Nach der Wahl ist vor der Wahl, nach der Partei ist ….

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Der nächste Hype kommt bestimmt. In den letzen paar Jahren konnten wir eine rasche Abfolge von plötzlich hochgevoteten Parteien erleben. Parteien, die Wahl- oder Umfrageergebnisse realisierten, die weit jenseits ihrer Stammwählerschaft lagen. Erst die Linke bundesweit und in den westdeutschen Länderparlamenten, dann die FDP bei 15%, gefolgt von deren Absturz und dem Hoch der Grünen bei 20%. Nun also die Piraten im dritten Landesparlament und einem dauerhaften Umfragehoch, dass dem Frühling entspricht mit zudem einsetzender Professionalisierung neben den Seifenblasen des „wir legen uns nicht fest, wir sind Prozess“ und einem medialen Geleitschutz der seinesgleichen sucht, sich teilweise aus Unverständnis speist und geil ist auf die Sensation. Die Sensation, dass solche Dilettanten es den Etablierten zeigen, darin dem Wahlvolk ein 1:1-Spiegel, und den Sensationen, die es aufzuspüren gilt bei einem solchen Phänomen: Das kann nicht alles sauber sein, da muss noch etwas kommen, das wir auseinandernehmen können.

Die Bindungswirkung der etablierten Parteien lässt nicht nur nach, sie erodiert mit sagenhafter Geschwindigkeit. Eine „große Koalition“ ist doch schon fast keine mehr. Rundum 60% bringen die beiden Schwergewichte SPD und CDU gerade noch so zusammen. FJS würde sich kringeln bei dem Gedanken und sich freuen darüber, dass er alleine große Koalition ist/war. Und die 60% sind bezogen auf eine nachlassende Wahlbeteiligung. 60 % Anteil bei 60 % Wählern, da sind wir bei 36% der Wahlberechtigten, die eine solche Koalition hinter sich (18 Uhr am Wahltag) vereinigte. Ein Mandat? Ein Mandat soll das sein?

Vor diesem Hintergrund bin ich fest überzeugt, dass es sich bei den Wählern und Stimmen für die Piraten um Protest im weiteren Sinne handelt. Protest, der sich nicht auf konkrete Politik bezieht, auf Gesetze oder Projekte sondern auf ein Politikverständnis. Noch eigentlicher auf ein: Ich hab keinen Bock mehr, mich verarschen zu lassen. Der Stil gefällt mir nicht, das Hinterzimmer und die immer gleichen Redewendungen, Aus- oder Angriffsreden, gefallen mir nicht. Mir gefällt nicht, dass ich nicht weiß, was die derzeitige Bundesregierung eigentlich seit ihrer Wahl 2009 gemacht hat außer sich zu zanken und da war doch was mit den Hoteliers und der spätrömischen Dekadenz. Und sonst? Ja, klar: Europa. Und auch hier wird der deutsche Michel den Verdacht nicht los, beschwindelt zu werden, zumindest nie das Gefühl hat, die ganze Wahrheit zu erfahren, wenn er realisiert, dass die Zahlen, die – nur als Bürgschaft – Deutschland, und damit er, zu stemmen hat im Wochenrhythmus sich erhöhen. Wem soll er das mit der Bürgschaft glauben, wo doch vorher alles als geschwindelt empfunden wird?

Nun wird den Piraten, wie zuvor den Linken, von mancher und von manch interessierter Seite vorgeworfen, sie wären die Wegbereiter der großen Koalitionen und damit letztlich einer Politik, die sie doch ablehnen. Ich kenne das noch aus den Post-Willy-Zeiten. Gewählt wurde das kleinere Übel. Allein, es gab nie ein kleineres Übel und es gibt keines. Es gibt nur große und kleine Übel. Und, ja, Übelkeit. Und solange die etablierten Parteien, da nehme ich jetzt die Grünen und die Linken dazu, dies nicht begreifen sondern versuchen an der Oberfläche ihrer Organisationsidentität zu kratzen und hier und da ein wenig auf Frisch und Internet und Beteiligung und Twittern machen, haben sie den Ernst der Lage nicht verstanden. Haben die Lage nicht verstanden oder schon resigniert. Weil sie wissen, dass sie ihre Organisationen nicht umgekrempelt bekommen. Die Piraten können Havarie erleiden, kentern, untergehen, sie können mit vollen Segeln den nächsten Beutezug antreten und stets ein kielbreit Wasser unter der 5%-Hürde haben. Beides wird nicht dazu führen, dass die Bindungswirkung der etablierten Parteien sich erhöht. Sie müssen sich ändern. Grundlegend. Und können es nicht, erstarrt in Ritualen.

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Geschrieben von

oi2503

Wat dem een sin uul is dem annern sin nachtigall

oi2503