezwungen) meine Einkommenssteuer zu zahlen und die Sozialversicherung, auf Landstraßen nicht schneller zu fahren als 100 Stundenkilometer und innerorts nicht mehr als 50 km/h. Früher war es möglich mich zum Kriegsdienst mit der Waffe „einzuziehen“, zum Soldaten und damit zum potentiellen Mörder zu machen. Undsoweiterundsofort. Regelungen allerorten, ständig neue. Gesetze halt, meist sanktionsbehaftet.

Einen „Zwang“ bei der Organentnahme darf es in D nicht geben. Aber wieso eigentlich wird von Zwang gesprochen, wenn ich doch mit einer einfachen Willenserklärung dem Zwang widersprechen kann.Was so bei Steuern, Abgaben etc. nicht möglich ist, früher beim Kriegsdienst nicht möglich war. Kein Zwang also oder eben genauso viel Zwang wie für mich heute, wenn ich Organe spenden will.

Rund 12.000 Menschen warten auf eine Organspende. 1.000 Menschen sterben wegen fehlender Organspender. Von gerade einmal 1.900 Spendern wurden in 2011 Organe entnommen. Alle Zahlen für D, keine überprüft, alle abgeschrieben, Quelle dapd nach „Die Welt“ vom 1. März 2012.

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Geschrieben von

oi2503

Wat dem een sin uul is dem annern sin nachtigall

oi2503