Speisepläne

Neandertaler Was Hightechmethoden verraten

Es war heiß in Bonn. Anlässlich des 150-jährigen Fundjubiläums des Neandertalers waren Ende Juli 250 Forscher aus aller Welt zusammengekommen. Die Klimaanlage funktionierte nicht, manche Professoren referierten in Shorts, und die Zuhörer im vollbesetzten Hörsaal nutzen das Programm als Fächer. Passenderweise war ständig von den Eiszeiten die Rede, von drei, fünf oder neun. denn sie werden durchnumeriert. Ist doch praktischer.

Paläoanthropologen sprechen auch von Kilojahren, wenn sie Jahrtausend meinen und hängen "BP" an, sprich: Before Present (vor Christus hat ausgedient). Die Fossilien werden nach Fundorten getauft: Qafzeh IX oder Saint-Césaire I. Der "eigentliche" Neandertaler heißt daher auch Feldhofer nach der gleichnamigen Grotte im Neandertal.

Über "den" Neandertaler als solchen zu sprechen verbietet sich. Denn mittlerweile gibt es mehr als 300 Funde, die von etwa 200 bis etwa 27 Kilojahren BP datieren und über große Teile Europas und Westasiens verstreut sind. Sowohl die Anatomie als auch die unterschiedlichen regionalen Kulturen, die nach der Art ihrer Werkzeuge so hübsche Namen wie Uluzzian, Altmühlian oder Châtelperronian tragen, variieren stark.

Die Bonner Konferenz zeigte eine Disziplin im Umbruch, neue Technologien ermöglichen Einsichten, von denen man bis vor zehn Jahren kaum zu träumen wagte. 1997 sequenzierte Svante Pääbo erstmals die mitochondriale DNA des Feldhofers, nun versucht er sich an der "eigentlichen" DNA im Zellkern. Aus ein paar Gramm Knochen will der Paläogenetiker vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in den nächsten beiden Jahren das gesamte Neandertalergenom kartieren. Der Vergleich soll die Besonderheiten des menschlichen Genoms aufzeigen, denn kein Wesen ist uns näher verwandt. Haben wir uns vom Schimpansen, genauer: von dessen Vorfahren bereits vor fünf bis sieben Myrs (Millionen Jahren) getrennt, sind es beim Neandertaler lediglich etwa 500 Kilojahre.

Mit Isotopenanalysen von Kohlenstoff und Stickstoff kann man einen Blick auf den steinzeitlichen Speiseplan erhaschen. So hat sich Saint-Césaire I vornehmlich Mammuts und Wollnashörner munden lassen, Rentiere hingegen kaum. Wer fleißig Großwild jagt und der Kälte trotzt, hat einen erhöhten Energieverbrauch, nämlich bis zu 5.000 Kilokalorien täglich, so viel wie ein Tour-de-France-Fahrer bei der Alpe d´Huez. Die chemische Analyse von Faustkeilen und Steinklingen im Massenspektrometer zeigt, wie mobil der Neandertaler sein konnte, liegen doch zwischen Steinbruch und Fundort der Werkzeuge mitunter mehr als 200 Kilometer. Das Zahnwachstum wird virtuell rekonstruiert, selbstredend in 3D. Datenbanken wie Nespos schicken sich an, all diese verstreuten Informationen den Wissenschaftlern online verfügbar zu machen.

Angesichts des Hightechfeuerwerks wirkt manch altgediente Neandertal-Koryphäe fast schon selbst wie ein Fossil, wenn sie minutiös Dutzende von morphologischen Unterschieden zwischen Homo sapiens und Homo neandertalensis auflistet und Hunderte Fossilien im Kopf hat. Die Spannung zwischen alten und neuen Zugängen war auf der Jubiläumskonferenz spürbar, aber alle sind doch stolz, dass die Neandertal-Forschung wie die Paläoanthropologie überhaupt zu einem interdisziplinären Unternehmen par excellence geworden ist, an dem auch Geologen, Paläozoologen und -klimatologen mitarbeiten.

Mit dem neuen Arsenal an Methoden mehren sich paradoxerweise auch die Unsicherheiten und Fallstricke. Svante Pääbo referierte ausführlich über mögliche Fehlerquellen wie defekte DNA oder Kontaminierung durch die Forscher selbst. Die Verlässlichkeit von Altersbestimmungen durch die C14-Methode wird immer wieder in Frage gestellt, mit komplexen Verfahren angestellte Berechnungen von Neandertalpopulationen liefern Zahlen hinter dem Komma und sorgen eher für Schmunzeln. Und die Zahl der Erklärungen für das Aussterben der Neandertaler steigt beständig. Was wohl die nächste Jubiläumstagung im Sommer 2056 bringen wird? Nur eines scheint sicher: Es wird noch heißer sein.

Noch bis 19.11. wird im Rheinischen Landesmuseum in Bonn die Ausstellung Roots / Wurzeln der Menschheit zu sehen sein. Sehenswert vor allem deshalb, weil in Deutschland wohl noch nie so viele hominide Fossilien im Original aus Europa, Afrika und Asien ausgestellt waren.


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